Dokument-Nr. 13808
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- JZ 2012, 1182Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2012, Seite: 1182
- Amtsgericht Ludwigsburg, Beschluss30.01.2012, 8 XVII 58/2012
- Landgericht Stuttgart, Beschluss16.02.2012, 2 T 35/12
- Amtsgericht Ingolstadt, Beschluss02.01.2012, 17 XVII 78/11
- Landgericht Ingolstadt, Beschluss27.02.2012, 13 T 220/12
Bundesgerichtshof Beschluss20.06.2012
Keine hinreichende gesetzliche Grundlage für eine betreuungsrechtliche ZwangsbehandlungMaterielle Vorschriften des Betreuungsrechts genügen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung fehlt.
In den beiden zugrunde liegenden Verfahren begehrten die Betreuerinnen die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der wegen einer psychischen Erkrankung unter Betreuung stehenden, einwilligungsunfähigen und geschlossen untergebrachten Betroffenen. Diese benötigen wegen ihrer Erkrankung zwar eine medikamentöse Behandlung, lehnen die Behandlung krankheitsbedingt aber ab. Die Anträge der Betreuerinnen blieben vor dem Amtsgericht und dem Landgericht erfolglos. Mit den von den Landgerichten zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgten die Betreuerinnen ihre Anträge auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung weiter.
BGH hält an bisheriger Rechtsprechung über Befugnissen von Betreuern nicht mehr fest
Der Bundesgerichtshof wies jedoch beide Rechtsbeschwerden zurück. Im Rahmen des Wirkungskreises der Gesundheitsvorsorge kann einem Betreuer die Befugnis übertragen werden, an Stelle des Betroffenen in dessen ärztliche Behandlung einzuwilligen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des XII. Zivilsenats umfasste dies auch die Befugnis, einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, wenn der Betroffene geschlossen untergebracht war und das Betreuungsgericht die Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt hatte. Hieran hält der Bundesgerichtshof nicht mehr fest.
BGH beruft sich auf Rechtsprechung des BVerfG zur Zwangsbehandlung von im strafrechtlichen Maßregelvollzug Untergebrachten
Dies ergibt sich aus Folgendem: Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 23.03.2011 - 2 BvR 882/09 - und Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 12.10.2011 - 2 BvR 633/11 -) entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im strafrechtlichen Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig ist, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende setzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit, in der er besonderen Schutzes auch dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden.
Entscheidende Maßnahmen des Betroffenen müssen durch Betreuungsgericht genehmigt werden
Diese Vorgaben sind nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Zwar ist der Betreuer im Rahmen seines Wirkungskreises grundsätzlich zur Vertretung des Betroffenen befugt. Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen aber schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen gerichtlichen Genehmigung; insoweit ist die sich aus den §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers eingeschränkt. So müssen etwa besonders gefährliche ärztliche Maßnahmen nach § 1904 BGB, eine Sterilisation nach § 1905 BGB, eine geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB und die Aufgabe der Mietwohnung eines Betroffenen nach § 1907 BGB zuvor durch das Betreuungsgericht genehmigt werden.
BGH rügt fehlende gesetzliche Grundlage für gebotene staatliche Kontrolle des Betreuerhandelns
Eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die gebotene staatliche Kontrolle des Betreuerhandelns fehlt hingegen hinsichtlich einer Zwangsbehandlung des Betroffenen. Jene muss nach Auffassung des Bundesgerichtshofs inhaltlich den gleichen Anforderungen genügen, die das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des strafrechtlichen Maßregelvollzugs aufgestellt hat. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere § 1906 BGB als Grundlage für eine bloße Freiheitsentziehung, und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:
Betreuung
Betreuung, Pflichten des Betreuers) '>
(1) Die Betreuung umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe der folgenden Vorschriften rechtlich zu besorgen.
[…]
§ 1902 BGB (Vertretung des Betreuten)
In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich.
§ 1906 BGB (Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung)
(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil
1. […]
2. eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.
[…]
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.07.2012
Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online
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