Bundesverfassungsgericht Beschluss03.09.2014
Entzug des Doktorgrades wegen "Unwürdigkeit" nur bei wissenschaftsbezogenen VerfehlungenVorschrift zum Entzug des Doktortitels wegen Unwürdigkeit verstößt nicht gegen verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot
Der Entzug des Doktorgrades wegen "Unwürdigkeit" kommt nur bei wissenschaftsbezogenen Verfehlungen in Betracht. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und stellte insbesondere klar, dass eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Unwürdigkeit", die sich auf die Besonderheiten der Wissenschaft und die Bedeutung akademischer Titel bezieht, mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebots vereinbar ist.
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Verfahrens ist Physiker. Die Universität K. promovierte ihn zum Doktor der Naturwissenschaften. Anschließend arbeitete er an einer Forschungseinrichtung in den USA. Im Mai 2002 setzte diese eine Kommission ein, um Vorwürfe des wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu klären, die in der Fachöffentlichkeit zu Publikationen des Beschwerdeführers erhoben worden waren. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer die Originaldaten und Proben der von ihm beschriebenen Experimente nicht systematisch archiviert habe. Es sei belegt, dass er Daten manipuliert und falsch dargestellt habe. Der Promotionsausschuss der Universität entzog dem Beschwerdeführer daraufhin im Jahr 2004 den Doktorgrad.
Fälschung von Forschungsergebnissen führen zur "Unwürdigkeit" für das Tragen eines Doktortitels
Die Klage des Beschwerdeführers war vor dem Verwaltungsgericht zunächst erfolgreich; der Verwaltungsgerichtshof wies die Klage jedoch ab. Ein Titelinhaber erweise sich als "unwürdig" zur Führung des Doktorgrades im Sinne des baden-württembergischen Landeshochschulgesetzes, wenn er gravierend gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis verstoße, insbesondere Forschungsergebnisse fälsche. Die Revision des Beschwerdeführers wies das Bundesverwaltungsgericht zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, dass die wissenschaftsbezogene Tatbestandsauslegung des Verwaltungsgerichtshofs hinreichend bestimmt sei.
BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an
Die Verfassungsbeschwerde gegen die verwaltungsgerichtlichen Urteile und mittelbar gegen § 35 Abs. 7 des baden-württembergischen Landeshochschulgesetzes (inzwischen unverändert übernommen in § 36 Abs. 7) blieb vor dem Bundesverfassungsgericht ohne Erfolg. Das Gericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vorschrift zum Entzug des Doktortitels wegen Unwürdigkeit verstößt in ihrer Auslegung durch die Fachgerichte nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.
Würdigkeit zum Führen des Doktortitels bezieht sich unmittelbar auf damit verbundene fachlich-wissenschaftliche Qualifikationen
Dem Bestimmtheitsgebot wird genügt, wenn sich aus der gesetzlichen Regelung und ihrer Zielsetzung richtungsweisende Gesichtspunkte für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ergeben. Zwar ist der Begriff der Würdigkeit an sich unscharf. Er lässt sich im Wissenschaftsrecht jedoch durch Wesen und Bedeutung des akademischen Grads präzisieren. Ein solches wissenschaftsbezogenes Verständnis erzwingt eine restriktive Handhabung, da sich die Würdigkeit unmittelbar auf die mit dem Doktorgrad verbundene fachlich-wissenschaftliche Qualifikation bezieht.
Unwürdigkeit ist ausschließlich wissenschaftsbezogen auszulegen
So wird das die Unwürdigkeit begründende Fehlverhalten funktionell mit dem Wesen und der Bedeutung des akademischen Grades verknüpft. Das Bundesverwaltungsgericht hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass die Unwürdigkeit ausschließlich wissenschaftsbezogen auszulegen ist, und eine Entziehung eines akademischen Titels etwa bei Verfehlungen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs nicht in Betracht kommt. Es verstieße gegen das Bestimmtheitsgebot, für eine Entscheidung über die Unwürdigkeit Kriterien heranzuziehen - wie eine Enttäuschung traditioneller gesellschaftlicher Vorstellungen über den Doktorgrad -, die keine gesetzliche Grundlage haben. Die Hochschulen sind zur Abgabe und Durchsetzung solcher außerhalb der Wissenschaft angesiedelter Werturteile nicht berufen.
Eingriffe in Berufs- und Wissenschaftsfreiheit verhältnismäßig
Die Eingriffe in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) und die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) des Beschwerdeführers sind verhältnismäßig; auch insoweit sind die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu beanstanden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 01.10.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online