21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil31.05.2016

Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann Eingriff in Urheber- und Leistungs­schutz­rechte rechtfertigenBundes­ver­fas­sungs­gericht kippt Entscheidung des BGH zum Sampling

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung einen Eingriff in Urheber- und Leistungs­schutz­rechte rechtfertigen kann. Das gab damit einer Verfassungs­beschwerde statt, die sich gegen die fachge­richtliche Feststellung wendete, dass die Übernahme einer zweisekündigen Rhythmussequenz aus der Tonspur des Musikstücks "Metall auf Metall" der Band "Kraftwerk" in den Titel "Nur mir" im Wege des sogenannten Sampling einen Eingriff in das Ton­träger­hersteller­recht darstelle, der nicht durch das Recht auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) gerechtfertigt ist. Das vom Bundes­ge­richtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Ton­träger­hersteller­recht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspiel­barkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet, einen verhält­nis­mäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigen­tum­s­in­teressen der Ton­träger­produzenten herzustellen.

Die Verfas­sungs­be­schwerde des zugrunde liegenden Verfahrens betrifft die Frage, inwieweit sich Musikschaffende bei der Übernahme von Ausschnitten aus fremden Tonträgern im Wege des sogenannten Sampling gegenüber leistungs­schutz­recht­lichen Ansprüchen der Tonträ­ger­her­steller auf die Kunstfreiheit berufen können.

Gesetzliche Vorschriften über Tonträ­ger­her­stel­ler­rechte mit Kunstfreiheit und Eigentumsschutz vereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen drei der insgesamt zwölf Beschwer­de­führer in ihrer Freiheit der künstlerischen Betätigung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) verletzen. Die den angegriffenen Urteilen zugrunde gelegten gesetzlichen Vorschriften über das Tonträ­ger­her­stel­lerrecht (§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG) und das Recht auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) sind mit der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Sie geben den mit ihrer Auslegung und Anwendung betrauten Gerichten hinreichende Spielräume, um zu einer der Verfassung entsprechenden Zuordnung der künstlerischen Betäti­gungs­freiheit einerseits und des eigen­tums­recht­lichen Schutzes des Tonträ­ger­her­stellers andererseits zu gelangen. Die grundsätzliche Anerkennung eines Leistungs­schutz­rechts zugunsten des Tonträ­ger­her­stellers, das den Schutz seiner wirtschaft­lichen, organi­sa­to­rischen und technischen Leistung zum Gegenstand hat, ist auch mit Blick auf die Beschränkung der künstlerischen Betäti­gungs­freiheit verfas­sungs­rechtlich unbedenklich. Umgekehrt führt allein die Möglichkeit von Künstlerinnen und Künstlern, sich unter näher bestimmten Umständen auf ein Recht auf freie Benutzung von Tonträgern zu berufen, nicht schon grundsätzlich zu einer unver­hält­nis­mäßigen Beschränkung des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kerns des Tonträ­ger­her­stel­ler­rechts.

Recht auf freie Benutzung dürfte zur Stärkung der Verwer­tungs­in­teressen mit Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung verknüpft werden

Mit den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist auch, dass § 24 Abs. 1 UrhG durch den Verzicht auf eine entsprechende Vergü­tungs­re­gelung auch das Verwer­tungsrecht der Urheber oder Tonträ­ger­her­steller beschränkt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die enge Ausnah­me­re­gelung nicht durch eine Vergü­tungs­pflicht zu ergänzen, die den Urheber oder Tonträ­ger­her­steller an den Einnahmen teilhaben ließe, die im Rahmen der freien Benutzung seines Werks oder Tonträgers erst in Verbindung mit der schöpferischen Leistung eines anderen entstehen könnten, hält sich in den Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestal­tungs­spielraums. Dem Gesetzgeber wäre es allerdings zur Stärkung der Verwer­tungs­in­teressen nicht von vornherein verwehrt, das Recht auf freie Benutzung mit einer Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung zu verknüpfen. Hierbei könnte er der Kunstfreiheit beispielsweise durch nachlaufende, an den kommerziellen Erfolg eines neuen Werks anknüpfende Vergü­tungs­pflichten Rechnung tragen.

