21.11.2024
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Sie sehen eine Geldbörse mit einer Gesundheitskarte von einer deutschen Krankenversicherung.

Dokument-Nr. 8726

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Bundessozialgericht Urteil12.08.2009

Behinderter, der sich nicht mehr aus eigener Kraft im Nahbereich seiner Wohnung fortbewegen kann, hat Anspruch auf Elektro­rollstuhlKrankenkasse darf Rollstuhlfahrer nicht an Verwandte verweisen

Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Versorgung mit einem Elektro­rollstuhl, wenn ein Versicherter nicht (mehr) in der Lage ist, den Nahbereich der Wohnung mit einem vorhandenen Aktivrollstuhl aus eigener Kraft zu erschließen. Er darf nicht darauf verwiesen werden, sich von seinen Verwandten schieben zu lassen. Ziel der Hilfs­mit­tel­ver­sorgung sei es gerade, den Behinderten unabhängig zu machen, entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

Der 1946 geborene Kläger leidet an einem - schwer einstellbaren - insulin­pflichtigen Diabetes mellitus bei erheblichem Übergewicht. Im Zuge der Erkrankung wurden der rechte Unterschenkel (2001) und das linke Bein im Oberschenkel (2005) amputiert. Mit den von der Beklagten zur Verfügung gestellten Prothesen kann er lediglich wenige Meter und auch nur mit zusätzlich haltgebender Hilfe einer Begleitperson gehen. Die Versor­gungs­ver­waltung hat einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G und aG festgestellt. Von der Pflegekasse erhält der Kläger Pflegegeld der Pflegestufe II. Die Beklagte hat ihn mit einem Aktivrollstuhl versorgt, den er zu Hause benutzt. Außerhalb des Hauses benutzt er einen weiteren Aktivrollstuhl, den er sich selbst angeschafft hat. Betreut und gepflegt wird er von seiner Ehefrau, die sich seit dem 1. Januar 2006 im Ruhestand befindet und deshalb ganztägig zu Hause ist.

Kläger beantragte Elektro­rollstuhl, weil er sich sonst außerhalb der Wohnung nur mit einer Begleitperson bewegen kann

Am 12. Mai 2004 beantragte der Kläger die Ausstattung mit einem Elektrorollstuhl. Wegen Kreis­lauf­be­schwerden, einer eingeschränkten Herzleistung und einer aus der ständigen Überbe­an­spruchung beider Arme resultierenden chronischen Epicondylitis (sog Tenni­s­el­lenbogen) könne er sich außerhalb der Wohnung praktisch nur noch mit Hilfe einer Begleitperson bewegen, die den Rollstuhl schiebe. Auf derartige Hilfspersonen könne er aber konkret nicht zurückgreifen. Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag nach Einholung von MDK-Gutachten ab, weil der Kläger mit den vorhandenen Rollstühlen in der Lage sei, sich zu Hause und im - allein maßgeblichen - Nahbereich der Wohnung selbstständig zu bewegen. Im Klageverfahren hat der Kläger zusätzlich eine fachärztliche Verordnung vorgelegt und geltend gemacht, die Schmerzen in seinen Armen und Händen hätten sich wegen zunehmender Durch­blu­tungs­stö­rungen verschlimmert; Schmerzen im Nackenbereich seien hinzugekommen.

Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg

Die Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Anspruch auf Ausstattung mit einem Elektro­rollstuhl bestehe nicht, weil der Kläger in der Lage sei, sich mit den vorhandenen Aktiv­roll­stühlen in der Wohnung und in deren näherem Umfeld aus eigener Kraft, jedenfalls aber mit Hilfe der Ehefrau bzw. seines Schwiegersohnes zu bewegen. Es sei nicht feststellbar, dass das Bewältigen kurzer Distanzen ihm oder seiner Ehefrau trotz der auch ihr attestierten Belas­tungs­schmerzen körperlich nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Aktivitäten, die außerhalb des Nahbereichs der Wohnung stattfinden, müssten ebenso außer Betracht bleiben wie topografische Besonderheiten der Umgebung, weil die Krankenkassen beim Ausgleich der Folgen einer Behinderung nur einen so genannten Basisausgleich schuldeten, der sich an den allgemeinen Grund­be­dürf­nissen des täglichen Lebens orientiere.

Kläger geht in Revision

In der vom Bundes­so­zi­al­gericht zugelassenen Revision rügte der Kläger eine Verletzung von § 33 SGB V. Er machte geltend, die Hilfs­mit­tel­ver­sorgung müsse dem Ziel dienen, von der Hilfe Dritter nach Möglichkeit unabhängig zu werden und so die Selbst­stän­digkeit eines behinderten Menschen zu unterstützen.

Bundes­so­zi­al­gericht verweist Sache an das Landes­so­zi­al­gericht zurück

Das Bundes­so­zi­al­gericht verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück, weil die bisher getroffenen Feststellungen keine abschließende Entscheidung darüber zulassen, ob der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung eines Elektro­roll­stuhls nach § 33 SGB V begründet ist.

BSG: Behinderter Mensch soll von der Hilfe anderer Menschen unabhängig sein

Zu Unrecht habe das LSG auf die Möglichkeiten der familiären Schiebehilfe verwiesen; wesentliches Ziel der Hilfs­mit­tel­ver­sorgung sei es nämlich, den behinderten Menschen von der Hilfe anderer Menschen unabhängig zu machen und ihm eine selbständigere Lebensführung zu ermöglichen, führte das Bundes­so­zi­al­gericht aus.

Anspruch auf Versorgung mit einem Elektro­rollstuhl

Deshalb bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Versorgung mit einem Elektro­rollstuhl, wenn ein Versicherter nicht (mehr) in der Lage sei, den Nahbereich der Wohnung mit einem vorhandenen Aktivrollstuhl aus eigener Kraft zu erschließen. Ob dies vorliegend der Fall sei, habe das LSG trotz zahlreicher Hinweise des Klägers auf seine fortschreitende Arthrose und entsprechender Atteste nicht ausreichend geprüft; diesbezügliche medizinische Feststellungen seien deshalb nachzuholen.

Quelle: ra-online (pt)

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