18.10.2024
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Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 5048

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Beschluss26.09.2007BundesgerichtshofXII ZB 229/06
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • FamRZ 2007, 1969Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2007, Seite: 1969
  • MDR 2008, 28Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2008, Seite: 28
  • NJW 2008, 223Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2008, Seite: 223
  • Rpfleger 2008, 23Zeitschrift: Der Deutsche Rechtspfleger (Rpfleger), Jahrgang: 2008, Seite: 23
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Lutherstadt Wittenberg, Urteil19.03.2004, 5 F 741/02 SO
  • Oberlandesgericht Naumburg, Urteil15.12.2006, 8 UF 84/05
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss26.09.2007

BGH räumt unverheirateten Vätern mehr Rechte einZum Sorge­rechts­antrag eines Vaters für sein nichtehelich geborenes Kind (Fall Görgülü)

Nichteheliche Väter können das Sorgerecht für ihr Kind auch ohne Zustimmung der Mutter bekommen, wenn diese das Kind zur Adoption freigeben will. Voraussetzung ist aber, dass der leibliche Vater erzie­hungs­ge­eignet und -bereit ist. Das geht aus einem Urteil des Bundes­ge­richtshofs (BGH) hervor. Die Behörden müssen es dem Vater ermöglichen, sich kontinuierlich an das in einer Pflegefamilie lebende Kind anzunähern. Wenn die Pflegeeltern, das Umgangsrecht des Vaters nicht akzeptieren wollen, könnten sie auch zur Herausgabe des Kindes gezwungen werden, führte der BGH aus.

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich erstmals mit dem Sorge­rechts­antrag des Vaters für sein nichtehelich geborenes Kind zu befassen. Der Fall hatte nach wiederholten Entscheidungen des Amtsgerichts, Oberlan­des­ge­richts, Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein großes Interesse in der Öffentlichkeit ausgelöst.

Sachverhalt

Der Vater ist türkischer Staats­an­ge­höriger und lebt seit 1994 in der Bundesrepublik Deutschland. Im Mai 1999 erfuhr er, dass seine Lebensgefährtin von ihm schwanger war. Diese unterband ab Juli 1999 jeglichen Kontakt und gebar im August 1999 das gemeinsame Kind. Schon am Folgetag beauftragte die Mutter das zuständige Jugendamt, das Kind in Adoptionspflege zu geben, und stimmte der Adoption des Kindes zu. Nach vier Tagen wurde das Kind zu seinen Pflegeeltern in Adoptionspflege gegeben, wo es seitdem lebt.

Der Vater erfuhr erst im Oktober 1999 von der Geburt seines Kindes und begehrt seitdem regelmäßigen Umgang mit seinem Kind sowie das Sorgerecht für dieses. Die Anerkennung der dafür erforderlichen rechtlichen Vaterschaft scheiterte zunächst an der versagten Zustimmung des Amtsvormunds. Auf Antrag des Vaters wurde seine Vaterschaft sodann nach Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens gerichtlich festgestellt.

Im Januar 2001 beantragten die Pflegeeltern die Adoption des Kindes. Die dafür erforderliche Zustimmung des Vaters wurde vom Amtsgericht im Dezember 2001 ersetzt. Auf mehrere Beschwerden des Vaters wurde das Verfahren über die Ersetzung der Zustimmung bis zur Entscheidung über den Sorge­rechts­antrag des Vaters ausgesetzt. Erst viel später teilte die – inzwischen nach Intervention der Aufsichts­behörde zuständige – Amtspflegerin im Juli 2006 mit, dass der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Vaters zurückgenommen werde.

Auf Antrag des Vaters räumte das Amtsgericht ihm im Februar 2001 ein Umgangsrecht mit seinem Kind ein und übertrug ihm in einer weiteren Entscheidung im März 2001 auch das Sorgerecht. Beide Entscheidungen wurden vom 14. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts Naumburg aufgehoben. Auf die dagegen eingelegte Menschen­rechts­be­schwerde des Vaters stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Februar 2004 fest, dass die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts gegen Art. 8 der Menschen­rechts­kon­vention verstößt.

