18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.09.2014

Entzug des Doktorgrades wegen "Unwürdigkeit" nur bei wissen­schafts­bezogenen VerfehlungenVorschrift zum Entzug des Doktortitels wegen Unwürdigkeit verstößt nicht gegen verfassungs­recht­liches Bestimmt­heitsgebot

Der Entzug des Doktorgrades wegen "Unwürdigkeit" kommt nur bei wissen­schafts­bezogenen Verfehlungen in Betracht. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht und stellte insbesondere klar, dass eine Auslegung des Tatbe­stands­merkmals der "Unwürdigkeit", die sich auf die Besonderheiten der Wissenschaft und die Bedeutung akademischer Titel bezieht, mit den verfassungs­recht­lichen Anforderungen des Bestimmt­heits­gebots vereinbar ist.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens ist Physiker. Die Universität K. promovierte ihn zum Doktor der Natur­wis­sen­schaften. Anschließend arbeitete er an einer Forschungs­ein­richtung in den USA. Im Mai 2002 setzte diese eine Kommission ein, um Vorwürfe des wissen­schaft­lichen Fehlverhaltens zu klären, die in der Fachöf­fent­lichkeit zu Publikationen des Beschwer­de­führers erhoben worden waren. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass der Beschwer­de­führer die Originaldaten und Proben der von ihm beschriebenen Experimente nicht systematisch archiviert habe. Es sei belegt, dass er Daten manipuliert und falsch dargestellt habe. Der Promo­ti­o­ns­aus­schuss der Universität entzog dem Beschwer­de­führer daraufhin im Jahr 2004 den Doktorgrad.

Fälschung von Forschungs­er­geb­nissen führen zur "Unwürdigkeit" für das Tragen eines Doktortitels

Die Klage des Beschwer­de­führers war vor dem Verwal­tungs­gericht zunächst erfolgreich; der Verwal­tungs­ge­richtshof wies die Klage jedoch ab. Ein Titelinhaber erweise sich als "unwürdig" zur Führung des Doktorgrades im Sinne des baden-württem­ber­gischen Landes­hoch­schul­ge­setzes, wenn er gravierend gegen die Grundsätze guter wissen­schaft­licher Praxis verstoße, insbesondere Forschungs­er­gebnisse fälsche. Die Revision des Beschwer­de­führers wies das Bundes­ver­wal­tungs­gericht zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, dass die wissen­schafts­be­zogene Tatbe­stands­aus­legung des Verwal­tungs­ge­richtshofs hinreichend bestimmt sei.

BVerfG nimmt Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung an

Die Verfas­sungs­be­schwerde gegen die verwal­tungs­ge­richt­lichen Urteile und mittelbar gegen § 35 Abs. 7 des baden-württem­ber­gischen Landes­hoch­schul­ge­setzes (inzwischen unverändert übernommen in § 36 Abs. 7) blieb vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht ohne Erfolg. Das Gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vorschrift zum Entzug des Doktortitels wegen Unwürdigkeit verstößt in ihrer Auslegung durch die Fachgerichte nicht gegen das verfas­sungs­rechtliche Bestimmtheitsgebot.

Würdigkeit zum Führen des Doktortitels bezieht sich unmittelbar auf damit verbundene fachlich-wissen­schaftliche Qualifikationen

Dem Bestimmt­heitsgebot wird genügt, wenn sich aus der gesetzlichen Regelung und ihrer Zielsetzung richtungs­weisende Gesichtspunkte für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ergeben. Zwar ist der Begriff der Würdigkeit an sich unscharf. Er lässt sich im Wissen­schaftsrecht jedoch durch Wesen und Bedeutung des akademischen Grads präzisieren. Ein solches wissen­schafts­be­zogenes Verständnis erzwingt eine restriktive Handhabung, da sich die Würdigkeit unmittelbar auf die mit dem Doktorgrad verbundene fachlich-wissen­schaftliche Qualifikation bezieht.

Unwürdigkeit ist ausschließlich wissen­schafts­bezogen auszulegen

So wird das die Unwürdigkeit begründende Fehlverhalten funktionell mit dem Wesen und der Bedeutung des akademischen Grades verknüpft. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass die Unwürdigkeit ausschließlich wissen­schafts­bezogen auszulegen ist, und eine Entziehung eines akademischen Titels etwa bei Verfehlungen außerhalb des Wissen­schafts­be­triebs nicht in Betracht kommt. Es verstieße gegen das Bestimmt­heitsgebot, für eine Entscheidung über die Unwürdigkeit Kriterien heranzuziehen - wie eine Enttäuschung traditioneller gesell­schaft­licher Vorstellungen über den Doktorgrad -, die keine gesetzliche Grundlage haben. Die Hochschulen sind zur Abgabe und Durchsetzung solcher außerhalb der Wissenschaft angesiedelter Werturteile nicht berufen.

Eingriffe in Berufs- und Wissen­schafts­freiheit verhältnismäßig

Die Eingriffe in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) und die Wissen­schafts­freiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) des Beschwer­de­führers sind verhältnismäßig; auch insoweit sind die Ausführungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts nicht zu beanstanden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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