18.10.2024
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Dokument-Nr. 13808

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Beschluss20.06.2012BundesgerichtshofXII ZB 99/12 und XII ZB 130/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JZ 2012, 1182Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2012, Seite: 1182
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Vorinstanzen zu XII ZB 99/12:
  • Amtsgericht Ludwigsburg, Beschluss30.01.2012, 8 XVII 58/2012
  • Landgericht Stuttgart, Beschluss16.02.2012, 2 T 35/12
Vorinstanzen zu XII ZB 130/12:
  • Amtsgericht Ingolstadt, Beschluss02.01.2012, 17 XVII 78/11
  • Landgericht Ingolstadt, Beschluss27.02.2012, 13 T 220/12
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss20.06.2012

Keine hinreichende gesetzliche Grundlage für eine betreu­ungs­rechtliche Zwangs­be­handlungMaterielle Vorschriften des Betreu­ungs­rechts genügen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass es gegenwärtig an einer den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreu­ungs­rechtliche Zwangs­be­handlung fehlt.

In den beiden zugrunde liegenden Verfahren begehrten die Betreuerinnen die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der wegen einer psychischen Erkrankung unter Betreuung stehenden, einwil­li­gungs­un­fähigen und geschlossen untergebrachten Betroffenen. Diese benötigen wegen ihrer Erkrankung zwar eine medikamentöse Behandlung, lehnen die Behandlung krank­heits­bedingt aber ab. Die Anträge der Betreuerinnen blieben vor dem Amtsgericht und dem Landgericht erfolglos. Mit den von den Landgerichten zugelassenen Rechts­be­schwerden verfolgten die Betreuerinnen ihre Anträge auf betreu­ungs­ge­richtliche Genehmigung der Zwangs­be­handlung weiter.

BGH hält an bisheriger Rechtsprechung über Befugnissen von Betreuern nicht mehr fest

Der Bundes­ge­richtshof wies jedoch beide Rechts­be­schwerden zurück. Im Rahmen des Wirkungskreises der Gesund­heits­vorsorge kann einem Betreuer die Befugnis übertragen werden, an Stelle des Betroffenen in dessen ärztliche Behandlung einzuwilligen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des XII. Zivilsenats umfasste dies auch die Befugnis, einen der ärztlichen Maßnahme entge­gen­ste­henden Willen des Betroffenen zu überwinden, wenn der Betroffene geschlossen untergebracht war und das Betreu­ungs­gericht die Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt hatte. Hieran hält der Bundes­ge­richtshof nicht mehr fest.

BGH beruft sich auf Rechtsprechung des BVerfG zur Zwangs­be­handlung von im straf­recht­lichen Maßregelvollzug Untergebrachten

Dies ergibt sich aus Folgendem: Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Beschluss v. 23.03.2011 - 2 BvR 882/09 - und Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Beschluss v. 12.10.2011 - 2 BvR 633/11 -) entschieden, dass die Zwangs­be­handlung eines im straf­recht­lichen Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig ist, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Die weitreichenden Befugnisse der Unter­brin­gungs­ein­richtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende setzten den Untergebrachten in eine Situation außer­or­dent­licher Abhängigkeit, in der er besonderen Schutzes auch dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufga­ben­ge­rechter Perso­nal­ausstattung oder aufgrund von Betrie­bs­routinen unzureichend gewürdigt würden.

Entscheidende Maßnahmen des Betroffenen müssen durch Betreu­ungs­gericht genehmigt werden

Diese Vorgaben sind nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs im Wesentlichen auf die Zwangs­be­handlung im Rahmen einer betreu­ungs­recht­lichen Unterbringung zu übertragen. Zwar ist der Betreuer im Rahmen seines Wirkungskreises grundsätzlich zur Vertretung des Betroffenen befugt. Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen aber schon aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen einer ausdrücklichen gerichtlichen Genehmigung; insoweit ist die sich aus den §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers eingeschränkt. So müssen etwa besonders gefährliche ärztliche Maßnahmen nach § 1904 BGB, eine Sterilisation nach § 1905 BGB, eine geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB und die Aufgabe der Mietwohnung eines Betroffenen nach § 1907 BGB zuvor durch das Betreu­ungs­gericht genehmigt werden.

BGH rügt fehlende gesetzliche Grundlage für gebotene staatliche Kontrolle des Betreu­er­handelns

Eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die gebotene staatliche Kontrolle des Betreu­er­handelns fehlt hingegen hinsichtlich einer Zwangs­be­handlung des Betroffenen. Jene muss nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs inhaltlich den gleichen Anforderungen genügen, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Rahmen des straf­recht­lichen Maßre­gel­vollzugs aufgestellt hat. Die materiellen Vorschriften des Betreu­ungs­rechts, insbesondere § 1906 BGB als Grundlage für eine bloße Freiheits­ent­ziehung, und die Verfah­rens­vor­schriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) genügen diesen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht.

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

Erläuterungen

Betreuung

Betreuung, Pflichten des Betreuers) '>

(1) Die Betreuung umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe der folgenden Vorschriften rechtlich zu besorgen.

[…]

§ 1902 BGB (Vertretung des Betreuten)

In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außer­ge­richtlich.

§ 1906 BGB (Genehmigung des Betreu­ungs­ge­richts bei der Unterbringung)

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheits­ent­ziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

1. […]

2. eine Untersuchung des Gesund­heits­zu­stands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreu­ungs­ge­richts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

[…]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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