23.11.2024
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Urteil19.02.2013Bundesverfassungsgericht1 BvL 1/11 und 1 BvR 3247/09
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • EuGRZ 2013, 79Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ), Jahrgang: 2013, Seite: 79
  • FamRZ 2013, 521Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2013, Seite: 521
  • FuR 2013, 270Zeitschrift: Familie und Recht (FuR), Jahrgang: 2013, Seite: 270
  • jurisPR-FamR 22/2013, Anm. 6, Mathias Zschiebschjuris PraxisReport Familien- und Erbrecht (jurisPR-FamR), Jahrgang: 2013, Ausgabe: 22, Anmerkung: 6, Autor: Mathias Zschiebsch
  • NJW 2013, 847Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 847
  • NVwZ 2013, 1207Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2013, Seite: 1207
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Urteil19.02.2013

Nichtzulassung der Sukzes­si­va­d­option durch eingetragene Lebenspartner verfas­sungs­widrigBVerfG lässt Sukzes­si­va­d­option bis zur gesetzlichen Neuregelung auch für eingetragene Lebenspartner­schaften zu

Die Nichtzulassung der sukzessiven Adoption angenommener Kinder eingetragener Lebenspartner durch den anderen Lebenspartner verletzt sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleich­be­handlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2014 eine verfas­sungs­gemäße Regelung zu treffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist das Lebenspartner­schaftsgesetz mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Sukzes­si­va­d­option auch für eingetragene Lebenspartner­schaften möglich ist.

Die beiden zugrunde liegenden Verfahren betreffen Personen, die eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft begründet haben und mit ihren Partnern und einem von diesen adoptierten Kind in einem Haushalt leben. Sie beabsichtigen nunmehr, das jeweilige Kind ebenfalls zu adoptieren.

Hintergrund

Nach derzeit geltendem Recht ist die Adoption des leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners möglich (so genannte Stief­kin­da­d­option, § 9 Abs. 7 LPartG). Nicht eröffnet ist hingegen die hier in Rede stehende Adoption des vom eingetragenen Lebenspartner angenommenen Kindes (so genannte Sukzes­si­va­d­option). Ehegatten wird demgegenüber nach § 1742 BGB sowohl die Möglichkeit der Stief­kin­da­d­option als auch die der Sukzes­si­va­d­option eingeräumt. Beiden Ausgangs­ver­fahren liegt daher die Fragestellung zugrunde, ob der Ausschluss der sukzessiven Adoption durch den eingetragenen Lebenspartner des zunächst Annehmenden mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Nicht zur Überprüfung steht dagegen die Frage, ob der Ausschluss eingetragener Lebenspartner von der so genannten gemein­schaft­lichen Adoption verfas­sungs­konform ist.

Verfahren 1 BvR 3247/09: Beschwer­de­führerin rügt Verletzung des Gleich­heits­satzes und des Schutzes der Familie

Die Beschwer­de­führerin des Verfahrens 1 BvR 3247/09 hat im Jahr 2005 eine Leben­s­part­ner­schaft begründet. Ihre Lebenspartnerin hatte zuvor ein in Bulgarien geborenes Kind adoptiert. Die Beschwer­de­führerin und ihre Lebenspartnerin leben mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt. Im Jahr 2008 stellte die Beschwer­de­führerin einen Antrag auf Adoption des Kindes ihrer Lebenspartnerin. Die Fachgerichte lehnten diesen Antrag ab (zuletzt OLG Hamm, Beschluss v. 01.12.2009 - 15 Wx 236/09 -). Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde wendet sich die Beschwer­de­führerin gegen sämtliche Beschlüsse der Fachgerichte sowie mittelbar gegen § 9 Abs. 7 LPartG. Sie rügt die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 (Gleichheitssatz) und Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie).

Verfahren 2 BvL 1/11: Amts- und Landgericht lehnen Adoptionsantrag ab

Dem konkreten Normen­kon­troll­ver­fahren 1 BvL 1/11 liegt ein Vorla­ge­be­schluss des Hanseatischen Oberlan­des­ge­richts Hamburg vom 22. Dezember 2010 zugrunde. Die Beteiligten des Ausgangs­ver­fahrens haben im Dezember 2002 eine Leben­s­part­ner­schaft begründet. Einer der Lebenspartner hatte kurz zuvor ein in Rumänien geborenes Kind adoptiert. Das Kind lebt im gemeinsamen Haushalt der Beteiligten, die die elterliche Betreuung gemeinsam übernehmen. Der andere Lebenspartner beabsichtigt, das Kind ebenfalls zu adoptieren. Amts- und Landgericht lehnten den Adoptionsantrag ab. Das Hanseatische Oberlan­des­gericht setzte das Verfahren aus und legte dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vor, ob die Verwehrung der sukzessiven Adoption durch den Lebenspartner des zunächst Annehmenden gemäß § 9 Abs. 7 LPartG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. Hanseatisches Oberlan­des­gericht in Hamburg, Beschluss v. 23.12.2010 - 2 Wx 23/09 -).

