15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.
ergänzende Informationen

Bundessozialgericht Urteil04.06.2014

Keine Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs für die Umgangskosten mit KindRechtgrundlage für die vom Jobcenter herangezogene Bagatellgrenze nicht ersichtlich

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass alle Eltern, die Arbeits­lo­sengeld II beziehen, grundsätzlich ein Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit den von ihnen getrennt lebenden Kindern zusteht. Dies ergibt sich laut Aussage des Bundes­sozial­gerichts bereits aus dem Grundsatzurteil des Bundes­verfassungs­gerichts vom 9. Februar 2010 und dem daraufhin vom Gesetzgeber geschaffenen § 21 Abs. 6 SGB II.

Nach dem Grundsatzurteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 9. Februar 2010 zum Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II - landläufig "Hartz IV" genannt - haben Arbeits­lo­sengeld II-Empfänger einen speziellen Anspruch auf Leistungen für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf, der mittlerweile auch in § 21 Abs. 6 SGB II ins Gesetz geschrieben wurde.

Jobcenter lehnt Antrag auf Mehrbedarf zur Ausübung des Umgangsrechts mit seinem Kind ab

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens bezog Arbeits­lo­sengeld II. Seinen im Juli 2010 gestellten Antrag auf einen solchen Mehrbedarf wegen der Ausübung des Umgangsrechts (alle 2 Wochen) mit seiner im Jahr 2006 geborenen, aber nicht bei ihm, sondern in 17 km Entfernung bei ihrer Mutter lebenden Tochter lehnte das beklagte Jobcenter ab. Es meinte, bei einer Entfernung von 17 km und jeweils zweimaliger Hin- und Rückfahrt mit dem PKW sowie einer Pauschale von ,20 Euro je Entfer­nungs­ki­lometer ergebe sich nur ein Betrag von 13,60 Euro im Monat, der unter einer Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs - damals 359 Euro - liege. Vor dem Sozialgericht und dem Landes­so­zi­al­gericht war der Kläger erfolgreich, sie haben ihm 27,20 Euro pro Monat bei einer Pauschale von ,20 Euro pro Kilometer zugesprochen.

BSG bejaht Anspruch des Klägers auf Mehrbedarf

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die Auffassung des Klägers und der Vorinstanzen bestätigt. Dass der Kläger, wie alle Eltern, die Arbeits­lo­sengeld II beziehen, grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit seiner von ihm getrennt lebenden Tochter hat, ergibt sich aus dem Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 9. Februar 2010 und dem daraufhin vom Gesetzgeber geschaffenen § 21 Abs. 6 SGB II. Der Anspruch setzt zwar einen vom durch­schnitt­lichen Bedarf erheblich abweichenden, unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Mehrbedarf voraus. Ein solcher ist aber gegeben, wenn für die Fahrten zur Ausübung des Umgangsrechts jeweils 68 km mit einem PKW zurückgelegt werden müssen und das Umgangsrecht alle zwei Wochen besteht. Denn selbst wenn nur eine Kilome­ter­pau­schale von ,20 Euro wie nach dem Bundes­rei­se­kos­ten­gesetz zugrunde gelegt wird, ergibt sich ein Betrag von 27,20 Euro pro Monat. Dieser Betrag beinhaltet auch eine erhebliche Abweichung vom durch­schnitt­lichen Bedarf hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro, zumal in diesen die Ausgaben für PKW nicht berücksichtigt wurden.

Rechtsgrundlage für Bagatellgrenze nicht erkennbar

Eine Rechtsgrundlage für die von dem beklagten Jobcenter vertretene allgemeine Bagatellgrenze ist nicht zu erkennen. Eine Heranziehung der 10 %-Regelung für die Rückzahlung von Darlehen nach § 42 a SGB II scheidet aus. Bei einem Darlehen haben die Betroffenen das Geld vorher erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen, während es ihnen bei einer Bagatellgrenze vorenthalten würde, obwohl sie darauf einen Anspruch haben.

Hinweise zur Rechtslage:

Erläuterungen

§ 21 Abs. 6 SGB lautet:

"Bei Leistungs­be­rech­tigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berück­sich­tigung von Einspa­r­mög­lich­keiten des Leistungs­be­rech­tigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durch­schnitt­lichen Bedarf abweicht."

In der maßgeblichen Bundes­tags­drucksache 17/1465 (Beschluss­emp­fehlung und Bericht des Haushalts­aus­schusses) wird auf Seite 9 ausgeführt:

"Anwendungsfälle der Härte­fa­ll­klausel des § 21 Abs. 6 SGB II können dauerhaft benötigte Hygienemittel bei bestimmten Erkrankungen (z.B. HIV, Neurodermitis), Putz- bzw. Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer und Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern sein. Diese Aufzählung ist nicht abschließend."

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil18322

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI