18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil12.05.2016

Bundes­ge­richtshof zur Haftung wegen Teilnahme an Internet-TauschbörsenAnschluss­inhaber trifft gegenüber volljährigen Besuchern oder Gästen bei der Nutzung des Inter­ne­t­an­schlusses keine anlasslose Belehrungs- und Überwa­chungs­pflicht

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich erneut mit Fragen der Haftung wegen der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen zu befassen.

Die Klägerinnen in den Verfahren I ZR 272/14, I ZR 1/15 und I ZR 44/15 haben die Verwer­tungs­rechte an verschiedenen Filmwerken inne. Sie nehmen die jeweiligen Beklagten wegen der öffentlichen Zugäng­lich­machung der jeweiligen Filmwerke im Wege des "Filesharing" über ihren Internetanschluss teils auf Schadensersatz (600 Euro je Filmtitel) sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch, die sie im Verfahren I ZR 272/14 und I ZR 1/15 nach einem Gegenstandswert der Abmahnung in Höhe von 10.000 Euro auf 506 Euro sowie im Verfahren I ZR 44/15 nach einem Gegenstandswert der Abmahnung in Höhe von 30.000 Euro auf 1.005,40 Euro veranschlagen.

Gegenstandswert vorge­richt­licher Abmahnungen beläuft sich laut LG stets auf das Doppelte des erstat­tungs­fähigen Lizenz­scha­den­s­er­satzes

Das Berufungs­gericht hat die Klage in den Verfahren I ZR 272/14 und I ZR 1/15 wegen des begehrten Schaden­s­er­satzes in Höhe von 600 Euro für begründet erachtet und die Beklagten zudem in allen drei Verfahren zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 130,50 Euro verurteilt. Das Landgericht hat angenommen, dass sich der Gegenstandswert der vorge­richt­lichen Abmahnung stets auf das Doppelte des erstat­tungs­fähigen Lizenz­scha­den­s­er­satzes belaufe, mithin vorliegend auf 1.200 Euro.

BGH: Gegenstandswert der Abmahnung ist nach Interessen an Unterbindung künftiger Rechts­ver­let­zungen zu bestimmen

Auf die Revision der Klägerinnen hob der Bundes­ge­richtshof die Urteile des Landgerichts auf und wies die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung stets auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens belaufe. Vielmehr ist der Gegenstandswert der Abmahnung in Fällen der vorliegenden Art nach dem Interesse der Klägerinnen an der Unterbindung künftiger Rechts­ver­let­zungen unter Berück­sich­tigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Die vom Landgericht vorgenommene schematische Bemessung des Gegen­standswerts wird dem Umstand nicht gerecht, dass die zukünftige Bereitstellung eines Werks in einer Internet-Tauschbörse nicht nur die Lizenzierung des Werks, sondern seine kommerzielle Auswertung insgesamt zu beeinträchtigen droht. Die hiernach für die Bemessung des Gegen­standswerts erforderlichen tatsächlichen Feststellungen - etwa zum wirtschaft­lichen Wert des verletzten Rechts, zur Aktualität und Popularität des Werks, zur Intensität und Dauer der Rechts­ver­letzung sowie zu subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers - hat das Landgericht bislang nicht getroffen.

Gegenstandwert der vorge­richt­lichen Abmahnung vom Landgericht auch im Verfahren I ZR 43/15 falsch bestimmt

Die Klägerin im Verfahren I ZR 43/15 machte geltend, Inhaberin der Rechte an einem Computerspiel zu sein. Sie nimmt den Beklagten wegen der öffentlichen Zugäng­lich­machung des Computerspiels über seinen Inter­ne­t­an­schluss auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch, die sie nach einem Gegenstandswert von 30.000 Euro auf 1.005,40 Euro veranschlagt. Vor dem Amtsgericht hatte die Klage in Höhe eines Betrages von 39 Euro Erfolg. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von insgesamt 192,90 Euro verurteilt. Auch hier hat das Landgericht angenommen, der Gegenstandwert der vorge­richt­lichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des erstat­tungs­fähigen Lizenz­scha­den­s­er­satzes, mithin vorliegend auf 2.000 Euro. Auf die Revision der Klägerin hob der Bundes­ge­richtshof aus den vorgenannten Gründen das Urteil des Landgerichts ebenfalls auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück.

