21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.05.2013

"Landes­kinder­regelung" im früheren Bremischen Studien­kon­ten­gesetz verfas­sungs­widrigErhebung von Studiengebühren allein bei auswärtig Studierenden verstößt es gegen Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang

Die in Bremen zwischen dem Wintersemester 2005/2006 und dem Sommersemester 2010 geltende Studien­gebühren­regelung ist verfas­sungs­widrig. Dies hat das Bundes­verfassungs­gericht entschieden. Zwar ergibt sich aus der Verfassung kein grundsätzliches Verbot allgemeiner Studiengebühren, solange sie nicht prohibitiv wirken und sozia­l­ver­träglich ausgestaltet sind. Jedoch verstößt es gegen das Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang, wenn allein auswärtige Studierende mit solchen Gebühren belastet werden.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In Bremen galt zwischen dem Wintersemester 2005/2006 und dem Sommersemester 2010 eine Studien­ge­büh­ren­re­gelung, die Studierenden ein Studienguthaben von 14 Semestern zubilligte und sie danach zu Gebühren heranzog. Dies betraf jedoch nur "Landeskinder" mit Wohnung in Bremen. Demgegenüber erhielten Auswärtige ein Studienguthaben von lediglich zwei Semestern, zahlten also schon ab dem dritten Semester Gebühren.

Sachverhalt

Die Klägerinnen und der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens wehren sich dagegen, als auswärtige Studierende ab dem dritten Semester allgemeine Studiengebühren zahlen zu müssen. Für das Wintersemester 2006/2007 wurden sie zur Zahlung einer Studiengebühr in Höhe von 500 Euro aufgefordert, weil sie anders als "Landeskinder" bereits nach einem Studium von zwei Semestern über kein Studienguthaben mehr verfügten. Das Verwal­tungs­gericht Bremen hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die maßgeblichen §§ 6 Satz 1 in Verbindung mit 3 Abs. 1 und 2 Abs. 1 des Bremischen Studien­kon­ten­ge­setzes zur verfas­sungs­recht­lichen Prüfung vorgelegt.

Erhebung von Studiengebühren grundsätzlich mit Grundgesetz vereinbar

Die Erhebung von allgemeinen Studiengebühren ist im Ausgangspunkt mit dem Grundgesetz vereinbar, solange die Gebühren nicht prohibitiv wirken und sozial verträglich ausgestaltet sind.

Recht auf freien und gleichen Zugang zum Hochschul­studium ergibt sich aus Berufsfreiheit und Gleichheitssatz

Aus der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Sozial­staats­prinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) ergibt sich für diejenigen, die dafür die subjektiven Zulas­sungs­vor­aus­set­zungen erfüllen, im Rahmen der vom Staat geschaffenen Ausbil­dungs­ein­rich­tungen ein Recht auf freien und gleichen Zugang zum Hochschul­studium.

Studiengebühren dürfen keine unüberwindliche soziale Barriere für Hochschulzugang darstellen

Aus diesem Teilhaberecht resultiert zwar kein Anspruch auf Kostenfreiheit des Hochschul­studiums. Jedoch dürfen Gebühren keine unüberwindliche soziale Barriere vor dem Hochschulzugang errichten. Das bedeutet zwar nicht, dass alle Erschwernisse, die mit der Erhebung von Studienabgaben verbunden sind, vollständig durch soziale Begleit­maß­nahmen kompensiert werden müssen. Der Gesetzgeber darf diese Umstände jedoch nicht völlig unberück­sichtigt lassen, soweit sie zu ungleichen Ausbil­dung­s­chancen führen.

Studiengebühren von 500 Euro pro Semester nicht grundsätzlich verfas­sungs­rechtlich ausgeschlossen

Bei der Erhebung von Studiengebühren sind die Belange einkom­mens­schwacher Bevöl­ke­rungs­kreise daher angemessen zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die besonderen Belastungen von Menschen mit Behinderungen sowie von Studierenden mit Kindern oder Pflege­ver­ant­wortung in der Familie. Wie der Gesetzgeber dem Verfas­sungsgebot zur sozialen Ausgestaltung allgemeiner Studiengebühren im Einzelnen Rechnung trägt, ist in weitem Umfang seiner freien Gestaltung überlassen. Danach sind Studiengebühren von 500 Euro im Semester nicht schon grundsätzlich verfas­sungs­rechtlich ausgeschlossen.

"Gebührenflucht" trotz erhobener Studiengebühren nicht erkennbar

Allerdings ist eine Gebühr von 500 Euro im Semester aus Sicht der Studierenden, deren Gesamt­un­ter­halts­bedarf je nach Quelle mit zwischen ca. 530 Euro und 812 Euro im Monat angegeben wird, als deutlich spürbar einzustufen. Daraus folgt jedoch nicht ohne weiteres, dass sie insgesamt prohibitiv wirkt. So ist derzeit auch eine "Gebührenflucht" aus Ländern mit in Länder ohne Studiengebühren nicht erkennbar.

