18.10.2024
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Dokument-Nr. 11432

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Urteil06.04.2011BundesgerichtshofVIII ZR 273/09 und VIII ZR 66/09
Vorinstanzen zu VIII ZR 273/09:
  • Landgericht Dessau-Roßlau, Urteil29.12.2009, 2 O 633/06
  • Oberlandesgericht Naumburg, Urteil17.09.2009, 1 U 23/09
Vorinstanzen zu VIII ZR 66/09:
  • Amtsgericht Lübeck, Urteil08.11.2006, 25 C 3539/04
  • Landgericht Lübeck, Urteil22.01.2009, 14 S 283/06
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil06.04.2011

Bundes­ge­richtshof zur Wirksamkeit von Preis­an­pas­sungs­klauseln in Fernw­är­me­lie­fer­ver­trägenFormulierung der Preis­an­pas­sungs­klauseln muss für Kunden hinsichtlich des Umfangs einer Preissteigerung transparent gestaltet werden

Der Bundes­ge­richtshof hatte erneut zur Frage der Wirksamkeit von Preis­an­pas­sungs­klauseln in Fernw­är­me­lie­fer­ver­trägen zu entscheiden.

Sachverhalt im Rechtsstreit VIII ZR 273/09

Im ersten Fall (VIII ZR 273/09) verlangte die Klägerin, ein kommunales Versor­gungs­un­ter­nehmen, von der beklagten Wohnungs­bau­ge­n­os­sen­schaft restliche Zahlung von Fernwärme für das Jahr 2006. Die Klägerin erhöhte im Jahre 2006 den Wärme­a­r­beitspreis vier Mal, dem trat die Beklagte entgegen und nahm Zahlungen nur auf der Basis des Wärme­a­r­beits­preises aus dem Jahre 2005 vor. Zur Änderung dieses Wärme­a­r­beits­preises heißt es in dem zwischen den Parteien geschlossenen Fernw­är­me­lie­fer­vertrag:

Erläuterungen
"…Der Arbeitspreis für die zu verrechnenden Mengen ändert sich entsprechend nachstehender Formel:

WAP = WAP0 + 1,26 x (HEL – 31,24) €/MWh …"

Dabei steht WAP für den aktuellen und WAP0 für den ursprünglichen Wärme­a­r­beitspreis. Bei dem mit "HEL" bezeichneten Faktor handelt es sich um den vom Statistischen Bundesamt monatlich veröf­fent­lichten Preis für leichtes Heizöl.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Landgericht Dessau-Roßlau hat der Klage stattgegeben, das Oberlan­des­gericht Naumburg hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision des Versor­gungs­un­ter­nehmens hatte keinen Erfolg.

Sachverhalt im Rechtsstreit VIII ZR 66/09

Im zweiten Fall (VIII ZR 66/09) verlangte die Klägerin, ebenfalls ein kommunales Versor­gungs­un­ter­nehmen, von den Beklagten Zahlung für Fernwärme, die sie in den Jahren 2001 bis 2003 für die von den Beklagten angemietete Wohnung geliefert hat. Die Beklagten zahlten zwar die von der Klägerin geforderten Abschläge, glichen jedoch die jeweiligen Endabrechnungen nicht aus, denen die Klägerin jeweils die Preise ihrer aktuellen Preisblätter zugrunde legte.

Die von der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum verwendeten Preis­be­stim­mungen lauten auszugsweise wie folgt:

HEL L

"AP = AP0 x (,5 x-----+ ,2 x ---- + ,3 x fEG)"

HEL0 L0

"HEL" bezeichnet dabei ebenfalls den vom Statistischen Bundesamt veröf­fent­lichten Preis für leichtes Heizöl, "L" entspricht dem jeweiligen Index für den tariflichen Stundenlohn in der Fernwär­me­ver­sorgung. Der Faktor "fEG" ist im Vertrag wie folgt definiert:

"fEG = jeweiliger Preis­än­de­rungs­faktor im Gasbezug der … [Klägerin] gegenüber dem Stand zum 01.01.97 - er wird anhand der Bestimmungen in dem Gasbe­zugs­vertrag der … [Klägerin] ermittelt und vom Vorlieferanten (z.Z. BEB Erdgas und Erdöl GmbH) der … [Klägerin] mitgeteilt. fEG = 1,0000 Basiswert zum Stand 01.01.97)"

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Amtsgericht Lübeck hat die Klage abgewiesen, das Landgericht Lübeck hat ihr auf die Berufung der Klägerin stattgegeben. Die dagegen gerichtete Revision der Fernwärmekunden hatte Erfolg.

