24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.12.2010

BVerfG: Durchsuchung von Rundfunksender verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigtUnerlaubte Mitschnitte eines Telefon­ge­sprächs rechtfertigen Art und Weise der erfolgten Durchsuchung nicht

Die Verfas­sungs­be­schwerden gegen die Anordnung der Durchsuchung von Geschäftsräumen eines Rundfunksenders und die Sicherstellung seiner Redak­ti­o­ns­un­terlagen waren vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht erfolgreich.

Im vorliegenden Fall ist der Beschwer­de­führer ein eingetragener Verein und betreibt einen lokalen Rundfunksender. Im Rahmen einer von ihm im Oktober 2003 ausgestrahlten Sendung wurde ein Beitrag gesendet, der sich mit angeblichen Übergriffen von Polizeibeamten bei einer Demonstration beschäftigte. Ein unbekannt gebliebener Moderator spielte die Mitschnitte von zwei Telefon­ge­sprächen ein, die zwischen einem Pressesprecher der Polizei und einer Person geführt worden waren, die sich in den Telefon­ge­sprächen als ein Mitarbeiter des Senders mit Namen vorgestellt hatte. Auf die Strafanzeige des Landes­kri­mi­nalamtes leitete die Staats­an­walt­schaft ein Ermitt­lungs­ver­fahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 StGB) ein; nach dem Bekunden des Pressesprechers sei eine Aufzeichnung der Telefon­ge­spräche nicht vereinbart worden.

Staats­an­walt­schaft ordnet Durchsuchung an

Auf Antrag der Staats­an­walt­schaft ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschwer­de­führers an. Es lägen begründete Tatsachen für die Annahme vor, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen werde, insbesondere des die Gespräche wiedergebenden Tonträgers, sowie von Unterlagen, die Aufschluss über die Identität des Anrufers und der weiteren Verant­wort­lichen gäben.

LG weist Beschwerde als unbegründet zurück

Das Landgericht wies die hiergegen erhobene Beschwerde als unbegründet zurück. Der Durch­su­chungs­a­n­ordnung stehe im Hinblick auf den gesuchten Tonträger und die Unterlagen nicht das Beschlag­nah­me­verbot aus § 97 Abs. 5 StPO entgegen. Sie sei auch nicht unver­hält­nismäßig, da es sich bei § 201 StGB nicht um ein Bagatelldelikt handele und die Durchsuchung keinen schweren Eingriff in den Sendebetrieb des Beschwer­de­führers darstelle.

Notizen und diverse Aktenordner beschlagnahmt

Im Zuge der Durchsuchung wurden Grund­flä­chen­s­kizzen und Lichtbilder von allen Räumlichkeiten der Rundfunkanstalt angefertigt sowie ein Notizbuch und diverse Aktenordner mit Redak­ti­o­ns­un­terlagen sichergestellt, von denen die Staats­an­walt­schaft vor ihrer Rückgabe an den Beschwer­de­führer teilweise Kopien fertigte. Während der Durchsuchung gab sich ein Mitarbeiter des Beschwer­de­führers als Anrufer zu erkennen.

AG weist Anträge auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit zurück

Die Anträge des Beschwer­de­führers auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der vorgenannten Ermitt­lungs­maß­nahmen sowie auf Vernichtung der gefertigten Skizzen, Lichtbilder und Kopien wies das Amtsgericht durch weiteren Beschluss zurück; die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem Landgericht ohne Erfolg.

Beschuldigter Mitarbeiter mit Geldstrafen verwarnt

Der beschuldigte Mitarbeiter wurde wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 18 Euro verwarnt. Von der Strafverfolgung hinsichtlich eines weiteren Beschuldigten, der im Zuge der Durchsuchung eingeräumt hatte, an der Ausstrahlung der Radiosendung beteiligt gewesen zu sein, wurde gemäß § 153 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit abgesehen.

