21.11.2024
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Dokument-Nr. 17384

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Bundesverfassungsgericht Urteil17.12.2013

Kein Recht auf Heimat: BVerfG erkennt "Braun­koh­len­tagebau Gartzweiler II" als Gemeinwohlziel anBVerfG stärkt aber gleichzeitig den Rechtschutz bei Enteignung und Umsiedlungen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat den Rechtsschutz gegen Großvorhaben gestärkt, die mit Umsiedlungen und Enteignungen verbunden sind. Bereits bei der Vorha­ben­zu­lassung ist eine Gesamtabwägung aller öffentlichen und privaten Belange erforderlich, die für und gegen das Vorhaben sprechen. Diese Gesamtabwägung ist Aufgabe der Fachbehörden und vorrangig von den Fachgerichten zu überprüfen; das Bundes­verfassungs­gericht beschränkt sich auf eine Kontrolle unter verfassungs­rechtlichen Aspekten. Rechtsschutz muss den Betroffenen bereits gegen die Vorha­ben­zu­lassung gewährt werden. Die Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans für den Tagebau Garzweiler genügt den verfassungs­rechtlichen Anforderungen, nicht aber die darauf aufbauende konkrete Enteignung eines Natur­schutz­verbandes. Insoweit verbleibt es jedoch bei einer Feststellung der Grund­rechts­verletzung, da die Klage auch bei Zurück­ver­weisung an die Fachgerichte keinen weitergehenden Erfolg haben könnte.

Dem Braun­koh­len­tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen liegen Braun­koh­lenpläne aus dem Jahr 1984 und aus den Jahren 1994/1995 zugrunde. Mit Bescheid vom 22. Dezember 1997 ließ das Bergamt Düren den „Rahmen­be­trie­bsplan für den Tagebau Garzweiler I/II“ zu.

Sachverhalte

Der Beschwer­de­führer des Verfahrens 1 BvR 3139/08 ist Eigentümer eines im Abbaugebiet liegenden Grundstücks im Ortsteil Immerath der Stadt Erkelenz, das mit einem selbst genutzten Wohnhaus bebaut ist. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde greift er den Zulas­sungs­be­scheid des Bergamts Düren sowie die ihn bestätigenden behördlichen und verwal­tungs­ge­richt­lichen Entscheidungen an. Der Beschwer­de­führer des Verfahrens 1 BvR 3386/08 ist ein in Nordrhein-Westfalen anerkannter Natur­schutz­verband. Er erwarb im Jahr 1998 das Eigentum an einem Grundstück, das für das Abbauvorhaben in Anspruch genommen werden sollte. Mit Beschluss vom 9. Juni 2005 entzog die Bezirks­re­gierung Arnsberg ihm das Eigentum an dem Grundstück und übertrug es auf die Vorha­ben­trägerin. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde greift der Beschwer­de­führer diesen Grundab­tre­tungs­be­schluss und die ihn bestätigenden Gericht­s­ent­schei­dungen an.

BVerfG bejaht Verletzung des Grundrechts wegen Enteignung durch die angegriffene Grundabtretung

Die Verfas­sungs­be­schwerde im Verfahren 1 BvR 3386/08 ist, soweit zulässig, auch begründet. Der Beschwer­de­führer, der durch die angegriffene Grundabtretung enteignet wird, ist in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt. Nach Art. 14 Abs. 3 GG kann eine Enteignung nur durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden, dessen Bestimmung dem parla­men­ta­rischen Gesetzgeber vorbehalten ist. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein Einschät­zungs­spielraum zu, der einer eingeschränkten verfas­sungs­ge­richt­lichen Kontrolle unterliegt. Das Gesetz muss hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Bei Enteignungen zugunsten Privater, die nur mittelbar dem Gemeinwohl dienen, sind insoweit erhöhte Anforderungen zu stellen.

Enteignungen sind grundsätzlich nur zur erforderlichen Erreichung eines Gemeinwohlziels zulässig

Die Enteignung ist nur zulässig, wenn sie zur Erreichung des Gemeinwohlziels erforderlich ist. Hierbei ist zwischen der Erfor­der­lichkeit der einzelnen Enteig­nungs­maßnahme und der Gemein­wohl­er­for­der­lichkeit dieses Vorhabens selbst zu unterscheiden. Ein Vorhaben ist erforderlich im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, wenn es zum Wohl der Allgemeinheit vernünf­ti­gerweise geboten ist, indem es einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels leistet. Die Enteignung selbst ist jedoch nur dann erforderlich, wenn das enteignete Gut unverzichtbar für die Verwirklichung des Vorhabens ist.

