18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil18.03.2014

Verfassungs­beschwerden gegen Euro-Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt erfolglosBestimmungen des ESM-Vertrages sind mit haushalts­po­li­tischer Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages vereinbar

Die Verfassungs­beschwerden und das Organ­streit­verfahren gegen die Errichtung des Europäischen Stabilitäts­mechanismus, den Fiskalpakt sowie die nationalen Zustimmungs- und Begleitgesetze, das Zustim­mungs­gesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV, das TARGET2-System und das so genannte Sixpack sind teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Trotz der eingegangenen Verpflichtungen bleibt die Haushalts­au­tonomie des Deutschen Bundestages hinreichend gewahrt. Es ist jedoch haushalts­rechtlich sicherzustellen, dass etwaige Kapitalabrufe nach dem ESM-Vertrag im Rahmen der vereinbarten Obergrenzen fristgerecht und vollständig erfüllt werden können und somit eine Aussetzung von Stimmrechten Deutschlands in den ESM-Gremien zuverlässig ausgeschlossen bleibt.

Das Organ­streit­ver­fahren und die Verfas­sungs­be­schwerden richten sich gegen deutsche und europäische Rechtsakte im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus (ESM) und dem Abschluss des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt), gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank sowie gegen Unterlassungen des Bundes­ge­setz­gebers und der Bundesregierung im genannten Zusammenhang.

BVerfG stimmt Euro-Rettungsschirm und Fiskalpakt im September 2013 unter Auflagen zu

Mit Urteil vom 12. September 2012 hat der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts unter Maßgaben abgelehnt, eine einstweilige Anordnung gegen die Ratifizierung des ESM-Vertrages sowie des Fiskalpaktes und die Ausfertigung der inner­staat­lichen Zustimmungs- und Begleitgesetze zu erlassen. Den Maßgaben zufolge war sicherzustellen, dass sämtliche Zahlungs­ver­pflich­tungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESM-Vertrag auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM in Höhe von 190,0248 Milliarden Euro beschränkt bleiben und die Regelungen über die Unver­letz­lichkeit der Unterlagen des ESM und die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nicht entgegenstehen.

ESM-Mitglieder legen gemeinsame Ausle­gungs­er­klärung ab

Die ESM-Mitglieder verständigten sich auf eine gemeinsame Ausle­gungs­er­klärung, die sie am 27. September 2012 abgaben. Zugleich hat die Bundesrepublik Deutschland eine ähnlich lautende einseitige Erklärung abgegeben.

Verfas­sungs­be­schwerden und Organ­streit­ver­fahren teilweise unzulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte die Verfas­sungs­be­schwerden und das Organ­streit­ver­fahren für teilweise unzulässig. Soweit die Beschwer­de­führer unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG die formelle Verfas­sungs­wid­rigkeit des ESM-Finan­zie­rungs­ge­setzes, die funktionale Zustän­dig­keits­ver­teilung zwischen dem Plenum des Bundestages, seinen Ausschüssen und Unter­glie­de­rungen sowie das fehlende Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit für besonders bedeutsame Maßnahmen rügen, sind die Verfas­sungs­be­schwerden unzulässig. Diese Fragen rechnen - abgesehen von den Fällen einer Ultra-vires-Konstellation - nicht zum materiellen Gehalt des Wahlrechts, der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt wird.

Beein­träch­tigung der haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages durch Einrichtung und Durchführung des TARGET2-Systems nicht ausreichend dargelegt

Unzulässig sind die Verfas­sungs­be­schwerden ferner, soweit sich Beschwer­de­führer gegen die Einrichtung sowie Durchführung des TARGET2-Systems wenden und verschiedene Unterlassungen deutscher Verfas­sungs­organe in Bezug hierauf beanstanden. Die Beschwer­de­führer haben nicht aufgezeigt, wie hiervon eine Beein­träch­tigung der haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages und damit ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ausgehen könnte.

Kompetenzentzug für Deutschen Bundestag durch Euro-Plus-Pakt nicht nachvollziehbar

Soweit sich die Verfas­sungs­be­schwerden gegen die Anwendung bestimmter sekun­där­recht­licher Rechtsakte der Europäischen Union (sog. Sixpack) und des Euro-Plus-Paktes in Deutschland wenden, sind sie ebenfalls unzulässig. Ihr diesbezügliches Vorbringen genügt weder zur Darlegung einer Entleerung des Wahlrechts durch Verlust unverzichtbarer Entschei­dungs­be­fugnisse des Bundestages noch zur Darlegung eines etwaigen Anspruchs auf Feststellung eines Ultra-vires-Handelns der Europäischen Union. Inwiefern der Euro-Plus-Pakt, der selbst Sanktionen nicht vorsieht, dem Bundestag in einem Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG berührenden Umfang Kompetenzen entziehen könnte, erschließt sich nach dem Beschwer­de­vortrag, der sich im Wesentlichen auf ökonomische Argumente stützt, nicht.

