18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss12.10.2011

BVerfG: Medizinische Zwangs­be­handlung eines im Maßregelvollzug untergebrachten Strafgefangenen unzulässigBaden-württem­ber­gische gesetzliche Regelung verfas­sungs­widrig

Die Verfas­sungs­be­schwerde eines Maßregelvollzug Untergebrachten gegen eine medizinische Zwangs­be­handlung mit Neuroleptika war vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht erfolgreich. Das Gericht erklärte die baden-württem­ber­gische gesetzliche Regelung für verfas­sungs­widrig, da die Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 2 des baden-württem­ber­gischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und somit nichtig ist.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls ist seit dem Jahr 2005 im Maßregelvollzug untergebracht. Im Juni 2009 kündigte die Maßre­gel­voll­zugs­klinik dem Beschwer­de­führer an, dass er mit einem Neuroleptikum behandelt werden und diese Behandlung erfor­der­li­chenfalls auch gegen seinen Willen - durch Injektion unter Fesselung - durchgeführt werden solle. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwer­de­führer unter anderem geltend, man dürfe ihm nicht zwangsweise Medikamente verabreichen, wenn - unstrittig - keine Psychose, sondern nur eine Persön­lich­keits­s­törung vorliege. Eine scharfe psychiatrische Indikation sei nicht gestellt. Er leide schwer unter den Nebenwirkungen der Medikation.

Gericht beruft sich bei Entscheidung auf § 8 Abs. 2 Satz 2 des baden-württem­ber­gischen Gesetzes zur Unterbringung psychisch Kranker

Der im konkreten Fall als Rechtsgrundlage herangezogene § 8 Abs. 2 Satz 2 des baden-württem­ber­gischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unter­brin­gungs­gesetz - UBG BW) bestimmt, dass der Untergebrachte diejenigen Untersuchungs- und Behand­lungs­maß­nahmen zu dulden hat, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt. § 8 Abs. 3 UBG BW sieht (nur) für operative Eingriffe und Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, ein Einwil­li­gungs­er­for­dernis vor.

BVerfG rügt Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig ist. Die mit der Verfas­sungs­be­schwerde angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlan­des­ge­richts wurden aufgehoben. Sie verletzen den Beschwer­de­führer bereits deshalb in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, weil es für die Zwangsbehandlung, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfas­sungs­mäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt.

BVerfG verweist auf Entscheidung zur Zulässigkeit von medizinischen Zwangs­be­hand­lungen vom März 2011

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die verfas­sungs­recht­lichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer auf die Erreichung des Vollzugsziels gerichteten medizinischen Zwangs­be­handlung eines Untergebrachten hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in seinem Beschluss vom 23. März 2011 geklärt.

Voraussetzungen für möglich medizinischen Zwangs­be­handlung nicht gegeben

Die Eingriffs­er­mäch­tigung des § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW genügt, auch in Verbindung mit weiteren Bestimmungen des baden-württem­ber­gischen Unter­brin­gungs­ge­setzes, den in diesem Beschluss konkretisierten Maßstäben nicht. Insbesondere ist die medizinische Zwangs­be­handlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nach dieser Vorschrift nicht, wie verfas­sungs­rechtlich geboten, auf die Fälle seiner krank­heits­bedingt fehlenden Einsichts­fä­higkeit begrenzt. Einer Reihe weiterer aus dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz abzuleitender Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangs­be­handlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen muss, entspricht § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW ebenfalls nicht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss12434

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI