21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil18.01.2011

BSG: Privat kranken­ver­si­cherte Bezieher von Arbeits­lo­sengeld II haben Anspruch auf Beiträge in voller HöheVerfas­sungs­rechtlich garantiertes Existenzminimum privat versicherter SGB II-Leistungs­emp­fänger muss sichergestellt bleiben

Ein selbständig tätiger und privat Kranken­ver­si­cherter kann von dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übernahme seiner Beiträge zur privaten Kranken­ver­si­cherung in voller Höhe verlangen. Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

In dem zu entscheidenden Fall hat der seit Beendigung seiner Referendarzeit als selbständiger Rechtsanwalt tätige sowie privat kranken­ver­si­cherte Kläger einen Beitrag für seine private Kranken­ver­si­cherung in Höhe von 207,39 Euro monatlich zu tragen. Auf seinen erneuten Antrag vom Januar 2009 bewilligte der Beklagte ihm SGB II-Leistungen nur unter Berück­sich­tigung eines Zuschusses zur privaten Kranken­ver­si­cherung in Höhe von 129,54 Euro monatlich.

Gerichte bejahen Übernahme der Beiträge zur privaten Kranken­ver­si­cherung in voller Höhe durch den Grund­si­che­rungs­träger

Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts nach dem SGB II mit Beiträgen zur privaten Kranken­ver­si­cherung in voller Höhe zu zahlen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Landes­so­zi­al­gericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger die Übernahme seiner Beiträge zur privaten Kranken­ver­si­cherung in voller Höhe in verfas­sungs­kon­former Auslegung des § 26 Abs. 2 SGB II beanspruchen könne.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine unrichtige Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Die Regelung lasse keinen Raum für eine über ihren Wortlaut hinausgehende (verfas­sungs­konforme) Auslegung.

BSG sieht im Vergleich zu freiwillig versicherten Leistungs­emp­fängern geset­ze­s­im­manente Lücke

Eine ausdrückliche Regelung dazu, wie der offene Beitragsanteil auszugleichen ist, findet sich im SGB II nicht, so das Bundes­so­zi­al­gericht. Insofern besteht eine geset­ze­s­im­manente Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvoll­stän­digkeit der gesetzlichen Vorschriften. Den Geset­zes­ma­te­rialen zu dem GKV-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber den privat kranken­ver­si­cherten Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts nach dem SGB II bewusst und gewollt einen von ihnen finanziell nicht zu tragenden Beitragsanteil belassen wollte. Die schriftlich niedergelegten Motive enthalten Hinweise auf einen "bezahlbaren Basistarif" und dies berück­sich­tigende Regelungen, die sicherstellten, dass "die Betroffenen finanziell nicht überfordert würden". Auch der weitere Regelungs­zu­sam­menhang spricht für eine geset­ze­s­im­manente Lücke, weil Beiträge für freiwillig kranken­ver­si­cherte Leistungs­emp­fänger in vollem Umfang und Beiträge zur privaten Kranken­ver­si­cherung in Fallge­stal­tungen ganz übernommen werden, in denen dadurch der Eintritt einer Hilfe­be­dürf­tigkeit nach dem SGB II vermieden werden kann.

Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Übernahme der Beiträge in voller Höhe verpflichtet

Schließlich wäre das verfas­sungs­rechtlich garantierte Existenzminimum privat versicherter SGB II-Leistungs­emp­fänger betroffen, wenn die von ihnen geschuldeten Beiträge zur privaten Kranken­ver­si­cherung nicht vom Träger der Grundsicherung übernommen würden. Die planwidrige Regelungslücke bei der Tragung von Beiträgen zur privaten Kranken­ver­si­cherung ist – hinsichtlich der offenen Beitragsanteile – daher durch eine analoge Anwendung der Regelung für freiwillig in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung versicherte Personen zu schließen. Hieraus ergibt sich eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Beiträge in voller Höhe.

Rechtsgrundlagen

§ 26 Zuschuss zu Versi­che­rungs­bei­trägen

[…]

(2) Für Bezieher von Arbeits­lo­sengeld II oder Sozialgeld, die in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung nicht versi­che­rungs­pflichtig und nicht famili­en­ver­sichert sind und die für den Fall der Krankheit

1.bei einem privaten Kranken­ver­si­che­rungs­un­ter­nehmen versichert sind, gilt § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Versi­che­rungs­auf­sichts­ge­setzes,

2.freiwillig in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung versichert sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs der Beitrag übernommen; für Personen, die allein durch den Beitrag zur freiwilligen Versicherung hilfebedürftig würden, wird der Beitrag im notwendigen Umfang übernommen.

Der Beitrag wird ferner für Personen im notwendigen Umfang übernommen, die in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung versi­che­rungs­pflichtig sind und die allein durch den Kranken­ver­si­che­rungs­beitrag hilfebedürftig würden.

§ 12 VAG

[…]

1c) Der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbst­be­halts­stufen darf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung nicht übersteigen; ….Entsteht allein durch die Zahlung des Beitrags nach Satz 1 oder Satz 3 Hilfe­be­dürf­tigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozial­ge­setzbuch, vermindert sich der Beitrag für die Dauer der Hilfe­be­dürf­tigkeit um die Hälfte; die Hilfe­be­dürf­tigkeit ist vom zuständigen Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozial­ge­setzbuch auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu bescheinigen. Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfe­be­dürf­tigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozial­ge­setzbuch, beteiligt sich der zuständige Träger nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozial­ge­setzbuch auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfe­be­dürf­tigkeit vermieden wird. Besteht unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfe­be­dürf­tigkeit nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozial­ge­setzbuch, gilt Satz 4 entsprechend; der zuständige Träger zahlt den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeits­lo­sengeld II in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zu tragen ist.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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