Fehlendes Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit birgt keine Verletzung eigener Rechte oder von Rechten des Bundestages

Der Antrag im Organ­streit­ver­fahren ist nur zulässig, soweit die Antragstellerin geltend macht, durch die angegriffenen Gesetze entäußere sich der Bundestag seiner haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung; als Fraktion des Bundestages ist sie insoweit antragsbefugt. Nicht substantiiert dargelegt ist die Möglichkeit einer Rechts­ver­letzung in Bezug auf die funktionale Zustän­dig­keits­ver­teilung zwischen Haushalts­aus­schuss und Plenum im ESM-Finan­zie­rungs­gesetz. Eine Berufung auf Rechte einzelner Abgeordneter oder des Bundestages im Wege der Prozess­stand­schaft scheidet diesbezüglich aus. Schließlich folgt auch aus dem fehlenden Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit für besonders bedeutsame Maßnahmen keine Verletzung eigener Rechte oder von Rechten des Bundestages, die im Organstreit geltend gemacht werden könnten.

Verfas­sungs­be­schwerden und Organ­streit­ver­fahren - soweit zulässig - unbegründet

Die Verfas­sungs­be­schwerden und das Organ­streit­ver­fahren sind, soweit zulässig, unbegründet. Der Gesetzgeber ist jedoch mit Blick auf die Zustimmung zu Artikel 4 Absatz 8 des ESM-Vertrages verpflichtet, haushalts­rechtlich durchgehend sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland Kapitalabrufen nach dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus fristgerecht und vollständig nachkommen kann.

Bundestag muss alle Informationen erhalten, die er zur Abschätzung von Grundlagen und Konsequenzen für Entscheidungen benötigt

Das durch Art. 38 Abs. 1 GG geschützte Wahlrecht gewährleistet als grund­rechts­gleiches Recht die politische Selbst­be­stimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt. Sein Gewähr­leis­tungs­gehalt umfasst die Grundsätze des Demokra­tie­gebots im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff des verfas­sung­s­än­dernden Gesetzgebers schützt. Vor diesem Hintergrund muss der Gesetzgeber ausreichende Vorkehrungen treffen, um seine Integra­ti­o­ns­ver­ant­wortung dauerhaft erfüllen zu können. Er darf sich namentlich seines Budgetrechts nicht begeben, auch nicht in einem System inter­gou­ver­ne­mentalen Regierens. Für die Einhaltung des Demokra­tie­gebots kommt es entscheidend darauf an, dass der Bundestag der Ort bleibt, an dem eigen­ver­ant­wortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbind­lich­keiten. Zwar ist es in erster Linie Sache des Bundestages selbst, in Abwägung aktueller Bedürfnisse mit den Risiken mittel- und langfristiger Gewähr­leis­tungen darüber zu befinden, in welcher Gesamthöhe Gewähr­leis­tungs­summen noch verantwortbar sind. Aus der demokratischen Verankerung der Haushalts­au­tonomie folgt jedoch, dass der Bundestag einem inter­gou­ver­ne­mental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungs­au­to­ma­tismus nicht zustimmen darf, der - einmal in Gang gesetzt - seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist. Das Demokra­tie­prinzip gebietet es zudem, dass der Bundestag an diejenigen Informationen gelangen muss, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entscheidung benötigt.

Verpflichtung des Haushalts­ge­setz­gebers auf bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik nicht von vornherein demokra­tie­widrig

Die Verpflichtung des Haushalts­ge­setz­gebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik ist nicht von vornherein demokra­tie­widrig. Sie kann grundsätzlich auch durch die Übertragung wesentlicher haushalts­po­li­tischer Entscheidungen auf Organe einer supra- oder internationalen Organisation oder die Übernahme entsprechender völker­recht­licher Verpflichtungen erfolgen. Zu entscheiden, ob und in welchem Umfang dies sinnvoll ist, obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat jedoch sicherzustellen, dass der demokratische Prozess offen bleibt, aufgrund anderer Mehrheits­ent­schei­dungen rechtliche Umwertungen erfolgen können und eine irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen vermieden wird. Ob und inwieweit sich unmittelbar aus dem Demokra­tie­prinzip darüber hinaus eine justiziable Begrenzung der Übernahme von Zahlungs­ver­pflich­tungen oder Haftungszusagen herleiten lässt, musste der Senat bislang nicht entscheiden. Eine unmittelbar aus dem Demokra­tie­prinzip folgende Obergrenze könnte allenfalls überschritten sein, wenn sich die Zahlungs­ver­pflich­tungen und Haftungszusagen im Eintrittsfall so auswirkten, dass die Haushalts­au­tonomie jedenfalls für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe. Dies kommt nur bei einer evidenten Überschreitung äußerster Grenzen in Betracht.