Möglichkeit für Rechtsschutz gegen Eigentumsentzug muss rechtzeitig eröffnet werden

Der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigen­tums­ga­rantie wird nur genügt, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder auf den tatsächlichen Vollzug des Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteig­nungs­vor­aus­set­zungen realistisch erwartet werden kann.

Zur Auslegung des § 79 Abs. 1 des Bundes­berg­ge­setzes

§ 79 Abs. 1 des Bundes­berg­ge­setzes (BBergG) steht bei verfas­sungs­kon­former Auslegung der dortigen Gemein­wohl­klausel in Einklang mit Art. 14 Abs. 3 GG. Der Wortlaut legt zwar das Verständnis nahe, dass eine Grundabtretung generell zulässig ist, wenn sie „dem Wohle der Allgemeinheit dient“, und dass die mit „insbesondere“ angeschlossenen Enteig­nungs­zwecke lediglich als Beispiele gelten sollen. In dieser weiten Deutung wäre die Bestimmung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Aufzählung der Enteig­nungs­zwecke kann jedoch auch abschließend verstanden werden. Bei derartiger verfas­sungs­kon­former Auslegung steht § 79 Abs. 1 BBergG in Einklang mit Art. 14 Abs. 3 GG, soweit er die „Versorgung des Marktes mit Rohstoffen“ als Gemeinwohlziel benennt.

Regelungen des Bundes­berg­ge­setzes schreiben keine Gesamtabwägung bei der Entscheidung über die Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans vor

Teilweise unzulänglich sind die Enteig­nungs­re­ge­lungen des Bundes­berg­ge­setzes im Hinblick auf die gebotene Gesamtabwägung und den erforderlichen effektiven Rechtsschutz. Die Regelungen des Bundes­berg­ge­setzes schreiben eine Gesamtabwägung bei der Entscheidung über die Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans nicht ausdrücklich vor. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat allerdings inzwischen mit Urteil vom 29. Juni 2006, das im Ausgangs­ver­fahren zur Verfas­sungs­be­schwerde 1 BvR 3139/08 ergangen ist, auf diese Unzuläng­lich­keiten der Zulas­sungs­be­stim­mungen für Bergbaubetriebe reagiert und über § 48 Abs. 2 BBergG auch eine Abwägung der Interessen der betroffenen Grundeigentümer mit den berechtigten Belangen des Bergbaus gefordert. Dieses Verständnis des einfachen Rechts gibt Raum für die von Verfassungs wegen gebotene Gesamtabwägung bei der Zulassung eines Rahmen­be­trie­bsplans.

Enteignung zur Gewinnung eines Bodenschatzes ist nur im Einzelfall aufgrund einer Gesamtabwägung zulässig

Zudem regelt das Gesetz nicht eindeutig, ob die Gesamtabwägung jedenfalls im Rahmen der jeweiligen Grundabtretung geboten ist. Die Gesamtabwägung im Verfahren über den Rahmen­be­trie­bsplan macht die Gesamtabwägung im Grundab­tre­tungs­be­schluss, selbst wenn sie sich inhaltlich weitgehend entsprechen, nicht entbehrlich, da insoweit keine förmliche Bindungswirkung, insbesondere keine enteig­nungs­rechtliche Vorwirkung, des Rahmen­be­trie­bsplans im Verhältnis zur Grundabtretung vorgesehen ist. Es entspricht allerdings seit langem gefestigter verwal­tungs­ge­richt­licher Rechtsprechung, dass zur Gewinnung eines Bodenschatzes eine Enteignung im Einzelfall nur aufgrund einer Gesamtabwägung zulässig ist; damit wird die Rechtslage hinreichend präzisiert.

Erforderliche Gesamtabwägung in Bezug auf den Tagebau Garzweiler wurde im vorliegenden Fall nicht vorgenommen

Die angegriffenen Behörden- und Gericht­s­ent­schei­dungen verletzen den Beschwer­de­führer in seinen Rechten aus Art. 14 Abs. 1 und 3 GG, weil sie die erforderliche Gesamtabwägung in Bezug auf den Tagebau Garzweiler nicht vorgenommen haben und auf einer Auslegung des Bundes­berg­ge­setzes beruhen, die seinerzeit ein strukturelles Rechts­schutz­defizit aufwies. Die Gesamtabwägung kann bei der als gebundene Entscheidung ergehenden Grundabtretung zwar grundsätzlich auch noch im Gerichts­ver­fahren nachgeholt werden. Das Oberver­wal­tungs­gericht verweist jedoch im angegriffenen Urteil zu zahlreichen Feststellungen und Tatsa­chen­wür­di­gungen ohne eigene Sachprüfung auf die - nach seiner Auffassung - bindenden Erkenntnisse aus seinem Urteil auf die vorangegangene Klage des Beschwer­de­führers gegen den Rahmen­be­trie­bsplan.