Auf einen erneuten Antrag des Vaters räumte ihm das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung erneut ein Umgangsrecht mit seinem Kind ein und übertrug dem Vater im März 2004 erneut auch das Sorgerecht für sein Kind. Auch diese Entscheidungen hob der 14. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts Naumburg auf, nachdem er zuvor ihren Vollzug ausgesetzt hatte. Auf die Verfas­sungs­be­schwerden (BVerfG, Beschluss v. 05.04.2005 - 1 BvR 1664/04 -) des Vaters wurden die Entscheidungen des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben. Die Verfahren wurden an einen anderen Senat des Oberlan­des­ge­richts zurückverwiesen. Nachdem dieser Senat die Beschwer­de­führer auf die Unanfecht­barkeit der einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht hingewiesen hatte, nahmen sie ihre Beschwerden gegen die amtsge­richtliche Entscheidung zurück.

Auf einen neuen Antrag des Vaters erweiterte das Amtsgericht das ihm zustehende Umgangsrecht im Dezember 2004 auf vier Stunden wöchentlich. Auf die sofortige Beschwerde der Pflegeeltern setzte der 14. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts Naumburg auch den Vollzug dieser Entscheidung aus. Auf die Verfas­sungs­be­schwerde des Vaters setzte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Wirksamkeit der von ihm als "willkürlich" bezeichneten Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts aus (BVerfG, Beschluss v. 10.06.2005 - 1 BvR 2790/04 -) und stellte mit weiterem Beschluss im Juni 2005 die Umgangregelung des Amtsgerichts wieder her.

Auf ein wiederholtes Ableh­nungs­gesuch des Vaters wurden die Richter des 14. Zivilsenats des Oberlan­des­ge­richts Naumburg im Januar 2005 für befangen erklärt. Seitdem ist der 8. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts für das Verfahren zuständig. Im August 2005 wurden auch die bislang mit der Wahrung der Aufgaben des Amtsvormunds beauftragten Personen von ihrer Funktion entbunden; deren Funktion wurde auf Weisung der Aufsichts­behörde einer eigens dafür vom Landes­ver­wal­tungsamt abgeordneten Bediensteten übertragen.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2006 hat der nunmehr zuständige Senat beim Oberlan­des­gericht Naumburg dem Vater ein Umgangsrecht eingeräumt, das sich zunächst auf sieben Stunden 14-tägig begrenzte und seit März 2007 14-tägig von samstags 11.00 Uhr bis sonntags 15.00 Uhr andauert und die erste Hälfte längerer Schulferien einschließt. Die gegen diese Entscheidung gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden des Vaters einerseits sowie der Verfah­rens­pflegerin andererseits wies das Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Februar 2007 zurück.

Den Antrag auf Übertragung des Sorgerechts hat das Oberlan­des­gericht in dem angefochtenen Beschluss vom 15. Dezember 2006 "als zurzeit unbegründet" abgewiesen, weil der Vater zurzeit noch nicht in der Lage sei, das Sorgerecht zum Wohl des Kindes auszuüben. Nur insoweit hat das Oberlan­des­gericht die Rechts­be­schwerde zum Bundes­ge­richtshof zugelassen.

Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs

Der Bundes­ge­richtshof hat die Rechts­be­schwerde des Vaters zurückgewiesen, weil wegen der vom – früheren – Amtsvormund und dem Oberlan­des­gericht zu lange geduldeten Verweigerung des Umgangsrechts noch keine hinreichend tragfähige Basis zwischen Vater und Kind entstanden sei und im Falle einer gegenwärtigen Übertragung des Sorgerechts eine nicht vollständig aufzufangende Bindungs­lo­sigkeit drohe. In der Begründung hat der Senat allerdings eine strikte Einhaltung des Umgangsrechts mit dem Ziel einer Übertragung des Sorgerechts und eines Wechsels des ständigen Aufenthalts zum Vater angemahnt.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ist die gesetzliche Regelung in den §§ 1626a, 1672 Abs. 1 BGB verfas­sungsgemäß. Danach steht die elterliche Sorge für ein nichtehelich geborenes Kind nur dann beiden Eltern zu, wenn sie eine gemeinsame Sorge­rechts­er­klärung abgeben oder einander heiraten. Anderenfalls übt die Mutter die elterliche Sorge allein aus. Daran ändert sich auch nichts, wenn sie – wie hier – das Kind zur Adoption freigibt und dadurch nach § 1751 Abs. 1 Satz 1 BGB ihr Sorgerecht ruht. Gerichtlich kann der Vater eine Übertragung des Sorgerechts nach § 1672 Abs.1 BGB grundsätzlich nur mit Zustimmung der Mutter erreichen. Hat diese allerdings der Adoption des Kindes zugestimmt, bedarf es ihrer Zustimmung zur Übertragung des Sorgerechts auf den Vater nicht mehr (§ 1751 Abs. 1 Satz 6 BGB); auch dann ist eine Sorge­rechts­über­tragung auf den Vater nach dem Wortlaut des Gesetzes aber nur möglich, wenn sie "dem Wohl des Kindes dient".

