21.11.2024
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Dokument-Nr. 25544

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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.01.2018

Bezeichnung eines rehabilitierten DDR-Justizopfers als Bandit und Anführer einer terroristischen Vereinigung als Meinung­s­äu­ßerung zulässigBverfG zum Grund­rechts­verstoß durch mangelhafte Berück­sich­tigung des politischen Kontexts einer Meinung­s­äu­ßerung

Polemische Kritik an einer Person, die in der frühen DDR-Zeit hingerichtet und später in der Bundesrepublik rehabilitiert wurde, ist als Meinung­s­äu­ßerung von dem Grundrecht der Meinungs­freiheit (Art. 5 Abs. 1) grundsätzlich gedeckt. Ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder von vorneherein unberechtigt ist und ob das in Bezug genommene Urteil grob rechts­s­taats­widrig und unangemessen hart war, spielt für den Schutz der Meinungs­freiheit keine Rolle. Mit dieser Begründung hat das Bundes­verfassungs­gericht auf die Verfassungs­beschwerde eines Internet­seiten­betreibers hin dessen Verurteilung wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener unter Zurück­ver­weisung der Sache aufgehoben, weil die Strafgerichte den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht genügt haben, indem sie den politischen Kontext bei der Deutung der Äußerungen nicht hinreichend berücksichtigt und das entge­gen­stehende Gewicht des Persönlichkeits­rechts des Verstorbenen unzutreffend gewichtet haben.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens ist Inhaber einer Website, auf der er regelmäßig Beiträge veröffentlicht, die sich mit vermeintlichen Missständen bei der Aufarbeitung der DDR beschäftigen. Im Oktober 2005 stellte er einen Beitrag über B. ins Netz, der 1952 vom Obersten Gericht der DDR zum Tode verurteilt und am 2. August 1952 hingerichtet worden war. Anlass des Beitrags war ein Rehabi­li­ta­ti­o­ns­be­schluss des Landgerichts Berlin im September 2005, der das Urteil aus der DDR-Zeit für rechts­s­taats­widrig erklärte und es aufhob. Zu den dem B. in diesem Urteil vorgeworfenen Tathandlungen zählte unter anderem, dass sich B. am illegalen Vertrieb von "Hetzschriften" beteiligt habe, er als Mitglied der KgU ("Kampfgruppe gegen Unmensch­lichkeit") Werksspionage betrieben, ein erfolgloses Attentat mit einem Brandsatz verübt und einen Spreng­stof­f­an­schlag auf eine Eisenbahnbrücke geplant habe. Der Beschwer­de­führer warf der Bundesrepublik in seinem Beitrag "Legalisierung des Terrors gegen die DDR durch Rehabilitierung des KgU-Banditen B." vor und bezeichnete B. als Anführer einer terroristischen Vereinigung. Die Strafgerichte verurteilten den Beschwer­de­führer wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 Euro. Hiergegen richtet sich die Verfas­sungs­be­schwerde.

BverfG bejaht Verletzung des Grundrechts auf Meinungs­freiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen. Die Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts. Sie sind durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen und deshalb als Werturteile anzusehen. Der Schutzbereich ist dabei unabhängig davon eröffnet, ob die Äußerungen sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind.

Das Grundrecht der Meinungs­freiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch der der vorliegenden Verurteilung zugrunde liegende § 189 StGB gehört. Auslegung und Anwendung der Straf­vor­schriften sind grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dabei jedoch eine Gewichtung der Beein­träch­tigung, die der Meinungs­freiheit des sich Äußernden einerseits und dem geschützten Rechtsgut andererseits droht. Wird von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Ausein­an­der­setzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind die Auswirkungen seiner Äußerungen auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, aber nicht eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.

Achtungs­an­spruch Verstorbener reicht nicht weiter als Ehrschutz lebender Personen

Geschützt sind bei Verstorbenen der Achtungs­an­spruch, der dem Betroffenen kraft seines Personseins zusteht wie auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Das Schutzbedürfnis des Verstorbenen schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an ihn verblasst, so dass im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nicht­ver­fäl­schung des Lebensbildes abnimmt. Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungs­an­spruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen.

