18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil19.01.2016

Formularklausel über Nicht­berück­sich­tigung zukünftiger Sonder­tilgungs­rechte bei Berechnung der Vor­fälligkeits­entschädigung ungültigKlausel benachteiligt Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen

Der Bundes­ge­richtshof hat auf die Unter­las­sungsklage eines Verbraucher­schutz­vereins entschieden, dass die Klausel in einem Darle­hens­vertrag zwischen einem Kreditinstitut und einem Verbraucher, wonach im Falle vorzeitiger Vollrückzahlung des Darlehens zukünftige Sonder­tilgungs­rechte des Kunden bei der Berechnung der Vor­fälligkeits­entschädigung unberück­sichtigt bleiben, unwirksam ist.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist ein Verbrau­cher­schutz­verein, der als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist. Die beklagte Sparkasse vergibt unter anderem grund­pfand­rechtlich abgesicherte Darlehen an Verbraucher. Soweit den Kreditnehmern hierbei Sonder­til­gungs­rechte innerhalb des Zinsfest­schrei­bungs­zeitraums eingeräumt werden, enthalten die "Besonderen Vereinbarungen" des Darle­hens­vertrags die nachfolgende Bestimmung:

Erläuterungen
"Zukünftige Sonder­til­gungs­rechte werden im Rahmen vorzeitiger Darle­hens­voll­rü­ck­zahlung bei der Berechnung von Vorfäl­lig­keits­zinsen nicht berücksichtigt."

Klausel hält gerichtlicher Inhalts­kon­trolle nicht stand

Das Landgericht Aurich hat die gegen die Verwendung dieser Klausel gerichtete Unter­las­sungsklage abgewiesen, das Oberlan­des­gericht Oldenburg hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten wies der Bundes­ge­richtshof zurück. Die angegriffene Klausel hält der gerichtlichen Inhalts­kon­trolle nicht stand. Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB* unterliegen unter anderem solche Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen der Inhalts­kon­trolle, durch die von Rechts­vor­schriften abweichende Regelungen vereinbart werden. Das trifft auf die beanstandete Klausel zu. Die Auslegung der umfassend formulierten Regelung ergibt, dass sie aus der maßgeblichen Sicht eines rechtlich nicht vorgebildeten Durch­schnitts­kunden jedenfalls auch bei der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB** aufgrund einer außer­or­dent­lichen Kündigung des Darle­hens­ver­trages durch den Darlehensnehmer infolge der Ausübung seiner berechtigten Interessen nach § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB** Anwendung findet.

Ausschluss von künftigem Sonder­til­gungsrecht führt zu Nachteilen für Darlehensnehmer

Auf der Grundlage dieser Auslegung weicht die beanstandete Klausel von gesetzlichen Regelungen ab. Nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB** hat der kündigende Darlehensnehmer dem Darlehensgeber denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht. Die Anspruchshöhe ist nach den für die Nicht­ab­nah­me­ent­schä­digung geltenden Grundsätzen zu ermitteln, wonach der maßgebliche Schadensumfang den Zinsschaden und den Verwal­tungs­aufwand des Darlehensgebers umfasst. Ersatzfähig ist der Zinsschaden jedoch lediglich für den Zeitraum rechtlich geschützter Zinserwartung des Darlehensgebers. Die rechtlich geschützte Zinserwartung wird - unter anderem - durch vereinbarte Sonder­til­gungs­rechte begrenzt. Diese begründen ein kündi­gungs­u­n­ab­hängiges Teilleis­tungsrecht des Darle­hens­nehmers zur Rückerstattung der Valuta ohne Verpflichtung zur Zahlung einer Vorfäl­lig­keits­ent­schä­digung. Mit der Einräumung solcher regelmäßig an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Sonder­til­gungs­rechte gibt der Darlehensgeber von vornherein seine rechtlich geschützte Zinserwartung im jeweiligen Umfang dieser Rechte auf. Von diesen Grundsätzen der Bemessung der Vorfäl­lig­keits­ent­schä­digung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB** weicht die beanstandete Regelung zum Nachteil des Darle­hens­nehmers ab, indem dessen künftige Sonder­til­gungs­rechte, die die Zinserwartung der Beklagten und damit die Höhe der von ihr im Falle einer Kündigung nach § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB** zu beanspruchenden Vorfäl­lig­keits­ent­schä­digung beeinflussen, bei der Berechnung - generell - ausgenommen werden.

Klausel ist wegen Benachteiligung der Kunden mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar

Die generelle Nicht­be­rück­sich­tigung vereinbarter künftiger Sonder­til­gungs­rechte bei der Berechnung einer Vorfäl­lig­keits­ent­schä­digung führt zu einer von der Schadens­be­rechnung nicht gedeckten Überkom­pen­sation der Beklagten. Die Klausel ist deshalb mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, unvereinbar und benachteiligt die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Die Überkom­pen­sation wird nicht anderweit ausgeglichen oder auch nur abgeschwächt. Die Beklagte führt auch keine Umstände oder Erschwernisse an, die eine Außer­acht­lassung künftiger Sonder­til­gungs­rechte bei der Berechnung der Vorfäl­lig­keits­ent­schä­digung rechtfertigen könnten.

* § 307 BGB

Inhalts­kon­trolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen, durch die von Rechts­vor­schriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

** § 490 BGB

Außer­or­dent­liches Kündigungsrecht

(1) [...]

(2) Der Darlehensnehmer kann einen Darle­hens­vertrag, bei dem der Sollzinssatz gebunden und das Darlehen durch ein Grund- oder Schiffs­pfandrecht gesichert ist, unter Einhaltung der Fristen des § 488 Abs. 3 Satz 2 vorzeitig kündigen, wenn seine berechtigten Interessen dies gebieten und seit dem vollständigen Empfang des Darlehens sechs Monate abgelaufen sind. Ein solches Interesse liegt insbesondere vor, wenn der Darlehensnehmer ein Bedürfnis nach einer anderweitigen Verwertung der zur Sicherung des Darlehens beliehenen Sache hat. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht (Vorfäl­lig­keits­ent­schä­digung).

(3) [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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