Beschwer­de­führer wurde durch Urteil des OVG eine hinreichende gerichtliche Überprüfung der angegriffenen Grundabtretung versagt

In diesem früheren Urteil hatte das Oberver­wal­tungs­gericht jedoch - übereinstimmend mit der damaligen bundes­ver­wal­tungs­ge­richt­lichen Rechtsprechung - den Standpunkt vertreten, dass die Rahmen­be­trie­bs­plan­zu­lassung die Rechte von Dritt­be­troffenen nicht verletzen könne. Erst im Grundab­tre­tungs­ver­fahren komme es zu einem Eingriff in das Eigentumsrecht. Damit wird dem Beschwer­de­führer eine hinreichende gerichtliche Überprüfung der angegriffenen Grundabtretung versagt.

Tagebau Garzweiler würde in weiterer Überprüfung zur Sicherung der Energie­ver­sorgung als vernünf­ti­gerweise geboten angesehen werden

Trotz des Erfolges der Verfas­sungs­be­schwerde verbleibt es bei der bloßen Feststellung der Verfas­sungs­verstöße. Die Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen erübrigt sich, da eine erneute Sachent­scheidung dem Beschwer­de­führer keinen über die Feststellung hinausgehenden Vorteil verschaffen könnte. Das Grundstück ist mittlerweile durch den Tagebau in Anspruch genommen und eine Rückgabe an ihn wäre faktisch ohne Wert. Zudem ist sicher absehbar, dass die Fachgerichte bei einer erneuten Sachent­scheidung zu dem Ergebnis gelangen würden, dass der Tagebau Garzweiler zur Sicherung der Energieversorgung als vernünf­ti­gerweise geboten angesehen werden durfte und dass auch die Gesamtabwägung zu dem Tagebau bei nachvoll­zie­hender Prüfung durch die Gerichte Bestand haben würde.

Verfas­sungs­be­schwerde im Verfahren 1 BvR 3139/08 greift nicht in Grundrechte des Beschwer­de­führers ein

Die Verfas­sungs­be­schwerde im Verfahren 1 BvR 3139/08 ist zulässig, aber nicht begründet. Die angegriffene Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans für den Tagebau Garzweiler greift nicht in das Grundrecht des Beschwer­de­führers auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) ein.

Gesetz zur Freizügigkeit gewährleistet kein eigenständiges Recht auf Heimat

Art. 11 GG schützt auch das Verbleiben an dem in Freizügigkeit gewählten Ort und damit grundsätzlich auch vor erzwungenen Umsiedlungen. Er berechtigt allerdings nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen. Solche Regelungen berühren jedenfalls dann nicht den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG, wenn sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen treffen sollen. Ein eigenständiges Recht auf Heimat gewährleistet Art. 11 Abs. 1 GG hingegen nicht. Hierdurch entsteht keine Schutzlücke. Die besonderen Belastungen der Betroffenen, die mit dem Verlust der sozialen und räumlich-städtebaulichen Beziehungen einhergehen, finden Berück­sich­tigung im Rahmen des Grund­rechts­schutzes aus Art. 14 Abs. 1 und 3 GG, sofern es sich um Eigen­tum­s­ein­griffe handelt, ansonsten über Art. 2 Abs. 1 GG.

Eingriff in das Eigentum hier verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt

Der Eingriff in das Eigentum (Art. 14 GG) des Beschwer­de­führers durch die Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans ist verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt. Art. 14 GG schützt den konkreten Bestand des Wohneigentums. Zu dem Bestand gehören auch dessen gewachsene Bezüge in sozialer und städtebaulicher Hinsicht. Dieser Schutz gilt ebenso für Eigen­tums­woh­nungen und für das Besitzrecht der Mieter von Wohnräumen.