Entscheidung des Landgerichts misst Kontext der Äußerungen kein hinreichendes Gewicht zu

Diesen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. Das Landgericht sieht den Schwerpunkt der Äußerung des Beschwer­de­führers darin, dem Verhalten des verstorbenen B. einen Makel zu verpassen. Damit misst es dem Kontext der Äußerungen kein hinreichendes Gewicht zu. Das mit der Webseite verfolgte Anliegen des Beschwer­de­führers ist eine Kritik an der Bundesrepublik, deren Umgang mit der DDR-Vergangenheit er für einseitig hält. Ausgehend von den Tatvorwürfen, wegen derer der verstorbene B. verurteilt wurde, bewertet der Beschwer­de­führer die Handlungen des B. als Straftaten und behauptet, die DDR habe ein legitimes Interesse an der Verfolgung dieser Taten gehabt, weshalb man den Verurteilten nicht nachträglich durch die Rehabi­li­ta­ti­o­ns­ent­scheidung als Held ehren dürfe. Diese Äußerung zielt in ihrem Schwerpunkt nicht oder jedenfalls nicht nur darauf, den Verstorbenen als Person verächtlich zu machen, sondern darauf, einen nach Ansicht des Beschwer­de­führers aus politischer Vorein­ge­nom­menheit doppelbödigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und dem gegen sie gerichteten Widerstand anzuprangern. Eine solche Meinung­s­äu­ßerung ist von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich gedeckt. Ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder sie von vorneherein unberechtigt ist, spielt für den Schutz der Meinungs­freiheit keine Rolle. Daran ändert auch nichts, dass das vom Beschwer­de­führer in Bezug genommene Urteil, wie das Landgericht zu Recht darlegt, grob rechts­s­taats­widrig und unangemessen hart war und der Beschwer­de­führer die deswegen ausgesprochene Rehabilitierung des verstorbenen B. in Frage stellt. Der Beschwer­de­führer ist in Anerkennung seiner Meinungs­freiheit weder verpflichtet, die Richtigkeit dieser Maßnahme anzuerkennen, noch die Handlungen des verstorbenen B. unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass in ihnen ein Beitrag zum Widerstand gegen die DDR-Diktatur lag. Der Beschwer­de­führer kritisiert die Rehabilitierung des B., weil gegen diesen Vorwürfe wie die Planung von Spreng­stof­f­an­schlägen erhoben worden waren. Dass der Beschwer­de­führer davon ausgehen musste, dass diese Vorwürfe von vorneherein unwahr oder unberechtigt waren, legt weder das Landgericht dar noch ist dies sonst ersichtlich.

Herabsetzung betrifft im Wesentlichen nur historische Person

Die auf den Umgang mit der DDR-Vergangenheit zielende Kritik ist bei der Beurteilung des Gewichts der Ehrbe­ein­träch­tigung des Verstorbenen in Rechnung zu stellen. Dabei zielt der Schutz des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts auf den Schutz eines fortwirkenden Geltungs­an­spruchs der Person, nicht aber auf eine ausgewogene politische Bewertung historischer Handlungen als solcher. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Herabsetzung nach 60 Jahren Herrn B. im Wesentlichen nur als historische Person betrifft. Wieweit das postmortale allgemeine Persön­lich­keitsrecht unter diesen Umständen eine Ausein­an­der­setzung mit den genaueren Motiven und Umständen der Tat, wie hier dem Ziel des Verstorbenen, für eine freie Gesell­schafts­ordnung zu kämpfen, erforderlich macht, haben die Fachgerichte nicht näher erwogen und in ihrer Abwägung nicht berücksichtigt. Dass der Verstorbene in erheblichem Umfang noch als indivi­du­a­li­sierte Person in der Öffentlichkeit oder durch ihn persönlich verbundene Angehörige und Freunde präsent ist und daraus noch einen besonders gewichtigen perso­na­li­sierten Geltungs­an­spruch ableiten kann, ergibt sich aus den Urteilen nicht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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