21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.11.2007

Zimmerarrest im Maßregelvollzug nur bei landes­ge­setz­licher GrundlagePatient hat Recht auf effektiven Rechtsschutz

Ein in der Psychiatrie untergebrachter Straftäter hat mit Erfolg eine Verfas­sungs­be­schwerde gegen einen einwöchigen Zimmerarrest erhoben. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass ein Insasse einer psychiatrischen Anstalt nicht einfach mit Zimmerarrest bestraft werden darf. Vielmehr bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage. Dies habe die Vorinstanz nicht ausreichend geprüft, so dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die grundgesetzlich garantierte Gewährung auf effektiven Rechtsschutz verletzt sah.

Der Beschwer­de­führer ist im Maßregelvollzug in einer saarländischen Klinik für Forensische Psychiatrie untergebracht. Als Reaktion auf einen Verstoß des Beschwer­de­führers gegen zuvor vereinbarte Verhal­tens­regeln wurde gegen ihn ein Zimmerarrest von einer Woche verhängt. Das saarländische Maßre­gel­voll­zugs­gesetz sieht, wie die entsprechenden Gesetze der anderen Länder, Diszi­pli­n­a­r­maß­nahmen nicht vor.

Nach Auffassung der Klinikleitung handelte es sich bei dem Zimmerarrest um eine therapeutische Maßnahme im Sinne "negativer Verstärkung", auf die zurückgegriffen werden müsse, da ein Einsatz belohnender Handlungen als "positiver Verstärker" aufgrund der Haltung des Beschwer­de­führers nicht in Betracht komme. Das vom Beschwer­de­führer angerufene Landgericht bestätigte die Maßnahme als rechtmäßig. Den behandelnden Ärzten sei im Rahmen ihrer fachlich-medizinischen Tätigkeit ein Beurtei­lungs­spielraum eingeräumt, der einer gerichtlichen Kontrolle von außen weitgehend entzogen sei. Das Oberlan­des­gericht verwarf die Rechts­be­schwerde als unzulässig, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei.

Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass das Oberlan­des­gericht den Anspruch des Beschwer­de­führers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt habe. Das Oberlan­des­gericht durfte sich nicht der näheren Prüfung und Beantwortung der Rechtsfrage entziehen, ob für die verfah­rens­ge­gen­ständliche Maßnahme eine gesetzliche Ermäch­ti­gungs­grundlage bestand.

Der Klärung hätte zunächst bedurft, ob der gegen den Beschwer­de­führer verhängte Zimmerarrest überhaupt einer Einordnung als Behand­lungs­maßnahme zugänglich war. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die Beantwortung unerwünschter Verhal­tens­weisen von Maßre­gel­voll­zugspa­tienten mit sankti­o­ns­artigen Maßnahmen, die den Patienten im Sinne einer "negativen Verstärkung" beeinflussen und damit präventiv wirken sollen, als Behand­lungs­maßnahme anzusehen ist oder ob derartige Reaktionen des Klinikpersonals auf Regelverstöße der Patienten den Charakter einer in den Landesgesetzen zum Maßregelvollzug nicht vorgesehenen Diszi­pli­n­a­r­maßnahme haben.

Auch soweit davon auszugehen wäre, dass - ungeachtet funktionaler Überein­stim­mungen zwischen diszi­pli­na­rischen und "negativ verstärkenden" Reaktionen auf Fehlverhalten - das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für Diszi­pli­n­a­r­maß­nahmen im Maßregelvollzug nicht die Möglichkeit ausschließt, negative Verstärker als Behand­lungs­maß­nahmen einzusetzen, wäre damit die Frage einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für derartige Maßnahmen noch nicht beantwortet. Aus dem Umstand, dass sachgerechte Behandlung Spielräume erfordert, die der gesetzlichen Normierbarkeit und gerichtlichen Kontrolle des therapeutischen Vorgehens Grenzen setzen, folgt nicht, dass dieser Spielraum unbegrenzt sein und der Gesetzgeber sich daher jeder näheren Normierung der Voraussetzungen und Grenzen eingreifender Behand­lungs­maß­nahmen enthalten müsste und dürfte.

Die Frage der ausreichenden gesetzlichen Grundlage und in diesem Zusammenhang die einschlägigen einfach­ge­setz­lichen Regelungen wären außerdem unter dem speziellen Gesichtspunkt zu würdigen gewesen, dass sich der Beschwer­de­führer gegen eine seinem erklärten Willen zuwiderlaufende, zwangsweise gegen ihn verhängte Behand­lungs­maßnahme gewandt hat. Die Ermäch­ti­gungs­grundlage für eine Zwangs­be­handlung im Maßregelvollzug ist nach überwiegender Auffassung den einschlägigen landes­ge­setz­lichen Bestimmungen zu entnehmen. Nach der für den saarländischen Maßregelvollzug geltenden Bestimmung bedarf die Behandlung jedoch grundsätzlich der Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters bzw. Betreuers. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht das Gesetz lediglich für die zwangsweise Behandlung zur Abwendung von Lebensgefahr, schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Patienten oder Gefahr für die Gesundheit anderer Personen vor.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 113/07 des BVerfG vom 28.11.2007

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