Bereitstellung angemessen ausgestalteter Studiendarlehen ist zentrales Mittel zur Absicherung der sozialen Verträglichkeit von Studiengebühren

Doch bedürfen allgemeine Studiengebühren flankierender Maßnahmen, die ihre soziale Verträglichkeit und damit den Anspruch auf einen möglichst chancengleichen Zugang zum Studium gewährleisten. Fehlen diese, verstärken sich bestehende Nachteile aufgrund unzureichender finanzieller Mittel und in Familien ohne akademischen Bildungs­ab­schluss. Die Bereitstellung von angemessen ausgestalteten Studiendarlehen ist eines der zentralen Mittel, um die soziale Verträglichkeit von Studiengebühren abzusichern. Daneben kommen weitere Mittel wie Ausnahme-, Ermäßigungs- und Erlass­tat­be­stände der Gebüh­ren­re­gelung in Betracht. Ob die vorgelegte Bremer Regelung diesen Anforderungen in jeder Hinsicht entsprach, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Erhebung von Studiengebühren ab dem dritten Semester für auswärtig Studierende verstößt gegen Teilhaberecht

Die zur Prüfung gestellten Vorschriften, die nur Auswärtigen ab dem dritten Semester eine Gebührenpflicht auferlegten, verstoßen gegen das Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG auf freien und gleichen Hochschulzugang in einem bundesweit zusam­men­hän­genden System. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus dem Teilhaberecht des Art. 12 Abs. 1 GG für den besonderen Sachbereich des Hochschul­zugangs folgt bei einer Ungleichbehandlung ein strengerer Recht­fer­ti­gungs­maßstab.

Hinreichend tragfähige Gründe für Ungleich­be­handlung nicht erkennbar

Die vorgelegten Regelungen begründen eine Ungleich­be­handlung gleicher Sachverhalte, für deren Rechtfertigung keine hinreichend tragfähigen Gründe erkennbar sind.

Ungleich­be­handlung hier nicht anwendbar

Unter­schiedliche Regelungen in verschiedenen Ländern sind verfas­sungs­rechtlich im Bundesstaat nicht nur möglich, sondern gewollt. Der Gleichheitssatz ist daher nicht anwendbar, wenn es um eine Ungleich­be­handlung durch Regelungen verschiedener Rechtsetzer geht. Er ist hingegen anwendbar, soweit es wie hier um die Ungleich­be­handlung von Landeskindern und anderen Personen in einer Landesregelung geht.

Landes­rechtliche Regelung berührt dennoch in allen Ländern anerkanntes Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang.

Zur Rechtfertigung kann nicht allein auf den Wohnsitz und die hieraus folgende Zugehörigkeit zum Land Bremen als solcher verwiesen werden. Denn landes­rechtliche Regelungen im Bereich des Hochschulwesens haben eine spezifische, gesamt­s­taatliche Dimension und berühren das in allen Ländern gleichermaßen anerkannte Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang. Dies verlangt besondere Rücksichtnahme der Länder untereinander. Trotz der Länder­zu­stän­digkeit ist das Hochschulwesen ein bundesweit zusam­men­hän­gendes System, in dem nicht alle Studiengänge überall angeboten werden und eine Nutzung der Ausbil­dungs­ka­pa­zitäten über die Ländergrenzen hinweg erforderlich ist. In einer solchen Situation unterliegen einseitige Begünstigungen der Angehörigen eines Landes gesteigerten Anforderungen an ihre Rechtfertigung.

Vorgenommene Gebüh­ren­dif­fe­ren­zierung kann nicht durch unter­schiedliche Nutzung des Studienangebots gerechtfertigt werden

Tragfähige Sachgründe, die mit der Hochschul­aus­bildung in Zusammenhang stehen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Die in der bremischen Regelung vorgenommene Gebüh­ren­dif­fe­ren­zierung ist nicht durch eine unter­schiedliche Nutzung des Studienangebots gerechtfertigt. Auch kann sich der Gesetzgeber zur Rechtfertigung nicht darauf berufen, mit der Regelung zur Wohnsitznahme in Bremen motivieren zu wollen, um so erhöhte Mittel­zu­wei­sungen im Rahmen des Länder­fi­nan­z­aus­gleichs zu erlangen. Es fehlt am erforderlichen Sachzu­sam­menhang zwischen den Zuweisungen im Rahmen des Finan­z­aus­gleichs, die in den allgemeinen Landeshaushalt fließen und der Finanzierung der Hochschulen. Der Versuch einer solchen Zuordnung würde zudem den berechtigten Einwand hervorrufen, das Land Bremen legitimiere letztlich aus einer Zuwendung von außen eine Studiengebühr für auswärtige Studierende.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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