18.10.2024
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Sie sehen ein Flugzeug am Himmel.

Dokument-Nr. 22238

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Urteil16.02.2016BundesgerichtshofX ZR 97/14, X ZR 98/14 und X ZR 5/15
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • RRa 2016, 186Zeitschrift: Reiserecht aktuell (RRa), Jahrgang: 2016, Seite: 186
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Vorinstanzen zu X ZR 97/14:
  • Landgericht Köln, Urteil08.01.2014, 31 O 264/13
  • Oberlandesgericht Köln, Urteil05.09.2014, 6 U 23/14
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.02.2016

Bei Flugbuchungen darf vollständige Bezahlung des Flugpreises bereits unmittelbar bei Abschluss des Luft­beförderungs­vertrags verlangt werdenFälligkeit des Flugpreises unabhängig vom Zeitpunkt der Buchung stellt keine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste dar

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass bei Flugbuchungen die vollständige Bezahlung des Flugpreises bereits unmittelbar bei Abschluss des Luft­beförderungs­vertrags - unabhängig von der Höhe des Flugpreises oder dem zeitlichen Abstand zwischen Buchung und Flugantritt - verlangt werden darf.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens, ein Verbrau­cher­verband, begehrt von den Beklagten gemäß § 1 UKlaG*, die Verwendung entsprechender Voraus­zah­lungs­klauseln in ihren Beför­de­rungs­be­din­gungen zu unterlassen. Die Klagen richten sich gegen zwei inländische Luftfahrt­ge­sell­schaften (X ZR 97/14 und X ZR 98/14) sowie gegen den Betreiber einer Inter­net­plattform, auf der dieser Flugbe­för­de­rungs­dienst­leis­tungen anbietet, wobei die Flüge von einer konzern­an­ge­hörigen oder von anderen Luftfahrt­ge­sell­schaften durchgeführt werden (X ZR 5/15).

Vorinstanzen im Hinblick auf mögliche Benachteiligung der Verbraucher bei Verwendung einer Vorleis­tungs­klausel uneinig

Die Berufungs­ge­richte haben übereinstimmend die angegriffenen Voraus­zah­lungs­klauseln einer Inhalts­kon­trolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB** unterworfen. Bei der Abwägung der berechtigten Interessen der Unternehmen an der Beibehaltung der bisherigen Voraus­zah­lung­s­praxis mit den beein­träch­tigten Interessen der Verbraucher sind sie jedoch zu einer unter­schied­lichen Beurteilung der Frage gelangt, ob der Verbraucher bei Verwendung einer Vorleis­tungs­klausel entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird.

Mit den von den Berufungs­ge­richten zugelassenen Revisionen haben die in den Verfahren jeweils unterlegenen Parteien ihre Begehren auf Unterlassung bzw. Klageabweisung weiterverfolgt.

BGH verneint unangemessene Benachteiligung der Fluggäste

Der Bundes­ge­richtshof entschied, dass Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen, nach denen der Flugpreis unabhängig vom Zeitpunkt der Buchung bei Vertragsschluss vollständig zur Zahlung fällig ist, keine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste darstellen.

Voraus­zah­lungs­klauseln kann nicht als unvereinbar mit gesetzlichem Gerech­tig­keits­modell angesehen werden

Die Verpflichtung des Fluggasts, das Beför­de­rungs­entgelt bei Vertragsschluss zu entrichten, widerspricht nicht wesentlichen Grundgedanken des Personen(Luft)beför­de­rungs­rechts (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB**). Auch wenn der Perso­nen­be­för­de­rungs­vertrag grundsätzlich als Werkvertrag zu qualifizieren ist, können die werkver­trag­lichen Regelungen das Leitbild des Perso­nen­be­för­de­rungs­vertrags allenfalls mit erheblichen Einschränkungen bestimmen. Insbesondere wird der Perso­nen­be­för­de­rungs­vertrag nicht derart von den Regelungen zur Fälligkeit der werkver­trag­lichen Vergütung nach §§ 641***, 646 BGB**** und zur Einrede des nichterfüllten Vertrags nach § 320 BGB***** geprägt, dass Voraus­zah­lungs­klauseln als unvereinbar mit dem gesetzlichen Gerech­tig­keits­modell anzusehen wären. Denn bei der Perso­nen­be­för­derung besteht kein Sicherungsrecht für den Vergü­tungs­an­spruch des Unternehmers, der einerseits ungesichert der Gefahr von Zahlungs­aus­fällen in erheblicher Größenordnung ausgesetzt, aber andererseits kraft Gesetzes zur Beförderung verpflichtet wäre. Eine Vertrags­ge­staltung, bei der das Beför­de­rungs­entgelt erst bei Ankunft am Zielort zur Zahlung fällig würde, wäre beim Massengeschäft der Fluggast­be­för­derung im Linienverkehr weder inter­es­sen­gerecht noch praktikabel.

