21.11.2024
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Sie sehen eine Einbauküche in einer Wohnung.

Dokument-Nr. 10371

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Urteil11.08.2010BundesgerichtshofXII ZR 192/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GE 2010, 1416Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft (GE), Jahrgang: 2010, Seite: 1416
  • GuT 2010, 338Zeitschrift: Gewerbemiete und Teileigentum (GuT), Jahrgang: 2010, Seite: 338
  • MDR 2010, 1306Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2010, Seite: 1306
  • NJW 2010, 3362Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2010, Seite: 3362
  • NZM 2010, 788Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), Jahrgang: 2010, Seite: 788
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil11.08.2010

Ladenmieter muss vor Anmietung den Vermieter über Verkauf von "Thor Steinar"-Bekleidung informierenAnfechtung wegen arglistiger Täuschung aufgrund unterlassener Aufklärung

Geschäfte, die die unter Rechtsradikalen beliebte Beklei­dungsmarke "Thor Steinar" verkaufen wollen, müssen ihre Vermieter vor Abschluss des Mietvertrages über das umstrittene Sortiment informieren. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden. Ansonsten kann der Vermieter dem Mitvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Im zugrunde liegenden Fall vermietete am 1. Juni 2007 eine Immobilienfirma (Vermieterin) in einem von Friedensreich Hundertwasser entworfenen Geschäftshaus in Magdeburg ein Ladengeschäft zum Verkauf von Textilien und Sortimenten im Outdoorbereich. Bestandteil des Vertrages war eine als Anlage 5 beigefügte Sortimentsliste vom 23. Mai 2007, die allgemeine Angaben zu dem beabsichtigten Beklei­dungs­angebot enthält, ohne eine Marke zu nennen. Der Mieter (Beklagte) beabsichtigte allerdings, in den Mieträumen nahezu ausschließlich Waren der Marke "Thor Steinar" zu verkaufen. Diese Marke wird in der Öffentlichkeit in einen ausschließ­lichen Bezug zur rechtsradikalen Szene gesetzt.

Vermieterin ficht Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung an

Nachdem die Klägerin von dem beabsichtigten Angebot der Marke "Thor Steinar" erfahren hatte, versuchte sie, den Mieter zu einem Verzicht auf die Eröffnung des Ladens oder auf den Vertrieb des Warensortiments der Marke "Thor Steinar" zu bewegen. Ende Juli 2007 kündigte die Vermieterin den Mietvertrag aus wichtigem Grund. Sie wiederholte die Kündigung mit Schreiben vom 2. August 2007 und erklärte darüber hinaus die Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung. Sie verlangt der Räumung und Herausgabe des Mietobjekts.

Vorinstanzen geben Vermieterin recht - Mieter muss Ladenlokal räumen

Das Landgericht Magdeburg gab der Klage auf Räumung und Herausgabe der Räume statt. Das Oberlan­des­gericht Naumburg bestätigte diese Entscheidung in der Berufungs­instanz. Darauf hin legte der Mieter Revision beim Bundes­ge­richtshof ein.

BGH bestätigt Entscheidungen der Vorinstanzen

Der Bundes­ge­richtshof wies die Revision zurück. Der Vermieter habe einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Räumlichkeiten, denn der Mietvertrag sei nichtig. Der Mietvertrag sei als von Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 Abs. 1 BGB), weil die Vermieterin den Vertrag gem. §§ 123 Abs. 1, 124 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten hat.

Arglistige Täuschung durch Unterlassen

Der Mieter habe die Vermieterin dadurch arglistig getäuscht hat, dass er sie vor Vertragsschluss nicht über seine Absicht, in den Mieträumen nahezu ausschließlich Waren der Marke "Thor Steinar" zu verkaufen, aufgeklärt hat.

Vertragspartner muss über Tatsachen informieren, die für den anderen von ausschlag­ge­bender Bedeutung sind

Zwar bestünde bei Vertrags­ver­hand­lungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willen­s­ent­schließung beeinflussen könnten. Allerdings bestünde nach der Rechtsprechung eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertrags­ver­hand­lungen auch ohne Nachfrage dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berück­sich­tigung der Verkehrs­an­schauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlag­ge­bender Bedeutung seien, führte der Bundes­ge­richtshof aus.