OLG hält Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft für nicht gerechtfertigt

Das Hanseatische Oberlan­des­gericht führte unter anderem aus, dass die aus § 9 Abs. 7 LPartG und § 1742 BGB folgende Verwehrung der sukzessiven Adoption durch den Lebenspartner des zunächst Annehmenden gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, da die diesbezügliche Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft nicht gerechtfertigt sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass das leibliche Kind eines Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner adoptiert werden könne, nicht aber das von einem Lebenspartner bereits allein adoptierte Kind, obwohl das einzeln adoptierte Kind ein viel größeres Bedürfnis nach einer weiteren Absicherung haben dürfte als ein leibliches Kind.

BVerfG bejaht Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes bei Ausschluss der Sukzes­si­va­d­option für eingetragene Lebenspartner

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass der Ausschluss der Sukzes­si­va­d­option durch eingetragene Lebenspartner den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Dabei kommt ein - gegenüber dem bloßen Willkürverbot - deutlich strengerer Prüfungsmaßstab zur Anwendung. Mit Blick auf die Ungleich­be­handlung der betroffenen Kinder gilt dies schon deshalb, weil Grundrechte berührt sind, die für die Persön­lich­keits­ent­faltung der Kinder wesentlich sind. Auch die Rechtfertigung der Ungleich­be­handlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern unterliegt hohen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen, weil sie die sexuelle Identität betrifft.

Ungleich­be­handlung nicht gerechtfertigt

Die Ungleich­be­handlung der betroffenen Kinder im Verhältnis zu adoptierten Kindern von Ehepartnern ist nicht gerechtfertigt. Gleiches gilt für die Ungleich­be­handlung der betroffenen Lebenspartner im Verhältnis zu Ehegatten, denen eine Sukzes­si­va­d­option möglich ist.

Adoption durch eingetragenen Lebenspartner unterscheidet sich nicht von der durch Ehepartner

Generell soll mit der Beschränkung von Sukzes­si­va­d­op­tionen insbesondere der Gefahr entgegengewirkt werden, dass ein Kind konkurrierenden Elternrechten ausgesetzt ist, die widersprüchlich ausgeübt werden könnten. Zum Wohle des Kindes soll zudem verhindert werden, dass es im Wege der sukzessiven Adoption von Familie zu Familie weitergegeben wird. Weil diese Gefahren für gering gehalten werden, wenn es sich bei den Eltern um Ehepartner handelt, ist die Sukzes­si­va­d­option durch Ehepartner zugelassen. Die Adoption durch den eingetragenen Lebenspartner unterscheidet sich jedoch in beiden Aspekten nicht von der durch den Ehepartner. Insbesondere ist die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft gleichermaßen auf Dauer angelegt und durch eine verbindliche Verant­wor­tungs­übernahme geprägt wie eine Ehe.

Kindeswohl durch Sukzes­si­va­d­option nicht beeinträchtigt

Der Ausschluss der Sukzes­si­va­d­option ist nicht damit zu rechtfertigen, dass dem Kind das Aufwachsen mit gleich­ge­schlecht­lichen Eltern schade. Es ist davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können wie die einer Ehe. Bedenken, die sich gegen das Aufwachsen von Kindern in gleich­ge­schlecht­lichen Eltern­ge­mein­schaften im Allgemeinen richten, wurden in der ganz überwiegenden Zahl der sachver­ständigen Stellungnahmen zurückgewiesen. Im Übrigen wäre der Ausschluss der Sukzes­si­va­d­option ungeeignet, etwaige Gefahren solcher Art zu beseitigen, denn er kann, darf und soll nicht verhindern, dass das Kind mit seinem Adopti­v­el­ternteil und dessen gleich­ge­schlecht­lichem Lebenspartner zusammenlebt. Weder die Einzeladoption durch homosexuelle Menschen noch das faktische Zusammenleben eingetragener Lebenspartner mit dem Kind eines der beiden Partner ließen sich ohne gravierende Verstöße gegen das Grundgesetz unterbinden. Das Leben­s­part­ner­schafts­gesetz unterstützt deren familiäres Zusammenleben vielmehr, indem es gerade für diesen Fall Regelungen trifft, die dem Lebenspartner, der nicht Elternteil im Rechtssinne ist, elterntypische Befugnisse einräumen, einschließlich der Möglichkeit, einen gemeinsamen Leben­s­part­ner­schaftsnamen zu verwenden. Auch die Sukzes­si­va­d­option an sich beeinträchtigt das Kindeswohl nicht, sondern ist diesem in den hier zu beurteilenden Konstellationen regelmäßig zuträglich. Nach Einschätzung der angehörten Sachver­ständigen ist sie geeignet, stabilisierende entwick­lungs­psy­cho­lo­gische Effekte zu entfalten. Ferner verbessert sie die Rechtsstellung des Kindes bei Auflösung der Leben­s­part­ner­schaft durch Trennung oder Tod. Dies betrifft zum einen das Sorgerecht, das dann im Fall der Trennung unter Berück­sich­tigung des Kindeswohls von Fall zu Fall angemessen geregelt werden kann. Zum anderen gilt dies in materieller Hinsicht, denn ein Kind profitiert von der doppelten Elternschaft insbesondere in unterhalts- und erbrechtlicher Hinsicht. Schließlich ist eine Gefährdung des Kindeswohls durch Zulassung der Sukzes­si­va­d­option auch deshalb nicht zu befürchten, weil jeder Adoption - auch der Sukzes­si­va­d­option - eine Einzel­fa­ll­prüfung vorausgeht, bei der etwaige individuelle Nachteile der konkret in Frage stehenden Adoption berücksichtigt werden.

