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Bundessozialgericht Urteil18.01.2011
BSG: Privat krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II haben Anspruch auf Beiträge in voller HöheVerfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum privat versicherter SGB II-Leistungsempfänger muss sichergestellt bleiben
Ein selbständig tätiger und privat Krankenversicherter kann von dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übernahme seiner Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe verlangen. Dies entschied das Bundessozialgericht.
In dem zu entscheidenden Fall hat der seit Beendigung seiner Referendarzeit als selbständiger Rechtsanwalt tätige sowie privat krankenversicherte Kläger einen Beitrag für seine private Krankenversicherung in Höhe von 207,39 Euro monatlich zu tragen. Auf seinen erneuten Antrag vom Januar 2009 bewilligte der Beklagte ihm SGB II-Leistungen nur unter Berücksichtigung eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 129,54 Euro monatlich.
Gerichte bejahen Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe durch den Grundsicherungsträger
Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Beiträgen zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe zu zahlen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger die Übernahme seiner Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe in verfassungskonformer Auslegung des § 26 Abs. 2 SGB II beanspruchen könne.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine unrichtige Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Die Regelung lasse keinen Raum für eine über ihren Wortlaut hinausgehende (verfassungskonforme) Auslegung.
BSG sieht im Vergleich zu freiwillig versicherten Leistungsempfängern gesetzesimmanente Lücke
Eine ausdrückliche Regelung dazu, wie der offene Beitragsanteil auszugleichen ist, findet sich im SGB II nicht, so das Bundessozialgericht. Insofern besteht eine gesetzesimmanente Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Vorschriften. Den Gesetzesmaterialen zu dem GKV-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber den privat krankenversicherten Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewusst und gewollt einen von ihnen finanziell nicht zu tragenden Beitragsanteil belassen wollte. Die schriftlich niedergelegten Motive enthalten Hinweise auf einen "bezahlbaren Basistarif" und dies berücksichtigende Regelungen, die sicherstellten, dass "die Betroffenen finanziell nicht überfordert würden". Auch der weitere Regelungszusammenhang spricht für eine gesetzesimmanente Lücke, weil Beiträge für freiwillig krankenversicherte Leistungsempfänger in vollem Umfang und Beiträge zur privaten Krankenversicherung in Fallgestaltungen ganz übernommen werden, in denen dadurch der Eintritt einer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden werden kann.
Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Übernahme der Beiträge in voller Höhe verpflichtet
Schließlich wäre das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum privat versicherter SGB II-Leistungsempfänger betroffen, wenn die von ihnen geschuldeten Beiträge zur privaten Krankenversicherung nicht vom Träger der Grundsicherung übernommen würden. Die planwidrige Regelungslücke bei der Tragung von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung ist – hinsichtlich der offenen Beitragsanteile – daher durch eine analoge Anwendung der Regelung für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen zu schließen. Hieraus ergibt sich eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Beiträge in voller Höhe.
Rechtsgrundlagen
§ 26 Zuschuss zu Versicherungsbeiträgen
[…]
(2) Für Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit
1.bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, gilt § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes,
2.freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs der Beitrag übernommen; für Personen, die allein durch den Beitrag zur freiwilligen Versicherung hilfebedürftig würden, wird der Beitrag im notwendigen Umfang übernommen.
Der Beitrag wird ferner für Personen im notwendigen Umfang übernommen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind und die allein durch den Krankenversicherungsbeitrag hilfebedürftig würden.
§ 12 VAG
[…]
1c) Der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltsstufen darf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen; ….Entsteht allein durch die Zahlung des Beitrags nach Satz 1 oder Satz 3 Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte; die Hilfebedürftigkeit ist vom zuständigen Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu bescheinigen. Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, beteiligt sich der zuständige Träger nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird. Besteht unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, gilt Satz 4 entsprechend; der zuständige Träger zahlt den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.01.2011
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online
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