21.11.2024
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Sie sehen eine Einbauküche in einer Wohnung.

Dokument-Nr. 23411

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Bundesgerichtshof Urteil09.11.2016

Belei­di­gungs­kün­digung: Schwerwiegende persönliche Härtegründe: Außer­or­dentliche Kündigung kann trotz erheblicher Pflicht­ver­letzung seitens des Mieters unwirksam seinGerichte müssen schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters auch bei fristloser Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB* berücksichtigen

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, ob schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters im Einzelfall zur Folge haben können, dass ein wichtiger Grund für eine außer­or­dentliche Kündigung im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB* trotz einer erheblichen Pflicht­ver­letzung des Mieters nicht gegeben ist.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 97-jährige Beklagte zu 1 hatte - zusammen mit ihrem zwischen­zeitlich verstorbenen Ehemann - im Jahr 1955 von den Rechts­vor­gängern der Klägerin eine Dreizim­mer­wohnung in München und im Jahr 1963 zusätzlich eine in demselben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzim­mer­wohnung angemietet. Die (bettlägerige) Beklagte zu 1 bewohnt die Dreizim­mer­wohnung und steht seit einigen Jahren aufgrund einer Demen­z­er­krankung unter Betreuung. Der Beklagte zu 2 bewohnt seit dem Jahr 2000 die Einzim­mer­wohnung. Seit dem Jahr 2007 ist er Betreuer der Beklagten zu 1 und pflegt sie ganztägig. Im Jahr 2015 äußerte der Beklagte zu 2 in mehreren Schreiben an die Hausverwaltung grobe Beleidigungen gegenüber der Klägerin. Die Klägerin sprach daraufhin die fristlose Kündigung des Mietver­hält­nisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB* aus.

LG: Groben Beleidigungen begründen Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietvertrages

Das Amtsgericht wies die Räumungsklage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das Landgericht ihr allerdings statt. Bei derart groben Beleidigungen liege die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietvertrages für die Klägerin auf der Hand. Die von der Beklagten zu 1 vorgebrachten persönlichen Härtegründe könnten erst im Rahmen einer späteren Zwangs­voll­streckung im Wege eines Vollstre­ckungs­schutz­antrags nach § 765 a ZPO** geprüft werden. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrten die Beklagten die Wieder­her­stellung des erstin­sta­nz­lichen Urteils.

Interessen beider Mietver­trags­parteien sind unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalles abzuwägen

Der Bundes­ge­richtshof unterstrich in seiner Entscheidung, dass zu den bei der Gesamtabwägung einer nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB* erklärten fristlosen Kündigung zu berück­sich­ti­genden Umständen des Einzelfalls ohne weiteres auch schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters gehören. Denn § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB* schreibt ausdrücklich eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietver­trags­parteien und eine Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalles vor. Die Abwägung auf bestimmte Gesichtspunkte zu beschränken und deren Berück­sich­tigung - wie das Berufungs­gericht - auf das Vollstre­ckungs­ver­fahren zu verschieben, verbietet sich mithin bereits aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung. Bei drohenden schwerwiegenden Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte zudem verfas­sungs­rechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der wider­strei­tenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das kann bei der Gesamtabwägung nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB* zur Folge haben - was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist -, dass ein wichtiger Grund für eine außer­or­dentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe auf Seiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt. Das Berufungs­gericht hätte insoweit dem Vortrag der Beklagten nachgehen müssen, wonach die Beklagte zu 1 auf die Betreuung durch den Beklagten zu 2 in ihrer bisherigen häuslichen Umgebung angewiesen und bei einem Wechsel der Betreu­ungs­person oder einem Umzug schwerst­wiegende Gesund­heits­schäden zu besorgen seien.

Der Bundes­ge­richtshof hat deshalb Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen.

*§ 543 BGB Außer­or­dentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) 1 Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. 2 Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertrags­parteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietver­hält­nisses nicht zugemutet werden kann.

[...]

**§ 765 a ZPO Vollstre­ckungs­schutz

(1) 1 Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstre­ckungs­gericht eine Maßnahme der Zwangs­voll­streckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutz­be­dürf­nisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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