18.10.2024
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Dokument-Nr. 10039

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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.07.2010

Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der elterlichen Sorge bei Zustim­mungs­ver­wei­gerung der Mutter verfas­sungs­widrigGrundsätze elterlicher Sorge des § 1626 Abs. 1. Nr. BGB unvereinbar mit Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat das Sorgerecht für unverheiratete Väter gestärkt. Die derzeitige Regelung verstößt nach Meinung des Gerichts gegen das grundgesetzlich geschützte Elternrecht, da die unverheirateten Väter nur mit Zustimmung der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht erhalten.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetztes zur Reform des Kinds­chafts­rechts am 01.07.1998 wurde nicht miteinander verheiratete Eltern erstmals unabhängig davon, ob sie zusammenleben, durch § 1626 a BGB die Möglichkeit eröffnet, die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam zu tragen. Voraussetzung hierfür ist, dass dies ihrem Willen entspricht und beide Elternteile entsprechende Sorge­er­klä­rungen abgeben (§ 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB); anderenfalls bleibt die Mutter alleinige Sorge­rechts­in­haberin für das nichteheliche Kind. Auch eine Übertragung der alleineigen elterlichen Sorge von der Mutter auf den Vater kann nach § 1672 Abs. 1 BGB bei dauerhaftem Getrenntleben der Eltern nur mit Zustimmung der Mutter erfolgen. Gegen ihren Willen kann der Vater eines nichtehelichen Kindes nur dann das Sorgerecht erhalten, wenn der Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls die elterliche Sorge entzogen wird, ihre elterliche Sorge dauerhaft ruht oder wenn sie stirbt.

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt grundsätzlichen Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der Alleinsorge der Mutter für nicht verhältnismäßig

Bereits im Jahr 2003 wies das Bundes­ver­fas­sungs­gericht darauf hin, dass § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB sich dann als vereinbar mit dem Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG erweisen würde, wenn sich herausstellen sollte, dass es - entgegen der Annahme des Gesetzgebers - in größerer Anzahl aus Gründen, die nicht vom Kindeswohl getragen sind, nicht zur gemeinsamen Sorgetragung von Eltern nichtehelicher Kinder kommt. Dem Gesetzgeber wurde ein entsprechender Prüfungsauftrag erteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte in seinem Urteil vom 3. Dezember 2009, dass der grundsätzliche Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter im Hinblick auf den verfolgten Zweck, nämlich den Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes, nicht verhältnismäßig sei (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil v. 03.12.2009 - 22028/04 -)

Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge von Mutter verweigert

Im hiesigen Fall ist der Beschwer­de­führer Vater eines 1998 nichtehelich geboren Sohnes. Die Eltern trennten sich noch während der Schwangerschaft der Mutter. Seit seiner Geburt lebt der Sohn im Haushalt der Mutter, hat aber regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Beschwer­de­führer erkannte die Vaterschaft an. Eine Erklärung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge wurde von der Mutter verweigert. Als diese einen Umzug mit dem Kind beabsichtigte, beantragte der Beschwer­de­führer beim Familiengericht die teilweise Entziehung des Sorgerechts der Mutter und die Übertragung des Aufent­halts­be­stim­mungs­rechts auf ihn selbst; hilfsweise stellte er den Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen oder die Zustimmung der Mutter zu einer gemeinsamen Sorge zu ersetzen. In Anwendung der geltenden Rechtslage wies das Familiengericht die Anträge mit der Begründung zurück, dass es zur Übertragung des Sorgerechts oder Teilen davon an der erforderlichen Zustimmung der Mutter fehle. Gründe für eine Entziehung des Sorgerechts der Mutter lägen nicht vor. Die hiergegen beim Oberlan­des­gericht eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Aufteilung elterlicher Sorge muss Kindswohl entsprechen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat auf die Verfas­sungs­be­schwerde nun entschieden, dass die §§ 1626 a Abs. 1 Nr. und 1672 Abs. 1 BGB mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar sind. Der Beschluss des Famili­en­ge­richts ist aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen worden. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung hat das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts in Ergänzung der §§ 1626 a Abs. 1 Nr. 1, 1672 Abs. 1 BGB vorläufig angeordnet, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil davon gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht; dem Vater ist auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder ein Teil davon allein zu übertragen, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Gesetzgeber greift unver­hält­nismäßig in das Elternrecht des Vaters ein

Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber das elterliche Sorgerecht für ein nichteheliches Kind zunächst allein seiner Mutter übertragen hat. Ebenfalls steht mit der Verfassung in Einklang, dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zugleich mit der wirksamen Anerkennung seiner Vaterschaft gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht eingeräumt ist. Eine solche Regelung wäre allerdings mit der Verfassung vereinbar, sofern sie mit der Möglichkeit verbunden wird, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die gesetzlich begründete gemeinsame Sorge der Eltern dem Kindeswohl im Einzelfall tatsächlich entspricht.

