Dokument-Nr. 21505
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- BVerfG: Durchsuchung von Rundfunksender verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigtBundesverfassungsgericht, Beschluss10.12.2010, 1 BvR 1739/04, 1 BvR 2020/04
- Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung: Vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen für Durchsuchung nicht ausreichendBundesverfassungsgericht, Beschluss13.03.2014, 2 BvR 974/12
Bundesverfassungsgericht Beschluss13.07.2015
Durchsuchung von Redaktions- und Privaträumen von Journalisten darf nicht vorrangig der Aufklärung möglicher Straftaten von Informanten dienenDurchsuchung in Presseräumen stellt wegen Störung redaktioneller Arbeit und möglicher einschüchternder Wirkung Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar
Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten durch Informanten aufzuklären. Erforderlich sind vielmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung entfallen lässt. Dies entschied das Bundesverfassungsgerichts und gab damit den Verfassungsbeschwerden eines Journalisten sowie eines Zeitungsverlags gegen Durchsuchungsmaßnahmen statt.
Die Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Verfahrens sind ein Journalist sowie ein Zeitungsverlag. Im Frühjahr 2011 reiste der Journalist nach Amsterdam, um über das Verschwinden zweier Kinder in den 1990er Jahren zu recherchieren. Dabei wurde er von dem Polizeioberkommissar N. begleitet, der eine Rechnung über 3.149,07 Euro an die Chefredaktion der Beschwerdeführerin stellte. Sie endet mit den Worten: "Wegen der Konspirativität in dieser Sache bitte ich um Barauszahlung". Auf diese Rechnung stießen die Ermittlungsbehörden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen N. wegen Geheimnisverrats (§ 353 b Strafgesetzbuch - StGB). N. stand in Verdacht, eine geplante Razzia der Berliner Polizei im Rockermilieu an Journalisten weitergegeben zu haben. Über die bevorstehende Razzia hatte jedoch nicht der Zeitungsverlag vorab berichtet, sondern ein mit diesem nicht in Zusammenhang stehendes Online-Portal.
Durchsuchung der Redaktion und der Privaträume des Journalisten wegen Verdachts der Bestechung
Im November 2012 wurden das Redaktionsgebäude des Zeitungsverlags sowie die Privatwohnung des Journalisten wegen des Verdachts der Bestechung (§ 334 Strafgesetzbuch - StGB) durchsucht. Der Durchsuchungsbeschluss stützte sich auf eine Zahlung des Journalisten an N. in Höhe von 100 Euro sowie auf die genannte Rechnung. Aufgrund der Heimlichkeit der Reise, des ungewöhnlich hohen Tagessatzes von 500 Euro sowie der Bitte um konspirative Abrechnung bestehe der Verdacht, dass die von N. für die Zeitung erledigten Tätigkeiten dienstlichen Bezug hätten. Nach Darstellung der Beschwerdeführer sei N. jedoch außerhalb seiner Dienstzeit als Sicherheitsexperte für die Recherchereise nach Amsterdam engagiert worden. Die 100 Euro seien N. für den Kauf von zwei Jacken ausgelegt und später von ihm zurückgezahlt worden.
Durchsuchung betrifft Schutzbereich der Pressefreiheit
Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Verfassungsbeschwerden für begründet. Der Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ist eröffnet. Sie umfasst den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann. Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar.
Beschlagnahme gefundener Gegenstände verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt
Der Eingriff durch die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme der dort gefundenen Gegenstände ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Pressefreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) sind als allgemeine Gesetze anerkannt, müssen allerdings im Lichte dieser Grundrechtsverbürgung gesehen werden. Es bedarf einer Zuordnung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Freiheit und des durch die einschränkenden Vorschriften geschützten Rechtsgutes. Eine solche Zuordnung hat der Gesetzgeber vorgenommen, indem er einerseits die allgemeine Zeugnispflicht von Medienangehörigen in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO und korrespondierend hierzu Beschlagnahmen bei Journalisten und in Redaktionsräumen in § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO eingeschränkt hat, andererseits aber ein Beschlagnahmeverbot in § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO bei strafrechtlicher Verstrickung des Zeugen oder der Sache ausgeschlossen hat. Auf diese Weise hat der Gesetzgeber jedenfalls im Grundsatz einen tragfähigen Ausgleich zwischen dem Schutz der Institution einer freien Presse auf der einen Seite und dem legitimen Strafverfolgungsinteresse auf der anderen Seite geschaffen, wobei offen bleiben kann, ob er den Schutz der Presse und des Rundfunks weiter hätte ziehen oder stärker hätte beschränken dürfen.
