23.11.2024
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Dokument-Nr. 33266

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Bundesgerichtshof Beschluss14.09.2023

Sampling-Streit um Kraftwerk-Tonfolge - BGH legt Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum urheber­recht­lichen Begriff des Pastiches vorJahrelanger Rechtsstreit zwischen deer Musikgruppe "Kraftwerk" und Musikproduzent Moses Pelham um eine kurze Tonfolge wird erneut ein Fall für den EuGH

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Klärung des urheber­recht­lichen Begriffs des Pastiches vorzulegen.

Der Kläger zu 1 und der am 21. April 2020 verstorbene frühere Kläger zu 2, dessen Rechts­nach­folgerin die jetzige Klägerin zu 2 ist, waren Mitglieder der Musikgruppe "Kraftwerk". Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück "Metall auf Metall" befindet. Die Beklagten zu 2 und 3 sind die Komponisten des Titels "Nur mir", den die Beklagte zu 1 mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen Tonträgern einspielte. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" elektronisch kopiert ("gesampelt") und dem Titel "Nur mir" in fortlaufender Wiederholung unterlegt.

Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als Tonträ­ger­her­steller und das Urheberrecht des Klägers zu 1 verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme "Nur mir" herzustellen und in Verkehr zu bringen. Außerdem haben sie die Feststellung der Schaden­s­er­satz­pflicht der Beklagten, Auskunft­s­er­teilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung verlangt.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen. Das Oberlan­des­gericht Hamburg hat die Berufung der Beklagten wiederum zurückgewiesen. Die erneute Revision der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof zurückgewiesen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Revisi­ons­urteile und das zweite Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an den Bundes­ge­richtshof zurückverwiesen. Dieser hat daraufhin dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft und der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums vorgelegt, die der Gerichtshof mit Urteil vom 29. Juli 2019 beantwortet hat. Mit dem dritten Revisionsurteil hat der Senat auf die Revision der Beklagten die Entscheidung des Berufungs­ge­richts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Das Berufungs­gericht hat das Urteil des Landgerichts daraufhin dahingehend abgeändert, dass die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Auskunft über die Anzahl der zwischen dem 22. Dezember 2002 und dem 7. Juni 2021 hergestellten und/oder ausgelieferten Tonträger mit Schallaufnahmen des Titels "Nur mir" sowie zur Herausgabe von Verviel­fäl­ti­gungs­stücken dieser Tonträger zum Zwecke der Vernichtung verurteilt werden und insoweit ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festgestellt wird. Das Berufungs­gericht hat die Revision zugelassen, soweit es hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche ab dem 7. Juni 2021 zum Nachteil der Kläger erkannt hat. Die Kläger verfolgen mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, ihre mit der Klage ab dem 7. Juni 2021 geltend gemachten Ansprüche weiter.

Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs

Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren nunmehr erneut ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft vorgelegt.

Die Revision hat Erfolg, wenn das Berufungs­gericht zu Unrecht angenommen hat, dass die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ab dem 7. Juni 2021 ausgeschlossen sind, weil die Übernahme der Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" im Wege des Sampling eine nach § 51 a Satz 1 UrhG in der ab dem 7. Juni 2021 geltenden Fassung zulässige Nutzung zum Zwecke des Pastiches ist, so dass keine Verletzung der von den Klägern geltend gemachten Leistungs­schutz­rechte als Tonträ­ger­her­steller oder ausübende Künstler sowie des Urheberrechts des Klägers zu 1 vorliegt. Hierauf kommt es im Streitfall an, weil das Musikstück "Nur mir" die Voraussetzungen einer Karikatur oder Parodie des Musikstücks "Metall auf Metall" mangels Ausdrucks von Humor oder einer Verspottung nicht erfüllt (dazu BGHZ 225, 222 [juris Rn. 63] - Metall auf Metall IV).

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs stellt sich zunächst die Frage, ob die Schran­ken­re­gelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffang­tat­bestand jedenfalls für eine künstlerische Ausein­an­der­setzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugs­ge­genstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiches einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten. Die Pastiche-Schranke könnte als allgemeine Schranke für die Kunstfreiheit zu verstehen sein, die deshalb notwendig ist, weil der Kunstfreiheit allein durch die immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Verwer­tungs­rechte auf eine Nutzung der Werke und Leistungen in wieder­er­kennbarer Form (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 31] - Pelham u.a.) und die übrigen Schran­ken­re­ge­lungen wie insbesondere Parodie, Karikatur und Zitat nicht in allen Fällen der gebotene Raum gegeben werden kann. Die hier in Rede stehende Technik des "Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten" (Sampling), bei der ein Nutzer einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werks nutzt, ist eine künstlerische Ausdrucksform, die unter die durch Art. 13 EU-Grund­recht­echarta geschützte Freiheit der Kunst fällt (EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 35] - Pelham u.a.; zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vgl. BVerfGE 142, 74 [juris Rn. 89]). Die Rechte der Urheber, Tonträ­ger­her­steller und ausübenden Künstler gemäß Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG genießen den Schutz des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grund­recht­echarta. Dem Ziel des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen trägt der in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene "Drei-Stufen-Test" Rechnung, dessen Voraussetzungen nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts erfüllt sind.

Sodann stellt sich nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs die weitere Frage, ob die Nutzung "zum Zwecke" eines Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG die Feststellung einer Absicht des Nutzers erfordert, einen urheber­recht­lichen Schutz­ge­genstand zum Zwecke eines Pastiches zu nutzen oder ob die Erkennbarkeit des Charakters als Pastiche für denjenigen genügt, dem der in Bezug genommene urheber­rechtliche Schutz­ge­genstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiches erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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