21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss26.03.2014

Geringere Geldleistungen für häusliche Pflege gegenüber den Geldleistungen beim Einsatz externer Pflegekräfte nicht verfas­sungs­widrigVerfassungs­beschwerde gegen unter­schiedliche Höhe von Pflege­sach­leistung und Pflegegeld erfolglos

Die geringeren Geldleistungen der gesetzlichen Pflege­ver­si­cherung bei häuslicher Pflege durch Familien­an­ge­hörige gegenüber den Geldleistungen beim Einsatz bezahlter Pflegekräfte verstoßen nicht gegen das Grundgesetz. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Weder der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) erfordert eine Anhebung des Pflegegeldes auf das Niveau der Pflege­sach­leistung.

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen pflegten zuhause ihren Ehemann und Vater, der von seiner privaten Pflege­ver­si­cherung zuletzt Pflegegeld der Pflegestufe III bezog. Entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen sah der private Versi­che­rungs­vertrag vor, dass bei gleicher Pflegestufe das Pflegegeld in geringerer Höhe als der Wert der entsprechenden Sachleistung gewährt wird. In der maßgeblichen, bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung betrug das Pflegegeld der Pflegestufe III 665 Euro, Pflege­sach­leis­tungen waren bis zu einem Gesamtwert von 1.432 Euro erstat­tungsfähig. Im sozial­ge­richt­lichen Verfahren begehrten die Beschwer­de­füh­re­rinnen u. a. den Differenzbetrag zwischen dem Pflegegeld und der höheren Pflege­sach­leistung und machten die Verfas­sungs­wid­rigkeit der unter­schied­lichen Höhe beider Leistungen geltend. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Ungleich­be­handlung in der Höhe der gewährten Leistungen muss durch hinreichende Sachgründe rechtfertigt sein

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG vorliegt.

Als Vergleichs­gruppen sind die Pflege­be­dürftigen zu betrachten, die sich für die Pflege im häuslichen Bereich bei gleicher Pflegestufe entweder für die Pflege­sach­leistung durch externe Pflegekräfte oder für das demgegenüber reduzierte Pflegegeld entscheiden. Diese Entscheidung beruht einerseits auf dem freien Willen­s­ent­schluss der Pflege­be­dürftigen, berührt aber auch deren in Art. 6 Abs. 1 GG geschütztes Recht, die eigenen familiären Verhältnisse selbst zu gestalten. Die Ungleichbehandlung in der Höhe der gewährten Leistungen muss daher durch hinreichende Sachgründe zu rechtfertigen sein. Diese liegen hier vor.

Gesetzgeber Möglichkeit der häuslichen Pflege fördern und ihr Vorrang vor stationärer Unterbringung geben

Sich für ein System zu entscheiden, das den Pflege­be­dürftigen die Wahl lässt zwischen der Pflege in häuslicher Umgebung durch externe Pflegehilfen oder durch selbst ausgewählte Pflegepersonen, liegt in der sozia­l­po­li­tischen Gestal­tungs­freiheit des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber verfolgt das Ziel, bei Sicherstellung einer sachgerechten Pflege die Möglichkeit der häuslichen Pflege zu fördern und ihr Vorrang vor stationärer Unterbringung zu geben. Dafür stellt er zwei unter­schiedliche Leistungs­modelle zur Verfügung: Die häusliche Pflegehilfe ist eine Sachleistung, bei der die Pflege­be­dürftigen die Grundpflege und hauswirt­schaftliche Versorgung durch personelle Hilfe Dritter erhalten. Die Pflegekräfte müssen bei der Pflegekasse selbst oder bei einer zugelassenen ambulanten Pflegeeinrichtung angestellt sein oder als Einzelpersonen mit der Pflegekasse einen Vertrag geschlossen haben. Im Falle des Pflegegeldes hingegen erhalten die Pflege­be­dürftigen eine laufende Geldleistung, für die sie die erforderliche Grundpflege und hauswirt­schaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellen müssen. Die Pflegepersonen sind dann je nach Wahl Angehörige des Pflege­be­dürftigen, ehrenamtliche Pflegepersonen oder mit dem Pflegegeld „eingekaufte“ professionelle Pflegekräfte, die aber in keinem Vertrags­ver­hältnis zur Pflegekasse stehen.

Entscheidung zur familiären Pflege sollte nicht von der Höhe der Vergütung abhängig sein

Das Pflegegeld ist nicht als Entgelt ausgestaltet. Es soll vielmehr im Sinne einer materiellen Anerkennung einen Anreiz darstellen und zugleich die Eigen­ver­ant­wort­lichkeit und Selbst­be­stimmung der Pflege­be­dürftigen stärken, indem diese das Pflegegeld zur freien Gestaltung ihrer Pflege einsetzen können. Während der Zweck der sachgerechten Pflege im Fall der Pflege­sach­leistung nur bei ausreichender Vergütung der Pflegekräfte durch die Pflegekasse sichergestellt ist, liegt der Konzeption des Pflegegeldes der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbar­schaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird. Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die Entscheidung zur familiären Pflege nicht abhängig ist von der Höhe der Vergütung, die eine professionelle Pflegekraft für diese Leistung erhält. Die gegenseitige Beistands­pflicht von Familien­an­ge­hörigen rechtfertigt es, das Pflegegeld in vergleichsweise niedrigerer Höhe zu gewähren.

Anspruch auf finanzielle Förderung oder auf Anhebung des Pflegegeldes auf den Wert der Sachleistung besteht nicht

Der Gesetzgeber hat mit der unter­schied­lichen finanziellen Ausgestaltung entgegen dem Vortrag der Beschwer­de­füh­re­rinnen weder einen Anreiz für Familien­an­ge­hörige geschaffen, sich der familiären Pflege zu entledigen, noch bestraft er willkürlich den Wunsch Angehöriger zur familiären Pflege. Zwar ist der Anreiz zur Pflege­be­reit­schaft umso größer, je mehr der Staat an finanzieller Unterstützung bereitstellt. Daraus erwächst aber kein Anspruch auf finanzielle Förderung oder auf Anhebung des Pflegegeldes auf den Wert der Sachleistung. Der Gesetzgeber darf die Förderung des familiären Zusammenhalts vielmehr auch dadurch verwirklichen, dass er den Pflege­be­dürftigen die Wahl zwischen den verschiedenen Formen der Pflege lässt, und wegen der besonderen Pflich­ten­bindung von Familien­an­ge­hörigen das Pflegegeld lediglich als materielle Anerkennung vorsieht.

Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich nicht aus Förde­rungs­pflicht des Staates herleiten

Aus Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich nichts anderes. Der Schutz von Ehe und Familie umschließt zwar auch im Bereich der Sozia­l­ver­si­cherung die Aufgabe, den wirtschaft­lichen Zusammenhalt der Familie zu fördern. Anders als die Beschwer­de­füh­re­rinnen meinen, geht die Förde­rungs­pflicht des Staates aber nicht so weit, dass es dem Gesetzgeber verwehrt wäre, für die nichtfamiliäre professionelle Pflege höhere Sachleistungen bereitzustellen. Ein derartiges Begüns­ti­gungs­verbot ergibt sich schon deshalb nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG, weil das niedrigere Pflegegeld nicht nur die Pflege durch Familien­an­ge­hörige betrifft. Vielmehr kann die Pflege auch durch nichtfamiliäre ehrenamtliche oder erwerbsmäßige Pflegekräfte erbracht werden. Aber auch insoweit die Pflege in erster Linie durch Angehörige erfolgt, lassen sich aus der Förde­rungs­pflicht der Familie keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen herleiten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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