Tatsächlichen Erfolgs­aus­sichten eines Rechtsbehelfs gegen Grundabtretung verringern sich mit zunehmender Verwirklichung des Tagebau­vor­habens

Die Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans entzieht dem Beschwer­de­führer zwar nicht das Eigentum an seinem Grundstück, greift aber dennoch darin ein. Sie enthält zu seinen Lasten die Feststellung, dass das Tagebauvorhaben grundsätzlich zulassungsfähig ist. Die Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans greift auch deshalb in das Grundeigentum des Beschwer­de­führers ein, weil spätestens mit dieser Entscheidung in den vom Tagebau betroffenen Gemeinden ein Abwan­de­rungs­prozess angestoßen wird, der das soziale und städtebauliche Umfeld zunehmend massiv verändert. Schließlich hat die Zulas­sungs­ent­scheidung auch rechtliche Vorwirkung im Hinblick auf die Rechts­schutz­mög­lich­keiten des Beschwer­de­führers gegen eine spätere Grundabtretung. Jedenfalls für Grundstücke inmitten des Abbaugebiets steht die spätere Inanspruchnahme mit der Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans dem Grunde nach fest. Mit zunehmender Verwirklichung des Tagebau­vor­habens verringern sich die tatsächlichen Erfolgs­aus­sichten eines Rechtsbehelfs gegen die Grundabtretung, soweit der Eigentümer sich auf die Rechts­wid­rigkeit des Vorhabens stützt.

Eigen­tum­s­eingriff nur bei Erfüllung der Voraussetzungen einer Enteignung gerechtfertigt

Aufgrund dieser Vorwirkungen ist der Eigen­tum­s­eingriff, der mit der Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans verbunden ist, nur gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen einer Enteignung jedenfalls dem Grunde nach erfüllt sind. Dies ist der Fall, wenn das mit dem Tagebauvorhaben verfolgte Gemeinwohlziel sich aus einer hinreichend präzisen, gesetzlichen Gemein­wohl­be­stimmung ableiten lässt, das Vorhaben zur Erreichung des Gemeinwohlziels vernünf­ti­gerweise geboten ist, der Entschei­dungs­fin­dungs­prozess verfas­sungs­rechtliche Minde­st­an­for­de­rungen einhält und die Zulassung vertretbar auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtabwägung erfolgt.

Abbau von Braunkohle stellt gesetzlich hinreichend bestimmtes und ausreichend tragfähiges Gemeinwohlziel dar

Mit dem Abbau von Braunkohle wird ein gesetzlich hinreichend bestimmtes und ausreichend tragfähiges Gemeinwohlziel umgesetzt. Es ist zuallererst eine energie­po­li­tische Entscheidung des Bundes und der Länder, mit welchen Energieträgern und in welcher Kombination der verfügbaren Energieträger sie eine zuverlässige Energie­ver­sorgung sicherstellen wollen. Hierbei steht ihnen ein weiter Gestaltungs- und Einschät­zungs­spielraum zur Verfügung. Das Grundgesetz bietet keinen Maßstab für die zu einem bestimmten Zeitpunkt allein verfas­sungs­gemäße oder auch nur verfas­sungs­rechtlich vorzugswürdige Energiepolitik des Bundes oder eines Landes. Vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht können energie­po­li­tische Grund­ent­schei­dungen daher nur darauf überprüft werden, ob sie offensichtlich und eindeutig unvereinbar sind mit verfas­sungs­recht­lichen Wertungen, wie sie insbesondere in den Grundrechten oder den Staats­ziel­be­stim­mungen, hier namentlich dem Umweltschutz (Art. 20a GG), zum Ausdruck kommen.

Energie­po­li­tische Grund­ent­scheidung zur Fortführung der Braun­koh­len­ge­winnung ist verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden

Das Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren hat nicht ergeben, dass die energie­po­li­tische Grund­ent­scheidung des Landes Nordrhein-Westfalen für die mittelfristige Fortführung der Braun­koh­len­ge­winnung - auch soweit sie die konkrete Entscheidung für den Tagebau Garzweiler betrifft - verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden ist. Die Landesregierung führt für ihr Konzept, das die jederzeitige Verfügbarkeit eines traditionellen Rohstoffs für einen sicheren Energiemix in den Vordergrund stellt, gewichtige Gemein­wohl­gründe an. Ihre Bewertung der gravierenden Belastungen für Mensch und Umwelt, die mit dem Abbau und der Verstromung von Braunkohle verbunden sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft. Ob es sich bei dem Konzept um das energie­po­litisch, ökonomisch und ökologisch sinnvollste Energie­ver­sor­gungs­konzept handelt, ist hingegen nicht vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht zu entscheiden.