Nachteile für Fluggäste durch Sofortzahlung nicht von schwerwiegender Bedeutung

Die gebotene Inter­es­se­n­ab­wägung erfordert es auch nicht, eine Vorauszahlung auf eine Anzahlung bei Vertragsschluss (in Höhe von regelmäßig maximal 20 % des Flugpreises) und eine (höchstens 30 Tage vor Flugantritt fällige) Restzahlung zu beschränken, wie dies der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zum Reise­ver­tragsrecht entspräche (vgl. Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 09.12.2014 - X ZR 85/12 u.a. ). Die mit der Pflicht zur sofortigen Vorauszahlung in voller Höhe einhergehenden Nachteile des Fluggasts sind nicht von solchem Gewicht, dass eine Umstellung der weltweit üblichen und einem einheitlichen - von der International Air Transport Association (IATA) empfohlenen - Standard folgenden Abrech­nung­s­praxis der Luftfahrtunternehmen unter Beein­träch­tigung deren auch im Allge­mein­in­teresse liegender wirtschaft­licher Tätigkeit im Linienverkehr geboten wäre.

Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht des Fluggastes vor Flugantritt regelmäßig ohne Bedeutung

Zwar verliert der Fluggast bei einer Vorauszahlung das Recht, die Zahlung bis zur Bewirkung der Gegenleistung zu verweigern (§ 320 BGB*****). Dieses Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht ist jedoch vor Flugantritt regelmäßig ohne Bedeutung, weil der Fluggast keinen Einblick in die Flugvor­be­rei­tungen des Luftfahrt­un­ter­nehmens hat. Zudem besteht anders als im Reise­ver­tragsrecht bei Luftbe­för­de­rungs­ver­trägen im Anwen­dungs­bereich der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter­stüt­zungs­leis­tungen für Fluggäste im Fall der Nicht­be­för­derung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen) aufgrund der darin gewährten unabdingbaren Mindestrechte der Fluggäste ein unions­recht­licher Mechanismus, der präventiv auf die Luftfahrt­un­ter­nehmen einwirkt und diese zur Einhaltung der Flugplanung und Erbringung der vertraglichen Beför­de­rungs­leistung anhält.

Preisvorteil durch Frühbuchung gleicht etwaigen Zinsnachteil des Fluggasts aus

Das vom Fluggast zu tragende Risiko der Insolvenz seines Vertrags­partners ist durch die unions­recht­lichen wie nationalen Zulassungs- und Aufsichts­be­stim­mungen, denen Luftfahrt­un­ter­nehmen im Linienverkehr unterliegen, deutlich verringert. Soweit der Kläger schließlich auf den bei vollständiger und sofortiger Vorauszahlung eintretenden Liquiditäts- und etwaigen Zinsnachteil des Fluggasts bei einer frühzeitigen Flugbuchung verweist, wird dieser wirtschaftlich regelmäßig durch einen Preisvorteil des Kunden gegenüber einer späteren Buchung ausgeglichen.

* § 1 UKlaG

Erläuterungen
Wer in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksam sind, verwendet oder für den rechts­ge­schäft­lichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung und im Fall des Empfehlens auch auf Widerruf in Anspruch genommen werden.

** § 307 BGB - Inhalts­kon­trolle

(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist […].

*** § 641 BGB - Fälligkeit der Vergütung

(1) 1Die Vergütung ist bei der Abnahme des Werkes zu entrichten.

**** § 646 BGB - Vollendung statt Abnahme

Ist nach der Beschaffenheit des Werkes die Abnahme ausgeschlossen, so tritt in den Fällen des § […] 641 […] an die Stelle der Abnahme die Vollendung des Werkes.

***** § 320 BGB - Einrede des nicht erfüllten Vertrags

(1) 1Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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