Nach diesen Maßstäben haben die Verfas­sungs­be­schwerden und das Organ­streit­ver­fahren keinen Erfolg.

Zustim­mungs­gesetz zur Änderung des Artikels 136 AEUV führt nicht zum Verlust der Haushalts­au­tonomie des Bundestages

Das Zustim­mungs­gesetz zur Änderung des Artikels 136 AEUV verletzt die Beschwer­de­führer und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Insbesondere führt Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht zum Verlust der Haushalts­au­tonomie des Bundestages, sondern ermöglicht den Mitgliedstaaten des Euro-Währungs­ge­bietes lediglich, einen Stabi­li­täts­me­cha­nismus zur Gewährung von Finanzhilfen auf völker­ver­trag­licher Grundlage zu installieren und bestätigt insofern die fortdauernde Herrschaft der Mitgliedstaaten über die Verträge. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Währungsunion um die Möglichkeit aktiver Stabi­li­sie­rungs­maß­nahmen zu ergänzen, sowie die damit verbundene Prognose, mit solchen Maßnahmen die Stabilität der Währungsunion gewährleisten und fortentwickeln zu können, hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht angesichts des Einschät­zungs­spielraums der zuständigen Verfas­sungs­organe grundsätzlich auch insoweit zu respektieren, als Risiken für die Preisstabilität aufgrund dieser Entscheidung nicht auszuschließen sind.

Auch das Zustim­mungs­gesetz zur Einrichtung des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus trägt den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen Rechnung.

Beein­träch­tigung der haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages nicht erkennbar

Die Bestimmungen des ESM-Vertrages sind mit der haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages vereinbar. Aus der absoluten Höhe der hiermit eingegangenen Zahlungs­pflichten von derzeit 190,0248 Milliarden Euro lässt sich keine Beein­träch­tigung der haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages ableiten. Die diesbezügliche Einschätzung des Gesetzgebers ist jedenfalls nicht evident fehlerhaft und daher vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht hinzunehmen.

Unbegrenzte Zahlungspflicht durch Erklärung der ESM-Mitglieder und einseitige Erklärung der Bundesrepublik ausgeschlossen

Soweit nach dem Vertrags­wortlaut eine der Höhe nach unbegrenzte Zahlungspflicht zumindest denkbar erscheint, wird die Gefahr einer solchen Auslegung jedenfalls durch die gemeinsame Erklärung der ESM-Mitglieder vom 27. September 2012 sowie die einseitige Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom selben Tage in völkerrechtlich verbindlicher Weise ausgeschlossen.

Bundestag hat zur Vermeidung einer Aussetzung der Stimmrechte fristgerechte Einzahlung weiterer Kapitalanteile durchgehend sicherzustellen

Für Entscheidungen des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus, die die haushalts­po­li­tische Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages betreffen, ist jedenfalls derzeit gesichert, dass sie nicht gegen die Stimmen der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus ergehen können, der Legiti­ma­ti­o­ns­zu­sam­menhang zwischen dem Parlament und dem Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus also nicht unterbrochen wird. Käme es zur Aussetzung der Stimmrechte der Bundesrepublik Deutschland während einer Zahlungs­säu­migkeit (Art. 4 Abs. 8 ESMV), liefe die innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Bundestages an den Entscheidungen der ESM-Organe während dieser Zeit leer. Betroffen wären unter Umständen auch Entscheidungen, die die haushalts­po­li­tische Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages berühren und daher grundsätzlich seiner Mitwirkung bedürfen. Um eine Aussetzung der Stimmrechte zu vermeiden, hat der Bundestag daher nicht nur den anfänglich einzuzahlenden Kapitalanteil im Haushalt bereitzustellen, sondern im gebotenen Umfang durchgehend sicherzustellen, dass etwaige weitere Kapitalanteile jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können. Ob eine Zahlungs­auf­for­derung des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus berechtigt ist, spielt insoweit keine Rolle.

Stimm­rechts­aus­setzung derzeit praktisch ausgeschlossen

Der Bundestag hat durch seine Verfah­rens­be­voll­mäch­tigten erklärt, das Liqui­di­täts­ma­na­gement der Finanzagentur GmbH sei hinreichend umsichtig und leistungsfähig, um fristgerechte Einzahlungen zu gewährleisten; diese tatsächliche Einschätzung ist vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht hinzunehmen. Auch haushalts­rechtlich ist derzeit ausreichend sichergestellt, dass Deutschland sämtlichen relevanten Zahlungs­auf­for­de­rungen des ESM - bis zur Höhe des Anteils am genehmigten Stammkapital - so rechtzeitig und umfassend nachkommen kann, dass eine Stimm­rechts­aus­setzung praktisch ausgeschlossen ist. Für absehbare Zahlungs­pflichten sind Ansätze im Haushaltsplan vorzusehen; dies ergibt sich aus den Grundsätzen der Vollständigkeit und der Wahrheit des Haushalts.

Keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken begegnet die bisherige Prognose des Haushalts­ge­setz­gebers, dass sich die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auf das anfänglich eingezahlte Stammkapital beschränken werden. Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV, die die Unver­letz­lichkeit sämtlicher amtlicher Unterlagen des Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus sowie Schweigepflicht und Immunität seiner Organmitglieder und Mitarbeiter regeln, verstoßen im Ergebnis nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und den - allein im Rahmen des Organ­streit­ver­fahrens rügefähigen - Anspruch des Bundestages auf frühestmögliche und umfassende Unterrichtung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die genannten Vorschriften sind so auszulegen, dass sie einer hinreichenden parla­men­ta­rischen Kontrolle des ESM durch den Bundestag nicht entgegenstehen. Soweit eine hiervon abweichende Ausle­gungs­mög­lichkeit bestand, ist diese jedenfalls durch die gemeinsame Ausle­gungs­er­klärung der ESM-Mitglieder vom 27. September 2012 sowie die einseitige Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom selben Tage völkerrechtlich wirksam ausgeschlossen worden.

Überschreitung des Einschät­zungs­spielraum seitens des Gesetzgebers durch Zustimmung zum ESM-Vertrag nicht ersichtlich

Im Hinblick auf die nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV vorgesehene Möglichkeit, Anteile am Europäischen Stabi­li­täts­me­cha­nismus zu einem vom Nennwert abweichenden Kurs auszugeben, ist die haushalts­po­li­tische Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages jedenfalls dadurch abgesichert, dass ein entsprechender Beschluss nicht gegen die Stimme des deutschen Vertreters im zuständigen ESM-Organ gefasst werden kann. Auch aus der abstrakten Möglichkeit, dass der Europäische Stabi­li­täts­me­cha­nismus finanzielle Verluste generieren könnte, ergibt sich keine Gefährdung der haushalts­po­li­tischen Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages. Dass der Gesetzgeber seinen diesbezüglichen Einschät­zungs­spielraum mit der Zustimmung zum ESM-Vertrag überschritten haben könnte, ist nicht ersichtlich.

Erweiterung der bestehenden Zahlungs­pflichten Deutschlands bedarf Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften

Eine Erweiterung der bestehenden Zahlungs­pflichten Deutschlands im Wege der Kapitalerhöhung ist zwar möglich, bedürfte aber der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Eine völker­rechtliche Verpflichtung zur Vornahme einer solchen Kapitalerhöhung besteht nicht.

Mitwir­kungs­rechte des Bundestages ausreichend

Schließlich begründet der ESM-Vertrag auch keine unauflösbare Bindung Deutschlands. Im Ergebnis mit den verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben vereinbar sind auch die Vorschriften über die Einbindung des Bundestages in die Entschei­dungs­prozesse des ESM. Die Mitwir­kungs­rechte des Bundestages erweisen sich - jedenfalls bei verfas­sungs­kon­former Auslegung im Hinblick auf das innerstaatliche Verfahren vor Beschlüssen nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV - als ausreichend. Die Infor­ma­ti­o­ns­rechte des Bundestages genügen den Anforderungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Auch unter dem Gesichtspunkt der von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG geforderten demokratischen Legitimation der Tätigkeit des ESM bestehen keine Bedenken gegen die Vertretung Deutschlands in dessen Gremien.

ESM-Vertrag zwingt BRD nicht zur dauerhaften, nicht mehr reversiblen Festlegung ihrer Wirtschafts­politik

Schließlich verstößt auch das Zustim­mungs­gesetz zum Fiskalpakt nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Seine wesentlichen Inhalte decken sich mit verfas­sungs­recht­lichen und unions­recht­lichen Vorgaben. Der Vertrag räumt den Organen der Europäischen Union keine Befugnisse ein, die die haushalts­po­li­tische Gesamt­ver­ant­wortung des Bundestages berühren und zwingt die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einer dauerhaften, nicht mehr reversiblen Festlegung ihrer Wirtschafts­politik.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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