Braun­koh­len­ge­winnung leistet substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels

Der Braun­koh­len­tagebau Garzweiler ist erforderlich für das Erreichen des Gemeinwohlziels, durch die Gewinnung und Verstromung von Braunkohle einen wesentlichen Beitrag zum angestrebten Energiemix für das Land Nordrhein-Westfalen zu leisten. Es genügt, dass die Braun­koh­len­ge­winnung aus diesem Tagebau einen substantiellen Beitrag zur Erreichung dieses Gemeinwohlziels leistet.

Verfah­rens­schritte für Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans stehen nicht in Widerspruch zu verfas­sungs­recht­lichen Minde­st­an­for­de­rungen

Die gesetzlichen Regelungen für die Zulassung eines Braun­koh­len­ta­ge­bau­vor­habens weisen Defizite auf. Nicht hinreichend klar geregelt ist zum einen das Verhältnis zwischen der Braun­koh­len­planung nach dem nordrhein-westfälischen Landes­pla­nungsrecht und der Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans nach dem Bundes­berg­gesetz sowie zum anderen das Erfordernis einer einheitlichen Gesamtabwägung. Gleichwohl genügen die Regelungen in der vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht gefundenen Deutung noch den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an eine transparente und klare Ausgestaltung des Verfahrens und des materiellen Entschei­dungs­fin­dungs­pro­zesses sowie an eindeutige Verant­wor­tungs­zu­wei­sungen. Die tatsächlichen Verfah­rens­schritte, die zur Zulassung des Rahmen­be­trie­bsplans für den Braun­koh­len­tagebau Garzweiler geführt haben, stehen nicht in Widerspruch zu den verfas­sungs­recht­lichen Minde­st­an­for­de­rungen. Die erforderliche Gesamtabwägung wurde im Fall des Braun­koh­len­ta­gebaus Garzweiler in verfas­sungs­rechtlich letztlich nicht zu beanstandender Weise vorgenommen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist bei der Kontrolle der fachge­richt­lichen und fachbe­hörd­lichen Entscheidungen darauf beschränkt zu überprüfen, ob ihnen bei der Tatsa­che­ner­mittlung verfas­sungs­rechtlich erhebliche Fehler unterlaufen sind oder ob sie bei der Gesamtabwägung die Bedeutung der betroffenen Grundrechte - insbesondere des Art. 14 Abs. 1 GG - oder sonstiger grund­ge­setz­licher Wertungen grundsätzlich verkannt haben.

Abbauvorhaben wird einen nicht unerheblichen Beitrag zur Stromerzeugung leisten

Ausgehend von den erwarteten Braun­koh­le­mengen im geplanten Abbauzeitraum 2001 bis 2045 hat das Oberver­wal­tungs­gericht prognostiziert, dass das Abbauvorhaben einen nicht unerheblichen Beitrag zur Stromerzeugung leisten wird. Es hat das Abbauvorhaben sodann im Hinblick auf die Leitent­schei­dungen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aus den Jahren 1987 und 1991 gewürdigt, auf seine Vereinbarkeit mit der Klima­schutz­politik Deutschlands und der Europäischen Union sowie mit der Staats­ziel­be­stimmung Umweltschutz in Art. 20a GG hinterfragt und für insgesamt hinreichend gewichtig gehalten.

OVG war Dimension der Umsied­lungsfrage bei Entscheidung durchaus bewusst

Die Interessen der Eigentums- und Umsied­lungs­be­troffenen fügen sich in der Summe zu einem besonders gewichtigen Gemein­wohl­belang zusammen, der dem Tagebau entgegensteht. Zwar sind durchaus Zweifel angebracht, ob das Oberver­wal­tungs­gericht diesen zentralen Belang mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung eingestellt hat. Sie erweisen sich jedoch letztlich als nicht durchschlagend. Denn es steht außer Zweifel, dass dem Oberver­wal­tungs­gericht die Dimension der Umsied­lungsfrage nach der Zahl der Betroffenen und den mit der Umsiedlung verbundenen spezifischen Belastungen bekannt und bewusst war. Die große Zahl der rund 7.000 Umsied­lungs­be­troffenen war von Beginn der Planung als ein zentrales Problem dieses Projekts diskutiert worden. Dementsprechend hat sich die Braun­koh­len­planung zum Tagebau Garzweiler, die auch Grundlage der Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts war, intensiv und eingehend mit der Erhebung der Umsied­lungs­be­las­tungen und der Minimierung der Umsied­lungs­folgen befasst.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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