Dem vom Verwaltungsgericht Freiburg entschiedenen Verfahren liegt der sogenannte Fall "Schön" zugrunde. Der Kläger hatte als Physiker an der Universität Konstanz promoviert. Später ging er in die USA. Dort arbeitete er zwischen 1998 und 2002 an einer Forschungseinrichtung. In dieser Zeit war er an über 70 wissenschaftlichen Publikationen beteiligt, die in der Fachwelt teilweise als bahnbrechend gewürdigt wurden. Im Jahr 2001 veröffentlichte er im Schnitt alle 8 Tage einen Fachartikel. Später stellte sich jedoch heraus, dass er in einer Vielzahl der Publikationen wissenschaftliche Messdaten gefälscht hatte, also sich wissenschaftlichen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat. Daraufhin wurde er fristlos entlassen.
Daraufhin entzog ihm die Universität Konstanz, an der er promoviert hatte, den 1998 verliehenen Doktorgrad. Die Universität begründete dies mit dem nachgewiesenen wissenschaftlichen Fehlverhalten durch Datenmanipulation, Präsentation von Daten in falschem Zusammenhang und künstliche Erzeugung von Daten. Das Ausmaß sei in der deutschen Wissenschaftsgeschichte bisher beispiellos. Deshalb habe er sich der Führung des Doktorgrades als unwürdig im Sinne des § 35 LHG (Landeshochschulgesetz des Landes Baden-Württemberg) erwiesen. Den Begriff "unwürdig" verstehe die Universität wissenschaftsbezogen. Wissenschaftliches Fehlverhalten dieser Tragweite unter Inkaufnahme der Beschädigung der notwendigen Vertrauensbasis innerhalb des Wissenschaftsbetriebes sowie der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft in der Öffentlichkeit sei unvereinbar mit der Doktorwürde.
Hiergegen wendete sich Kläger. Zum einen sei die Mitwirkung der anderen Autoren kaum gewürdigt worden. Zum anderen sei § 35 LHG aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht mehr haltbar. Der Begriff der "Würdigkeit" verstoße als zu weite und mehrdeutige Generalklausel gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Bestimmtheitsgebot. Sein Verhalten könne auch dessen ungeachtet nicht als unwürdig im Sinne dieser Vorschrift erachtet werden. Denn seine erfolgreiche Doktorarbeit, aufgrund der ihm der Doktorgrad verliehen worden war, sei ordentlich zustande gekommen. Diesbezüglich hatte die Universität ihm kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorgeworfen.
Das Verwaltungsgericht Freiburg gab dem Kläger Recht und hob den Bescheid der Universität auf. Selbst unterstellt, dass § 35 LHG verfassungsgemäß sei, sei die von der Universität vorgenommene "wissenschaftsbezogene Auslegung" des Begriffs der Unwürdigkeit nicht zulässig. Eine solche Auslegung hätte zur Folge, dass nachträgliches wissenschaftliches Fehlverhalten ohne jede strafrechtliche Relevanz den Begriff der Unwürdigkeit erfüllen würde und zum Anlass genommen werden könnte, einen rechtmäßig erworbenen akademischen Grad nachträglich zu entziehen. Deshalb sei der Begriff der Unwürdigkeit restriktiv auszulegen. Voraussetzung sei eine von der Allgemeinheit besonders missbilligte, vorsätzliche und ehrenrührige Straftat, die ein die durchschnittliche Straftat übersteigendes Unwerturteil enthalte und zu einer tiefgreifenden Abwertung der Persönlichkeit führe.
Eine solche enge Auslegung sei verfassungsrechtlich geboten. Denn die nachträgliche Entziehung eines akademischen Grades stelle für den Titelinhaber einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Wissenschaftsfreiheit und die Berufswahlfreiheit dar. Die nachträgliche Entziehung eines rechtmäßig erlangten akademischen Grades sei nur gerechtfertigt, wenn gewichtige öffentliche Interessen sie erfordern. Der wissenschaftliche Ruf der Hochschule sei jedoch kein verfassungsrechtlich geschütztes Gut, das einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnte. Das maßgebliche öffentliche Interesse könne deshalb nur im Schutz der Allgemeinheit vor dem falschen Schein der Lauterkeit des Inhabers eines akademischen Grades liegen.
Im Fall des Klägers sei der nachträgliche Entzug des Doktorgrades unverhältnismäßig. Die Annahme der Universität, die wissenschaftliche Gemeinschaft müsse durch diese Maßnahme vor Irreführung über den Schein einer bestehenden Würdigkeit geschützt werden, rechtfertige den gravierenden Eingriff nicht. Denn in der Öffentlichkeit sei der als Wissenschaftsskandal behandelte Fall international kommuniziert worden. Bereits dadurch sei die Wissenschaftsgemeinschaft mit allen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen vertraut gemacht worden.
Zudem sei es so, dass die Autoren der wissenschaftlichen Publikationen in der Physik in Fachzeitschriften neben ihrem Namen niemals den Doktortitel angeben und auch durch die Angabe des Doktortitels keine erhöhte Vermutung für die wissenschaftliche Redlichkeit der publizierten Ergebnisse erzeugt werde. Unter diesen Umständen sei nicht erkennbar, dass die Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades noch eine eigenständige Funktion hinsichtlich des Schutzes der Wissenschaftsgemeinde habe. Vielmehr stelle sich der Entzug des Doktorgrades unter diesen Umständen als nachträgliche Sanktion des Klägers für sein vorgeworfenes Verhalten dar. Das sei aber mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht zu vereinbaren.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.05.2011
Quelle: ra-online, Verwaltungsgericht Freiburg (vt/we)