21.11.2024
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Dokument-Nr. 1944

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Urteil21.02.2006Gerichtshof der Europäischen UnionC 286/03
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.02.2006

Familien­an­ge­höriger eines Grenzgängers hat Anspruch auf Pflegegeld nach Gesetz des Beschäf­ti­gungsortes

Einem mit einem Grenzgänger zusam­men­le­benden Familien­an­ge­hörigen darf ein von den Behörden des Beschäf­ti­gungsortes gewährtes Pflegegeld nicht vorenthalten werden.

Eine Gemein­schafts­ver­ordnung regelt die sozia­l­ver­si­che­rungs­rechtliche Lage der Arbeitnehmer und ihrer Familien­an­ge­hörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Diese Verordnung gilt für alle Rechts­vor­schriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die u. a. Leistungen bei Krankheit betreffen. Sie gilt dagegen nicht für die Rechts­vor­schriften eines Mitgliedstaats, die die in einem Anhang der Verordnung aufgeführten beitrags­u­n­ab­hängigen Sonder­leis­tungen betreffen, deren Geltung auf einen Teil des Gebietes dieses Mitgliedstaats beschränkt ist. In Bezug auf Österreich werden die Leistungen, die aufgrund der Rechts­vor­schriften der Bundesländer an Behinderte und pflege­be­dürftige Personen gewährt werden, als derartige Sonder­leis­tungen angesehen.

Der deutsche Staats­an­ge­hörige Sven Hosse, ein Grenzgänger, ist in Österreich als Lehrer im Land Salzburg beschäftigt. Er unterliegt in Österreich, wo er auch kranken­ver­sichert ist, der Steuer- und Sozia­l­ver­si­che­rungs­pflicht. Er wohnt mit seiner schwer behinderten Tochter, der Klägerin, in Deutschland nahe der öster­rei­chischen Grenze. Für diese Tochter wurde Pflegegeld nach einem Gesetz des Landes Salzburg beantragt. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sich für die Gewährung von Pflegegeld nach diesem Gesetz der Hauptwohnsitz der pflege­be­dürftigen Person im Land Salzburg befinden müsse. Der Oberste Gerichtshof, bei dem ein Rekurs anhängig ist, hat beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verschiedene Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorzulegen.

Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass das fragliche Pflegegeld zwar in dem Anhang der Verordnung, der die beitrags­u­n­ab­hängigen Sonder­leis­tungen enthält, genannt ist. Diese Nennung reicht jedoch für sich allein nicht aus, um das fragliche Pflegegeld vom Geltungsbereich der Verordnung auszunehmen. Die Ausnah­me­vor­schriften der Verordnung, die bestimmte Sonder­leis­tungen von deren Geltungsbereich ausnehmen, sind nämlich eng auszulegen. Solche Ausnahmen können nur für die Leistungen gelten, die die vorgesehenen Ausschluss­vor­aus­set­zungen kumulativ erfüllen, d. h. für die Leistungen, die sowohl Sonder­leis­tungen darstellen als auch beitrags­u­n­ab­hängig sind und die durch Rechts­vor­schriften eingeführt werden, deren Geltung auf einen Teil des Gebietes eines Mitgliedstaats beschränkt ist.

Der Gerichtshof gelangte dann zu der Schluss­fol­gerung, dass das untersuchte Pflegegeld keine beitrags­u­n­ab­hängige Sonderleistung darstellt, sondern eine Leistung bei Krankheit im Sinne der Verordnung. Denn es handelt sich um eine objektiv aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährte Leistung, die darauf abzielt, den Gesund­heits­zustand und die Lebens­be­din­gungen der Pflege­be­dürftigen zu verbessern, und die im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Kranken­ver­si­cherung bezweckt. Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach dem Gesetz des Landes Salzburg ein eigener Anspruch der Tochter und kein von ihrem Vater abgeleiteter Anspruch ist. Diese Situation schließt es aber nicht aus, dass die Tochter, auch wenn sie in Deutschland wohnt, diesen Anspruch geltend machen kann, wenn sie die sonstigen Anspruchs­vor­aus­set­zungen der Verordnung erfüllt. Der Gerichtshof erinnert insoweit daran, dass die Verordnung verhindern soll, dass die Gewährung von Leistungen bei Krankheit davon abhängig gemacht wird, dass die Familien­an­ge­hörigen des Arbeitnehmers im Mitgliedstaat des Beschäf­ti­gungsortes wohnen, damit der Arbeitnehmer der Gemeinschaft nicht davon abgehalten wird, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Folglich verstieße es gegen die Verordnung, wenn der Tochter eines Arbeitnehmers der Genuss einer Leistung vorenthalten würde, auf die sie Anspruch hätte, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnen würde.

Der Gerichtshof gelangt folglich zu dem Ergebnis, dass die Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens vom zuständigen öster­rei­chischen Träger die Zahlung eines Pflegegeldes wie des in Rede stehenden verlangen kann, wenn sie die sonstigen Anspruchs­vor­aus­set­zungen erfüllt, sofern sie nicht nach den Rechts­vor­schriften des Staates, in dem sie wohnt, Anspruch auf eine gleichartige Leistung hat.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 16/06 des EuGH vom 21.02.2006

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