"Hundert­was­serhaus" soll eine Attraktion für Touristen und Kunden sein

Das Mietobjekt lag in dem von dem Künstler Friedensreich Hundertwasser entworfenen, im Zentrum von M. gelegenen so genannten "Hundert­was­serhaus", das mit einer Gesamt­miet­fläche von 7000 qm von der Vermieterin als Geschäftshaus konzipiert war und aufgrund seiner besonderen Gestaltung eine Attraktion für Touristen und Kunden sein sollte.

Erheblicher wirtschaft­licher Schaden ist zu befürchten

Dieses Ziel wurde durch den von dem Beklagten geplanten Verkauf von Waren der Marke "Thor Steinar", die unstreitig in der öffentlichen Meinung ausschließlich der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden, gefährdet. Denn der Verkauf solcher Waren kann zur Folge haben, dass das Hundert­was­serhaus in den Ruf gerät, Anziehungsort für rechtsradikale Käuferschichten zu sein und damit ein Ort, an dem - auch aufgrund von Demonstrationen - gewaltsame Ausein­an­der­set­zungen zu erwarten seien. Diese, das gesamte Anwesen treffende mögliche rufschädigende Wirkung sei geeignet, Kunden und Touristen fernzuhalten und damit andere Mieter im Anwesen zu einer Minderung oder Beendigung des Mietvertrages zu veranlassen und potentielle Mieter von dem Abschluss eines Mietvertrages abzuhalten. Der Verkauf von Waren der Marke "Thor Steinar" könne deshalb der Vermieterin erheblichen wirtschaft­lichen Schaden zufügen.

Darüber hinaus sei die Vermietung von Räumen zum Verkauf von Waren, die in der öffentlichen Meinung ausschließlich der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden, geeignet, den Vermieter in der öffentlichen Meinung in die Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut zu stellen und sich auch deshalb geschäfts­schä­digend für ihn auszuwirken.

Im Hinblick auf diese möglichen gravierenden Auswirkungen war der beabsichtigte Verkauf von Waren dieser Marke für die Vermieterin von erheblicher Bedeutung.

Außer­ge­wöhn­licher Umstand

Sie durfte darüber auch redlicherweise eine Aufklärung erwarten. Denn sie konnte ohne einen Hinweis auf die Marke nicht erkennen, dass der Mieter in den Mieträumen Waren verkaufen wollte, die nahezu ausschließlich rechtsradikalen Kreisen zugeordnet werden. Sie habe auch keine Veranlassung gehabt, dies anzunehmen. Denn bei dem Verkauf solcher Waren handele es sich um einen außer­ge­wöhn­lichen Umstand, mit dem sie nicht rechnen musste.

Nach Treu und Glauben hätte der Mieter den Vermieter zuvor informieren müssen

Der Beklagte sei nach Treu und Glauben und den Grundsätzen eines redlichen Geschäfts­ver­haltens verpflichtet gewesen, die Vermieterin über den beabsichtigten Verkauf von nahezu ausschließlich Waren der Marke "Thor Steinar" zu informieren, führte der Bundes­ge­richtshof weiter aus.

Hinweis

In einem Paral­lel­ver­fahren mit nahezu identischem Sachverhalt (BGH, Urteil v. 11.08.2010 - XII ZR 123/09 -) hinsichtlich eines Ladenlokals in Berlin hat der BGH ebenfalls zu Gunsten des Vermieters entschieden.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (pt)

der Leitsatz

BGB § 123 Abs. 1

Der Mieter ist verpflichtet, den Vermieter vor Abschluss eines Gewer­be­raum­miet­ver­trages über außer­ge­wöhnliche Umstände aufzuklären, mit denen der Vermieter nicht rechnen kann und die offensichtlich für diesen von erheblicher Bedeutung sind.

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