Der Gesetzgeber greift jedoch dadurch unver­hält­nismäßig in das Sorgerecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes ein, dass er ihn generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt, wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des Kindeswohls eingeräumt ist.

Abhängigkeit der Teilhabe an gemeinsamer Sorge von Zustimmung der Mutter stellt unver­hält­nis­mäßigen Eingriff in das Elternrecht des Vaters dar

Die Regelung des § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB, der die Teilhabe an der gemeinsamen Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, stellt ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung einen tiefgreifenden Eingriff in das Elternrecht des Vaters in unver­hält­nis­mäßiger Weise generell hinter das der Mutter zurück, ohne dass dies durch die Wahrung des Kindeswohl geboten ist.

Nur knapp über die Hälfte der Eltern üben gemeinsame elterliche Sorge aus

Die Annahme des Gesetzgebers hat sich nicht als zutreffend erwiesen. Neuere empirische Erkenntnisse bestätigen nicht, dass Eltern die Möglichkeit gemeinsamer Sorgetragung in der Regel nutzen und die Zustim­mungs­ver­wei­gerung von Müttern in aller Regel auf einem sich nachteilig auf das Kind auswirkenden elterlichen Konflikt basiert sowie von Gründen getragen ist, die nicht Eigeninteressen der Mutter verfolgen, sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen. Vielmehr verständigen sich lediglich knapp über die Hälfte der Eltern nichtehelicher Kinder darauf, Erklärungen zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge abzugeben. Zum anderen ist nach durchgeführten Befragungen von Institutionen und Experten davon auszugehen, dass in nicht unbeträcht­licher Zahl Mütter allein deshalb die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge verweigern, weil sie ihr angestammtes Sorgerecht nicht mit dem Vater ihres Kindes teilen wollen.

Auch Übertragung der Alleinsorge nur mit Zustimmung der Mutter ist schwerwiegender Eingriff in Elternrecht des Vaters

Auch die Regelung in § 1672 Abs. 1 BGB, der die Übertragung der Alleinsorge für ein nichteheliches Kind von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, stellt einen schwerwiegenden und nicht gerecht­fer­tigten Eingriff in das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG dar. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Eröffnung einer gerichtlichen Übertragung der Alleinsorge auf den Vater andererseits schwerwiegend in das Elternrecht der Mutter eingreift, wenn dem väterlichen Antrag im Einzelfall stattgegeben wird. Denn der Mutter wird die bisher von ihr ausgeübte Sorge gänzlich entzogen, und zwar nicht, weil sie bei ihrer Erzie­hungs­aufgabe versagt hat und dadurch das Kindeswohl gefährdet ist, sondern weil in Konkurrenz zu ihr der Vater sein Recht reklamiert, an ihrer Stelle für das Kind zu sorgen. Zudem ist mit einem Sorge­rechts­wechsel regelmäßig auch ein Wechsel des Kindes vom Haushalt der Mutter in den des Vaters verbunden, wodurch insbesondere das Bedürfnis des Kindes nach Stabilität und Kontinuität berührt wird. Unter Berück­sich­tigung dessen und in Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen beider Eltern ist es zwar mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht vereinbar, dem Vater mangels Möglichkeit einer gerichtlichen Einzel­fa­ll­prüfung den Zugang auch zur alleinigen Sorge zu verwehren. Eine Übertragung der Alleinsorge von der Mutter auf den Vater des nichtehelichen Kindes ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn es zur Wahrung des väterlichen Elternrechts keine andere Möglichkeit gibt, die weniger in das mütterliche Elternrecht eingreift, und wenn gewichtige Kindes­wohl­gründe vorliegen, die den Sorge­rechts­entzug nahelegen. Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob eine gemeinsame Sorgetragung beider Eltern als weniger einschneidende Regelung in Betracht kommt. Sofern dies der Fall ist, hat dem Vater die Alleinsorge zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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