Der Ausschluss der Sukzes­si­va­d­option wird nicht durch den Zweck gerechtfertigt, eine Umgehung der gesetz­ge­be­rischen Entscheidung gegen die Zulassung der gemein­schaft­lichen Adoption durch zwei eingetragene Lebenspartner zu verhindern. Dabei bedarf hier keiner Entscheidung, ob der Ausschluss der gemein­schaft­lichen Adoption mit dem Grundgesetz vereinbar ist, obgleich das Gesetz diese für Eheleute zulässt.

Schutz der Ehe rechtfertigt nicht Benachteiligung angenommener Kinder eines Lebenspartners

Der durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotene besondere Schutz der Ehe rechtfertigt nicht die Benachteiligung angenommener Kinder eines Lebenspartners gegenüber angenommenen Kindern eines Ehepartners. Zwar ist es dem Gesetzgeber wegen des verfas­sungs­recht­lichen Schutzes der Ehe grundsätzlich nicht verwehrt, diese gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Zur Rechtfertigung der Benachteiligung vergleichbarer Lebens­ge­mein­schaften bedarf es jedoch eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der hier nicht gegeben ist.

Adoption eines leiblichen Kindes oder eines angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners bedarf keiner unter­schied­lichen Behandlung

Auch zwischen der Adoption eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners und der Adoption eines angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners bestehen keine Unterschiede solcher Art, die eine unter­schiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. Das Recht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung, das Eltern­grundrecht und das Famili­en­grundrecht sind hingegen - für sich genommen - nicht verletzt.

Kind hat Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung

Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Grund­rechts­schutz erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Die Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Spielraums sind hier nicht überschritten. Die betroffenen Kinder sind nicht elternlos, sondern haben einen Elternteil im Rechtssinne. Zudem hat der Gesetzgeber anderweitig Sorge dafür getragen, dass der Lebenspartner des Adopti­v­el­ternteils in gewissem Umfang elterliche Aufgaben wahrnehmen kann, indem ihm praktisch wichtige elterntypische Befugnisse verliehen werden (vgl. § 9 Abs. 1 und Abs. 2 LPartG).

Grundgesetzlich geschütztes Elternrecht durch Versagen der Adoption nicht verletzt

Dass ein eingetragener Lebenspartner das angenommene Kind seines Partners nicht adoptieren kann, verletzt nicht das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht. Zwar schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur verschie­den­ge­schlechtliche Eltern, sondern auch zwei Elternteile gleichen Geschlechts. Dies folgt schon aus der Kindes­wohl­funktion des Eltern­grund­rechts. Auch der Wortlaut des Eltern­grund­rechts bzw. abweichende historische Vorstellungen stehen einer Anwendung auf zwei Personen gleichen Geschlechts nicht entgegen. Jedoch begründet ein allein soziales-familiäres Eltern­ver­hältnis zum Kind des Lebenspartners keine verfas­sungs­rechtliche Elternschaft. Träger des verfas­sungs­recht­lichen Elternrechts können grundsätzlich nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch einfach­ge­setzliche Zuordnung begründeten Eltern­ver­hältnis zum Kind stehen.

Gesetzgeber kommt bei rechtlicher Ausgestaltung der Familie ein Spielraum zu

Schließlich verletzt der Ausschluss der Sukzes­si­va­d­option auch nicht das durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierte Famili­en­grundrecht. Zwar bildet die sozial-familiäre Gemeinschaft aus eingetragenen Lebenspartnern und dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie. Jedoch kommt dem Gesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ein Spielraum zu. Dieser ist durch die Verwehrung der Sukzes­si­va­d­option nicht überschritten. Der Gesetzgeber ist durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht verpflichtet, in jedem Fall einer faktischen Eltern-Kind-Beziehung das volle Elternrecht zu gewähren.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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