Anschluss­inhaber verweist auf Zugriffs­mög­lichkeit anderer Famili­en­mit­glieder auf Computer mit Internetzugang

Die Klägerinnen im Verfahren I ZR 48/15 sind führende deutsche Tonträ­ger­her­stel­le­rinnen. Sie nehmen den Beklagten als Inhaber eines Inter­ne­t­an­schlusses wegen der angeblichen öffentlichen Zugäng­lich­machung von 809 Audiodateien auf Schadensersatz sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Der Beklagte hat die Aktiv­le­gi­ti­mation der Klägerinnen, die Richtigkeit der Ermittlungen sowie seine Täterschaft bestritten. Er hat darauf verwiesen, dass auch seine Ehefrau und seine damals 15 und 17 Jahre alten Kinder Zugriff auf die beiden im Haushalt genutzten Computer mit Internetzugang gehabt hätten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat den Beklagten bis auf einen Teil der Abmahnkosten antragsgemäß verurteilt.

BGH: Anschluss­inhaber haftet für öffentliche Zugäng­lich­machung von Musikaufnahmen über seinen Inter­ne­t­an­schluss

Der Bundes­ge­richtshof wies die Revision des Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen. Das Berufungs­gericht hat zu Recht angenommen, dass der Beklagte für die öffentliche Zugäng­lich­machung der Musikaufnahmen über seinen Inter­ne­t­an­schluss haftet. Das Berufungs­gericht hat nach Durchführung der Beweisaufnahme zu Recht angenommen, die Ehefrau des Beklagten scheide als Täterin aus. Der Beklagte hat weiter nicht hinreichend konkret dazu vorgetragen, dass seine Kinder ernsthaft als Täter der Rechts­ver­letzung in Betracht kommen.

Rechte­ver­letzung erfolgte in Unwissenheit der Beklagten durch Verwandte

Die Klägerin im Verfahren I ZR 86/15 ist Inhaberin der ausschließ­lichen Verwer­tungs­rechte an dem Film "Silver Linings Playbook". Sie hat von der Beklagten als Inhaberin eines Inter­ne­t­an­schlusses wegen der unerlaubten öffentlichen Zugäng­lich­machung des Werks den Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 755,80 Euro verlangt. Die Beklagte wandte ein, dass ihre in Australien lebende Nichte und deren Lebensgefährte anlässlich eines Besuchs mithilfe des ihnen überlassenen Passworts für den WLAN-Router die Verlet­zungs­handlung begangen hätten. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Das Landgericht verurteilte die Beklagte antragsgemäß.

BGH: Belehrungen ohne konkrete Anhaltspunkte für rechtswidrige Nutzung des Inter­ne­t­an­schlusses nicht zumutbar

Der Bundes­ge­richtshof stellte das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts wieder her. Entgegen der Ansicht des Berufungs­ge­richts haftet die Beklagte nicht als Störer wegen von ihrer Nichte und deren Lebensgefährten begangener Urheber­rechts­ver­let­zungen auf Unterlassung. Als Grund für die Haftung kam vorliegend nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechts­wid­rigkeit der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehrt hat. Der Beklagten war eine entsprechende Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Inter­ne­t­an­schlusses nicht zumutbar. Den Inhaber eines Inter­ne­t­an­schlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohnge­mein­schaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Inter­ne­t­an­schluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

Vorinstanzen:

Erläuterungen

Vorinstanzen zu I ZR 272/14

AG Bochum - Urteil vom 16. April 2014 - 67 C 4/14

LG Bochum - Urteil vom 27. November 2014 - I-8 S 9/14

Vorinstanzen zu I ZR 1/15

AG Bochum - Urteil vom 26. März 2014 - 67 C 3/14

LG Bochum - Urteil vom 27. November 2014 - I-8 S 7/14

Vorinstanzen zu I ZR 43/15

AG Bochum - Urteil vom 8. Juli 2014 - 65 C 81/14

LG Bochum - Urteil vom 5. Februar 2015 - I-8 S 17/14

Vorinstanzen I ZR 44/15

AG Bochum - Urteil vom 3. Juni 2014 - 65 C 558/13

LG Bochum - Urteil vom 5. Februar 2015 - I-8 S 11/14

Vorinstanzen zu I ZR 48/15

LG Köln - Urteil vom 20. November 2013 - 28 O 467/12

OLG Köln - Urteil vom 6. Februar 2015 - 6 U 209/13

Vorinstanzen zu I ZR 86/15

AG Hamburg - Urteil vom 8. Juli 2014 - 25b C 887/13

LG Hamburg - Urteil vom 20. März 2015 - 310 S 23/14

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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