Diese Normen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings keine abschließenden Regelungen. Auch wenn § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht anwendbar ist, weil ein Journalist selbst (Mit-) Beschuldigter ist, bleibt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für die Auslegung und Anwendung der strafprozessualen Normen über Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Redaktionen oder bei Journalisten von Bedeutung.
Durchsuchung bedarf zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Straftat
Im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber geregelt, dass Beihilfehandlungen zum Geheimnisverrat nach Maßgabe des § 353 b Abs. 3a StGB nicht mehr als rechtswidrig anzusehen sind. Strafbar bleiben demgegenüber die Anstiftung zum Geheimnisverrat sowie Beihilfehandlungen, die der Vollendung der Haupttat vorausgehen oder über das Entgegennehmen und Veröffentlichen der Information hinausgehen. Hierzu soll insbesondere die Zahlung von Honorar für dienstlich erlangte Informationen zu rechnen sein. Unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG kann dies jedoch dann nicht gelten, wenn die Durchsuchung und Beschlagnahme nicht auf einen konkreten Verdacht gerade gegenüber den betroffenen Presseangehörigen gestützt ist, sondern dem vorrangigen oder ausschließlichen Zweck dient, Verdachtsgründe gegen den Informanten zu finden. Vielmehr erfordert eine Durchsuchung zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz des § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO entfallen lässt. Ein bloß allgemeiner Verdacht, dass dienstliche Informationen an die Presse weitergegeben wurden, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
Ausreichend tatsächliche Anhaltspunkten für Straftat im vorliegenden Fall nicht erkennbar
Im vorliegenden Fall ging es den Strafverfolgungsbehörden, wie auch in dem angefochtenen landgerichtlichen Beschluss deutlich wird, zumindest vorwiegend um die Ermittlung belastender Tatsachen gegen einen Informanten aus Polizeikreisen. Diesem sollen Geldbeträge für Informationen zu bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen gezahlt worden sein. Bezogen auf dessen Kontakt zu den Beschwerdeführern handelt es sich jedoch um bloße Mutmaßungen. Zum einen berichtete nicht der beschwerdeführende Zeitungsverlag über die bevorstehende Razzia, sondern ein mit diesem nicht zusammenhängendes Online-Portal. Weder dem Durchsuchungsbeschluss noch der Beschwerdeentscheidung ist zum anderen zu entnehmen, für welche Informationen Geld gezahlt worden sein soll. Der Tatbestand der Bestechung verlangt jedoch schon einfachrechtlich die Vornahme einer hinreichend konkreten Diensthandlung. In Bezug auf die Beschwerdeführer mangelt es daher an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz entfallen lässt.
Nutzen eines auf eine fingierte Person angemeldeten "Journalisten-Handys" lässt nicht zwingend auf Bestechung schließen
Ferner lässt sich aus dem bloßen Umstand, dass der mitbeschuldigte Polizeibeamte ein auf eine fingierte Person angemeldetes "Journalisten-Handy" nutzte, nicht auf einen Tatverdacht der Bestechung gerade gegen die Beschwerdeführer schließen. Auf dem Handy waren die Namen des Beschwerdeführers und eines Journalisten des Online-Portals gespeichert. Dies mag dafür sprechen, dass der Informant dienstliche Geheimnisse an Journalisten weitergegeben hat. Wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informantenschutzes rechtfertigt das bloße Interesse der Strafverfolgungsbehörden, dies zu erfahren, jedoch keine Durchsuchung in den Redaktionsräumen von Presseorganen, sofern nicht erkennbar ist, dass auch gegen diese selbst strafrechtlich relevante Vorwürfe zu erheben sind. Was für eine Weitergabe der Informationen über eine Razzia gerade an den Beschwerdeführer sprechen soll, obwohl ein anderes Online-Magazin, für das der andere eingespeicherte Journalist tätig war, über diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen vorab berichtete, bleibt unklar.
Auch aus dem Vermerk auf der Rechnung lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine Bestechung schließen. Die Rechnung bezog sich auf die Reise nach Amsterdam, für deren Ermöglichung sich der Beamte dienstunfähig gemeldet hatte. Es erscheint daher nicht fernliegend, dass der Beamte disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen der falschen Krankmeldung und mangelnden Nebentätigkeitsgenehmigung befürchtete. Ein Verdacht gegenüber den Beschwerdeführern folgt hieraus jedoch nicht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.08.2015
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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