2. Ob dies der Fall ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter Berück­sich­tigung des Elternrechts des Vaters zu ermitteln. Allein die Tatsache, dass ein Kind in seine Pflegefamilie voll integriert ist, kann deswegen einer Annäherung an den leiblichen Vater mit dem Ziel einer Übertragung des Sorgerechts nicht entgegenstehen. Das gilt insbesondere dann, wenn keine Bedenken gegen die Erzie­hungs­eignung bestehen und das Sorgerecht der Mutter ohnehin ruht. Andererseits ist aber stets das Kindeswohl als oberstes Gebot zu berücksichtigen. Dies steht der Annäherung an den leiblichen Vater grundsätzlich nicht entgegen, auch wenn eine sofortige Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie negative Auswirkungen auf sein Wohl haben kann. Ist ein leiblicher Vater erzie­hungs­ge­eignet und –bereit, müssen die staatlichen Behörden und Gerichte Wege finden, die eine Zusammenführung unter Umständen ermöglicht, die zwangsläufig eintretende Belastungen des Kindes möglichst vermindern und auffangen.

Elternrecht des Vaters

Dem Elternrecht des Vaters und dem Kindeswohl kann danach nur durch eine kontinuierliche Annäherung genügt werden. Die Behörden, hier also der Amtsvormund, und die Gerichte haben deswegen alles zu unterbinden, was diese Annäherung gefährden könnte. Das schließt auch Zwangsmaßnahmen gegen die Pflegeeltern oder – als letztes Mittel – die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie ein, wenn die Pflegeeltern – wie in den bisherigen acht Lebensjahren des Kindes – nicht genügend Bindung­s­to­leranz aufweisen, um ein konti­nu­ier­liches Umgangsrecht des Vaters zu akzeptieren.

Soweit das Oberlan­des­gericht den Sorge­rechts­antrag nach dem gegenwärtigen Stand als "zurzeit unbegründet" abgelehnt hat, hat der Bundes­ge­richtshof dies im Ergebnis gebilligt. Denn in der Vergangenheit ist das Umgangsrecht immer wieder unterbunden worden, insbesondere wenn sich eine stärkere Annäherung zwischen Vater und Kind abzeichnete. Weil diese emotionale Nähe aber Voraussetzung für die Übertragung des Sorgerechts ist, um eine Bindungs­lo­sigkeit zu verhindern, muss das Umgangsrecht gestärkt werden, bevor abschließend das Sorgerecht auf den Vater übertragen werden kann.

Quelle: ra-online, Bundesgerichthof

der Leitsatz

BGB §§ 1626 a Abs. 2, 1672 Abs. 1, 1751 Abs. 1; EMRK Art. 8

Ruht die alleinige elterliche Sorge der Mutter (§ 1626 a Abs. 2 BGB), weil diese der Adoption ihres Kindes zugestimmt hat (§ 1751 Abs. 1 BGB), bedarf ein Antrag des Vaters auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts nach § 1672 Abs. 1 BGB nicht mehr ihrer Zustimmung. In einem solchen Fall ist dem Antrag des Vaters im Rahmen einer verfas­sungs­gemäßen Auslegung des § 1672 Abs. 1 Satz 2 BGB und unter Beachtung der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention schon dann stattzugeben, wenn die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl des Kindes "nicht widerspricht".

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