Preiserhöhungen der zugrunde liegenden Preis­an­pas­sungs­klausel unwirksam

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass sich Kunden gegen das Zahlungs­be­gehren des Energie­ver­sorgers mit dem Einwand verteidigen können, die den Preiserhöhungen zugrunde liegende Preis­an­pas­sungs­klausel sei unwirksam. Zwar berechtigt § 30 AVBFernwärmeV* den Kunden zur Zahlungs­ver­wei­gerung nur, wenn ein offen­sicht­licher Fehler vorliegt. Nicht von dem Einwen­dungs­aus­schluss des § 30 AVBFernwärmeV erfasst sind aber nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs Einwendungen des Kunden, die sich nicht auf bloße Abrechnungs- oder Rechenfehler beschränken, sondern die Grundlagen der Vertrags­be­ziehung betreffen. Um eine derartige Einwendung handelt es sich, wenn der Kunde Einwände gegen die Wirksamkeit einer vom Versor­gungs­un­ter­nehmen vorformulierten Preis­an­pas­sungs­klausel erhebt.

Preis­an­pas­sungs­klauseln müssen für Zulässigkeit neben einem Marktelement auch ein Kostenelement enthalten

Der Bundes­ge­richtshof hat zudem entschieden, dass Preis­an­pas­sungs­klauseln den Anforderungen des § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV** nur dann gerecht werden, wenn sie neben einem Marktelement auch ein Kostenelement enthalten. Nur hierdurch wird sichergestellt, dass neben der Kosten­ent­wicklung auf dem Wärmemarkt auch die dem Versor­gungs­un­ter­nehmen entstehenden Kosten der Erzeugung und der Bereitstellung (etwa Transport, Verteilung) von Fernwärme bei einer Preisanpassung angemessen berücksichtigt werden. Darüber hinaus verlangt § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV, Preis­an­pas­sungs­klauseln so transparent zu gestalten, dass der Kunde den Umfang der auf ihn zukommenden Preissteigerung aus der Formulierung hinreichend erkennen kann.

Preis­an­pas­sungs­klauseln werden Anforderungen nicht gerecht

Den beschriebenen Anforderungen werden die Preis­an­pas­sungs­klauseln in den heute entschiedenen Fällen nicht gerecht. Im ersten Fall sind bei der Preis­an­pas­sungs­klausel die konkreten Kosten der Erzeugung der Fernwärme durch die Klägerin und damit das von § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV geforderte Kostenelement unberück­sichtigt geblieben. Denn die verwendete Klausel für den Wärme­a­r­beitspreis sieht als einzige Variable den Preis für extra leichtes Heizöl ("HEL") vor, die Klägerin setzt aber zur Wärmeerzeugung Erdgas ein und hat nicht dargelegt, ob und inwieweit die Entwicklung ihrer eigenen Erdgas­be­zugs­kosten ebenfalls an dem von ihr angesetzten oder wenigstens einem ähnlichen "HEL"-Faktor ausgerichtet ist.

Rückweisung der Sache an das Berufungs­gericht

Im zweiten Fall genügt der Faktor "fEG" nicht den Trans­pa­ren­zan­for­de­rungen, weil dem Kunden nicht offen gelegt wird, wie sich dieser Faktor berechnet, und er daher nicht nachvollziehen kann, welche Kriterien auf den Gasbezugspreis der Klägerin Einfluss haben. Das Verfahren wurde an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, damit Feststellungen dazu getroffen werden können, ob das Nachfor­de­rungs­ver­langen der Klägerin – wie von dieser behauptet – auch bei Zugrundelegung der bei Vertragsschluss geltenden Preise, also ohne Berück­sich­tigung der erfolgten Preiserhöhungen, begründet ist.

*§ 30 AVBFernwärmeV: Zahlungs­ver­wei­gerung

Einwände gegen Rechnungen und Abschlags­be­rech­nungen berechtigen zum Zahlungs­aufschub oder zur Zahlungs­ver­wei­gerung nur,

1. soweit sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen, und

2. wenn der Zahlungs­aufschub oder die Zahlungs­ver­wei­gerung innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlags­be­rechnung geltend gemacht wird.

**§ 24 AVBFernwärmeV: Abrechnung, Preis­än­de­rungs­klauseln

… (3) Preis­än­de­rungs­klauseln dürfen nur so ausgestaltet sein, dass sie sowohl die Kosten­ent­wicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen. Sie müssen die maßgeblichen Berech­nungs­faktoren vollständig und in allgemein verständlicher Form ausweisen. Bei Anwendung der Preis­än­de­rungs­klauseln ist der prozentuale Anteil des die Brenn­stoff­kosten abdeckenden Preisfaktors an der jeweiligen Preisänderung gesondert auszuweisen.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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