Beschwer­de­führer fühlt sich in Grundrecht auf Rundfunk­freiheit verletzt

Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde im Verfahren 1 BvR 1739/04 wendet sich der Beschwer­de­führer gegen die Anordnung der Durchsuchung seiner Redaktionsräume. Seine Verfas­sungs­be­schwerde im Verfahren 1 BvR 2020/04 richtet sich gegen die Entscheidungen, mit denen die Art und Weise der Durchführung der Durchsuchung sowie die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme seiner Redak­ti­o­ns­un­terlagen bestätigt wurden. Er rügt unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts auf Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

BVerfG: AG muss erneut entscheiden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat in beiden Verfahren - im Verfahren 1 BvR 2020/04 zumindest überwiegend - die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie den Beschwer­de­führer in seiner Rundfunk­freiheit verletzen. Die Sache ist jeweils zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen worden.

Vertraulichkeit der Redak­ti­o­ns­arbeit auch durch Grundrecht geschützt

Den Entscheidungen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Das Grundrecht der Rundfunk­freiheit schützt in seiner objektiven Bedeutung die institutionelle Eigen­stän­digkeit des Rundfunks von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen. Von diesem Schutz ist auch die Vertraulichkeit der Redak­ti­o­ns­arbeit umfasst, die es staatlichen Stellen grundsätzlich verwehrt, sich einen Einblick in die Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden. Unter das Redak­ti­o­ns­ge­heimnis fallen auch organi­sa­ti­o­ns­be­zogene Unterlagen, aus denen sich Arbeitsabläufe, Projekte oder die Identität der Mitarbeiter einer Redaktion ergeben. Sowohl die Anordnung der Durchsuchung der Räume des Beschwer­de­führers als auch die fachge­richt­lichen Entscheidungen, die die bild- und skizzenhafte Dokumentation der Redaktionsräume und die Mitnahme redaktioneller Unterlagen sowie die Anfertigung von Ablichtungen hiervon als rechtmäßig erachten, greifen daher in die Rundfunk­freiheit ein.

Diese Eingriffe sind verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt.

Keine tragfähige Verhält­nis­mä­ßigkeit für Durchsuchung erkennbar

Die im Verfahren 1 BvR 1739/04 angegriffenen Entscheidungen zur Anordnung der Durchsuchung lassen eine tragfähige Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Durchsuchung vermissen. Nicht zu beanstanden ist zwar die Annahme, dass ein die Durch­su­chungs­a­n­ordnung hinderndes Beschlag­nah­me­verbot in den Räumen der Rundfunkanstalt des Beschwer­de­führers jedenfalls gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO entfallen sei, weil einzelne Mitarbeiter der Teilnahme an der Straftat verdächtig seien. Jedoch ist auch dann, wenn im Einzelfall die presse­s­pe­zi­fischen Beschlag­nah­me­verbote der Straf­pro­zess­ordnung nicht greifen, im Zuge der gebotenen Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung den Ausstrah­lungs­wir­kungen der Rundfunk­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung zu tragen. Dies verlangt eine tragfähige Gewichtung des sich auf die konkret zu verfolgenden Taten beziehenden Straf­ver­fol­gungs­in­teresses einerseits und der mit der Durchsuchung verbundenen Beein­träch­ti­gungen der Rundfunk­freiheit andererseits. Dem genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht, da sie sich darauf beschränken, zur Beurteilung der Verhält­nis­mä­ßigkeit der Durchsuchung das Straf­ver­fol­gungs­in­teresse nur abstrakt zu bestimmen und ihm allein die tatsächlichen Behinderungen der Sendetätigkeit gegen­über­zu­stellen. Vielmehr wäre zum einen das Interesse an der Verfolgung der konkreten Tat zu gewichten gewesen, weil diese nicht offensichtlich so schwer wiegt, dass sie ohne Weiteres erhebliche Eingriffe in die Rundfunk­freiheit rechtfertigen kann. Zum anderen wären zur Gewichtung der Schwere des Eingriffs in die Rundfunk­freiheit nicht nur die tatsächlichen Behinderungen der Sendetätigkeit zu berücksichtigen gewesen, sondern auch die Auswirkungen der straf­pro­zes­sualen Maßnahmen auf das Medienorgan als solches. Insbesondere ist zu erwägen, ob die Ermitt­lungs­maßnahme auf die räumliche Sphäre einzelner Journalisten beschränkt werden kann oder ob sie sich zwangsläufig auf eine gesamte Redaktion erstrecken muss. Die Durchsuchung der Räume eines Rundfunksenders hat regelmäßig eine Störung des Vertrau­ens­ver­hält­nisses der Rundfunkanstalt zu ihren Informanten zur Folge. Zudem kann von einer unein­ge­schränkten Durchsuchung eine erhebliche einschüchternde Wirkung auf das betroffene Presseorgan ausgehen, die geeignet sein kann, die Bereitschaft der Redaktion oder einzelner an der Tat nicht beteiligter Redak­ti­o­ns­mi­t­a­r­beiter erheblich zu beeinträchtigen, in Zukunft auch staatliche Angelegenheiten zum Gegenstand kritischer Recherchen und Berich­t­er­stattung zu machen.