BVerfG bejaht Verletzung der garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung

Dagegen verletzen die angegriffenen Entscheidungen die beiden Komponisten und die Musik­pro­duk­ti­o­ns­ge­sell­schaft des Titels "Nur mir" in ihrer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung. Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die im Gesetz zum Ausdruck kommende Inter­es­se­n­ab­wägung zwischen dem Eigentumsschutz der Tonträ­ger­her­steller und den damit konkurrierenden Grund­rechts­po­si­tionen nachzu­voll­ziehen und dabei unver­hält­nis­mäßige Grund­rechts­be­schrän­kungen zu vermeiden. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfas­sungsrecht, den das Bundes­ver­fas­sungs­gericht zu korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.

Verwer­tungs­in­teressen der Urheber­rechts­inhaber können zugunsten der Freiheit der künstlerischen Ausein­an­der­setzung zurückzutreten haben

Bei der rechtlichen Bewertung der Nutzung von urheber­rechtlich geschützten Werken steht dem Interesse der Urheber­rechts­inhaber, die Ausbeutung ihrer Werke zu fremden kommerziellen Zwecken ohne Genehmigung zu verhindern, das durch die Kunstfreiheit geschützte Interesse anderer Künstler gegenüber, ohne finanzielle Risiken oder inhaltliche Beschränkungen in einen Schaf­fen­s­prozess im künstlerischen Dialog mit vorhandenen Werken treten zu können. Steht der künstlerischen Entfal­tungs­freiheit ein Eingriff in die Urheberrechte gegenüber, der die Verwer­tungs­mög­lich­keiten nur geringfügig beschränkt, so können die Verwer­tungs­in­teressen der Urheber­rechts­inhaber zugunsten der Freiheit der künstlerischen Ausein­an­der­setzung zurückzutreten haben. Diese Grund­sätze gelten auch für die Nutzung von nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG geschützten Tonträgern zu künstlerischen Zwecken.

Unzulässigkeit der Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen trägt Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung

Die Annahme des Bundes­ge­richtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle einen unzulässigen Eingriff in das Tonträ­ger­her­stel­lerrecht der Kläger dar, soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trägt der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Wenn der Musikschaffende, der unter Einsatz von Samples ein neues Werk schaffen will, nicht völlig auf die Einbeziehung des Sample in das neue Musikstück verzichten will, stellt ihn die enge Auslegung der freien Benutzung durch den Bundes­ge­richtshof vor die Alternative, sich entweder um eine Sample­li­zen­zierung durch den Tonträ­ger­her­steller zu bemühen oder das Sample selbst nachzuspielen. In beiden Fällen würden jedoch die künstlerische Betäti­gungs­freiheit und damit auch die kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt.

Lizen­zie­rungs­mög­lichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betäti­gungs­freiheit

Der Verweis auf die Lizen­zie­rungs­mög­lichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betäti­gungs­freiheit: Auf die Einräumung einer Lizenz zur Übernahme des Sample besteht kein Anspruch; sie kann von dem Tonträ­ger­her­steller aufgrund seines Verfü­gungs­rechts ohne Angabe von Gründen und ungeachtet der Bereitschaft zur Zahlung eines Entgelts für die Lizenzierung verweigert werden. Für die Übernahme kann der Tonträ­ger­her­steller die Zahlung einer Lizenzgebühr verlangen, deren Höhe er frei festsetzen kann. Besonders schwierig gestaltet sich der Prozess der Rechte­ein­räumung bei Werken, die viele verschiedene Samples benutzen und diese collagenartig zusammenstellen. Die Existenz von Sample­da­ten­banken sowie von Dienstleistern, die Musikschaffende beim Sampleclearing unterstützen, beseitigen diese Schwierigkeiten nur teilweise und unzureichend.

