21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil28.06.2000

Schwer­be­hinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 aufgrund neurotischer Störung von Rund­funk­gebühren­pflicht befreitMöglicher Verstoß gegen Grundsatz der verhält­nis­mäßigen Gleich­be­handlung aller Nutzer wegen Befreiung Behinderter

Weist ein Schwer­be­hin­derter einen Grad der Behinderung von 100 auf und beruht dies unter anderem auf eine neurotische Störung, so ist er von der Rund­funk­gebühren­pflicht befreit. Die Befreiung von Behinderten kann aber möglicherweise gegen den Grundsatz der verhält­nis­mäßigen Gleich­be­handlung aller Nutzer verstoßen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­sozial­gerichts hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Schwer­be­hinderte wies einen Grad der Behinderung von 100 auf, da sie keinen rechten Unterarm mehr hatte und eine psychische Störung aufwies. Die Störung zeichnete sich durch eine ausgeprägte soziale Anpas­sungs­störung, eine Meidung von Menschen und einen sozialen Rückzug aus. Sie beantragte daher die Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht. Da ihr dieses verweigert wurde, erhob sie Klage.

Anspruch auf Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht bestand

Das Bundes­so­zi­al­gericht entschied zu Gunsten der Klägerin. Ihr habe ein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht zugestanden. Dies habe sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung über die Voraussetzung für die Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht in der Fassung vom 18.03.1993 (RGVO) ergeben. Nach dieser Regelung seien Behinderte mit einem nicht nur vorübergehenden Grad der Behinderung von mindestens 80 von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht zu befreien, wenn sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Für den Behin­der­ten­begriff sei wiederum das Schwer­be­hin­der­ten­gesetz maßgeblich. Nach dessen § 3 Abs. 1 Satz 1 sei eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funkti­o­ns­be­ein­träch­tigung, die auf einen regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin erfüllt gewesen.

Ausschluss psychischer Störungen nicht ersichtlich

Dafür, dass Behinderungen aufgrund psychischer Gesund­heits­s­tö­rungen von der Befreiung ausgeschlossen seien, habe es nach Ansicht des Bundes­so­zi­al­ge­richts keine Anhaltspunkte gegeben. Daher könne grundsätzlich jede Behinderung zur Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht führen.

Möglicher Verstoß gegen Grundsatz der verhält­nis­mäßigen Gleich­be­handlung

Das Bundes­so­zi­al­gericht äußerte jedoch Bedenken dahingehend, dass in der Gebüh­ren­be­freiung für Behinderte ein Verstoß gegen den gebüh­ren­recht­lichen Grundsatz der verhält­nis­mäßigen Gleich­be­handlung aller Nutzer liegen könne. Sollte dies der Fall sein, liege es jedoch in der Hand des Gesetz- bzw. Verord­nungs­gebers dies zu ändern. Die Verwaltung und die Sozialgerichte dürfen jedenfalls nicht über die möglicherweise gegen höherrangiges Recht verstoßende Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht für Behinderte entscheiden. Ihnen obliege es allein über das Vorliegen eines gesund­heit­lichen Merkmals des Befrei­ung­s­tat­be­stands der RVGO zu entscheiden.

Quelle: Bundessozialgericht, ra-online (zt/NJW 2001, 1966/rb)

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