Beein­träch­tigung der Rundfunk­freiheit muss vermieden werden

Die Ermitt­lungs­be­hörden sind ebenso gehalten, eine übermäßige Beein­träch­tigung der Rundfunk­freiheit durch den Vollzug der Durchsuchung eines Rundfunksenders zu vermeiden.

Soweit die im Verfahren 1 BvR 2020/04 angegriffenen Entscheidungen die Anfertigung von Ablichtungen der mitgenommenen Redak­ti­o­ns­un­terlagen als rechtmäßig billigen, sind sie mit dem Grundrecht des Beschwer­de­führers auf Rundfunk­freiheit nicht vereinbar, da den von ihr umfassten Belangen im Zuge der Beurteilung der Verhält­nis­mä­ßigkeit der Maßnahme nicht hinreichend Rechnung getragen worden ist. Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte die Beschlagnahme der Unterlagen zur Aufklärung der Identität der an der Radiosendung beteiligten Personen für erforderlich gehalten und den Ablichtungen eine hinreichende Beweisbedeutung für das Ermitt­lungs­ver­fahren beigemessen haben. Ebenso war es hier wiederum vertretbar, das Vorliegen eines presse­s­pe­zi­fischen Beschlag­nah­me­verbotes nach § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO zu verneinen. Mit dieser Prüfung durfte es aber nicht sein Bewenden haben. Wie im Verfahren 1 BvR 1739/04 fehlt es auch hier an der gebotenen Angemes­sen­heits­prüfung. Hierbei hätte neben der eher geringen Schwere der konkreten Tat berücksichtigt werden müssen, dass sich ein Mitarbeiter des Beschwer­de­führers während der Durchsuchung bereits zu seinen Handlungen bekannt hatte. Ebenso ist nicht ersichtlich, ob die Fachgerichte andererseits die erhebliche Beein­träch­tigung des von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfassten Schutzes der Vertraulichkeit der Redak­ti­o­ns­arbeit, die mit einer beschlag­nah­me­er­set­zenden Ablichtung von Unterlagen über Arbeitsweise und Mitarbeiter zweier Redak­ti­o­ns­ab­tei­lungen eines Rundfun­kun­ter­nehmens einhergeht, in die Abwägung einbezogen haben.

Erfor­der­lichkeit für Anfertigungen von Skizzen nicht erkennbar

Auch soweit die Fachgerichte die Anfertigung der Lichtbilder und Grund­flä­chen­s­kizzen der durchsuchten Räume für rechtmäßig erachtet und die entsprechenden Löschungs­anträge deshalb abgewiesen haben, sind die Entscheidungen mit der Rundfunk­freiheit des Beschwer­de­führers nicht vereinbar. Zum einen ist die Erfor­der­lichkeit einer ausführlichen Dokumentation, die Fotografien und Skizzen von allen Räumen des Senders umfasste, nicht ersichtlich. Selbst die Relevanz einer Dokumentation des Fundortes der sicher­ge­stellten Aktenordner ist den angegriffenen Entscheidungen nicht zu entnehmen; dieser ist vielmehr in den gefertigten Skizzen gar nicht vermerkt worden. Zum anderen haben die Fachgerichte auch hier bei der Beurteilung der Verhält­nis­mä­ßigkeit der Ermitt­lungs­maß­nahmen die mit ihr verbundenen Beein­träch­ti­gungen der grundrechtlich geschützten Vertraulichkeit der Redak­ti­o­ns­arbeit nicht in ihre Abwägung eingestellt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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