Einsatz von Samples ist stilprägendes Element des Hip-Hop

Das eigene Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die erforderliche kunst­s­pe­zi­fische Betrachtung verlangt, diese genre­s­pe­zi­fischen Aspekte nicht unberück­sichtigt zu lassen. Hinzu kommt, dass sich das eigene Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten kann und die Beurteilung der gleichwertigen Nachspiel­barkeit für die Kunst­schaf­fenden zu erheblicher Unsicherheit führt.

Erlaubnisfreier Zulässigkeit des Sampling steht nur geringfügiger Eingriff in Tonträ­ger­her­stel­lerrecht gegenüber

Diesen Beschränkungen der künstlerischen Betäti­gungs­freiheit steht hier bei einer erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das Tonträ­ger­her­stel­lerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber. Eine Gefahr von Absatz­rü­ck­gängen für die Kläger des Ausgangs­ver­fahrens durch die Übernahme der Sequenz in die beiden streit­ge­gen­ständ­lichen Versionen des Titels "Nur mir" ist nicht ersichtlich. Eine solche Gefahr könnte im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz aufwiese, dass realis­ti­scherweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen. Allein der Umstand, dass § 24 Abs. 1 UrhG dem Tonträ­ger­her­steller die Möglichkeit einer Lizenzeinnahme nimmt, bewirkt ebenfalls nicht ohne weiteres - und insbesondere nicht im vorliegenden Fall - einen erheblichen wirtschaft­lichen Nachteil des Tonträ­ger­her­stellers. Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein Leistungs­schutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs wegen nicht geboten.

Verwer­tungs­in­teressen der Tonträ­ger­her­steller müssen zurücktreten

Insoweit haben die Verwer­tungs­in­teressen der Tonträ­ger­her­steller in der Abwägung mit den Nutzungs­in­teressen für eine künstlerische Betätigung zurückzutreten. Das vom Bundes­ge­richtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Tonträ­ger­her­stel­lerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspiel­barkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet, einen verhält­nis­mäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigen­tum­s­in­teressen der Tonträ­ger­pro­du­zenten herzustellen.

BGH muss erneut entscheiden

Der Bundes­ge­richtshof kann bei der erneuten Entscheidung die hinreichende Berück­sich­tigung der Kunstfreiheit im Rahmen einer entsprechenden Anwendung von § 24 Abs. 1 UrhG sicherstellen. Hierauf ist er aber nicht beschränkt. Eine verfas­sungs­konforme Rechtsanwendung, die hier und in vergleichbaren Konstellationen eine Nutzung von Tonaufnahmen zu Zwecken des Sampling ohne vorherige Lizenzierung erlaubt, könnte beispielsweise auch durch eine einschränkende Auslegung von § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG erreicht werden. Soweit Nutzungs­hand­lungen ab dem 22. Dezember 2002, auf welche die Urheber­rechts­richtlinie der Europäischen Union anwendbar ist, betroffen sind, hat der Bundes­ge­richtshof als zuständiges Fachgericht zunächst zu prüfen, inwieweit durch vorrangiges Unionsrecht noch Spielraum für die Anwendung des deutschen Rechts bleibt. Erweist sich das europäische Richt­li­ni­enrecht als abschließend, ist der Bundes­ge­richtshof verpflichtet, effektiven Grund­rechts­schutz zu gewährleisten, indem er die Richt­li­ni­en­be­stim­mungen mit den europäischen Grundrechten konform auslegt und bei Zweifeln über die Auslegung oder Gültigkeit der Urheber­rechts­richtlinie das Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV vorlegt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht überprüft, ob das Fachgericht drohende Grund­rechts­ver­let­zungen auf diese Weise abgewehrt hat und ob der unabdingbare grundrechtliche Mindeststandard des Grundgesetzes gewahrt ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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