21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil13.09.2018

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zu Fragen der Haftung von YouTube für Ur­heber­rechts­verletzungenIst Veröf­fent­lichung von Musikvideos Wiedergabe im Sinne des Urheberrechts?

Der Bundes­ge­richtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Haftung des Betreibers der Internet­video­plattform YouTube für von Dritten hochgeladene ur­heber­rechts­verletzende Inhalte vorgelegt.

Der Kläger des zugrunde liegenden Falls ist Musikproduzent. Er hat mit der Sängerin Sarah Brightman im Jahr 1996 einen Künst­ler­ex­klu­siv­vertrag geschlossen, der ihn zur Auswertung von Aufnahmen ihrer Darbietungen berechtigt. Im November 2008 erschien das Studioalbum "A Winter Symphony" mit von der Sängerin interpretierten Musikwerken. Zugleich begann die Künstlerin die Konzerttournee "Symphony Tour", auf der sie die auf dem Album aufgenommenen Werke darbot. Der Kläger behauptet, er habe dieses Album produziert.

Die Beklagte zu 3, die YouTube LLC, betreibt die Inter­net­plattform "YouTube", auf die Nutzer kostenlos audiovisuelle Beiträge einstellen und anderen Internetnutzern zugänglich machen können. Die Beklagte zu 1, die Google Inc., ist alleinige Gesell­schafterin der YouTube LLC.

Kläger verlangt künftige Unterlassung von Veröf­fent­lichung und Verviel­fäl­tigung von Tonaufnahmen und Musikwerken seines Repertoires

Anfang November 2008 wurden bei "YouTube" Videos mit Musikwerken aus dem Repertoire von Sarah Brightman eingestellt, darunter private Konzert­mit­schnitte und Musikwerke aus ihren Alben. Der Kläger wandte sich mit anwaltlichem Schreiben an eine Schwes­ter­ge­sell­schaft der YouTube LLC, mit dem er die Schwes­ter­ge­sell­schaft und die Google Inc. aufforderte, strafbewehrte Erklärungen abzugeben, es zukünftig zu unterlassen, Tonaufnahmen oder Musikwerke aus seinem Repertoire zu vervielfältigen oder öffentlich zugänglich zu machen. Die Schwes­ter­ge­sell­schaft leitete das Schreiben an die YouTube LLC weiter. Diese sperrte jedenfalls einen Teil der Videos. Am 19. November 2008 waren bei "YouTube" erneut Videos abrufbar.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Der Kläger hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft­s­er­teilung und Feststellung ihrer Schaden­s­er­satz­pflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich dreier Musiktitel stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat die Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, Dritten in Bezug auf sieben näher bezeichnete Musiktitel zu ermöglichen, Tonaufnahmen oder Darbietungen der Künstlerin Sarah Brightman aus dem Studioalbum "A Winter Symphony" öffentlich zugänglich zu machen. Ferner hat es die Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft über die Nutzer der Plattform verurteilt, die diese Musiktitel unter Pseudonymen auf das Internetportal hochgeladen haben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision seine Klageanträge weiter. Die Beklagten erstreben mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage.

BGH setzt Verfahren für EuGH-Vorlage aus

Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft, der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäfts­verkehrs und der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorgelegt.

Fragen des BGH an den EuGH

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs stellt sich die Frage, ob der Betreiber einer Inter­net­vi­deo­plattform, auf der Nutzer Videos mit urheber­rechtlich geschützten Inhalten ohne Zustimmung der Rechtsinhaber öffentlich zugänglich machen, eine Handlung der Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vornimmt, wenn

- er mit der Plattform Werbeeinnahmen erzielt, der Vorgang des Hochladens automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Kontrolle durch den Betreiber erfolgt,

- der Betreiber nach den Nutzungs­be­din­gungen für die Dauer der Einstellung des Videos eine weltweite, nicht-exklusive und gebührenfreie Lizenz an den Videos erhält,

- der Betreiber in den Nutzungs­be­din­gungen und im Rahmen des Hochla­de­vorgangs darauf hinweist, dass urheber­rechts­ver­letzende Inhalte nicht eingestellt werden dürfen,

- der Betreiber Hilfsmittel zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe Rechtsinhaber auf die Sperrung rechts­ver­let­zender Videos hinwirken können,

- der Betreiber auf der Plattform eine Aufbereitung der Suchergebnisse in Form von Ranglisten und inhaltlichen Rubriken vornimmt und registrierten Nutzern eine an von diesen bereits angesehenen Videos orientierte Übersicht mit empfohlenen Videos anzeigen lässt,

sofern er keine konkrete Kenntnis von der Verfügbarkeit urheber­rechts­ver­let­zender Inhalte hat oder nach Erlangung der Kenntnis diese Inhalte unverzüglich löscht oder unverzüglich den Zugang zu ihnen sperrt.

Mit weiteren Vorlagefragen möchte der Bundes­ge­richtshof wissen, ob die Tätigkeit des Betreibers einer solchen Inter­net­vi­deo­plattform in den Anwen­dungs­bereich von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG fällt und ob sich die in dieser Vorschrift genannte tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information und das Bewusstsein der Tatsachen oder Umstände, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, auf konkrete rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen beziehen muss.

Weiter fragt der Bundes­ge­richtshof danach, ob es mit Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG vereinbar ist, wenn der Rechtsinhaber gegen einen Diensteanbieter, dessen Dienst in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht und von einem Nutzer zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt worden ist, eine gerichtliche Anordnung erst dann erlangen kann, wenn es nach einem Hinweis auf eine klare Rechts­ver­letzung erneut zu einer derartigen Rechts­ver­letzung gekommen ist.

Für den Fall, dass die vorgenannten Fragen verneint werden, fragt der Bundes­ge­richtshof schließlich danach, ob der Betreiber einer Inter­net­vi­deo­plattform unter den in der ersten Frage beschriebenen Umständen als Verletzer im Sinne von Art. 11 Satz 1 und Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG anzusehen ist und ob die Verpflichtung eines solchen Verletzers zur Leistung von Schadensersatz nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG davon abhängig gemacht werden darf, dass der Verletzer sowohl in Bezug auf seine eigene Verlet­zungs­handlung als auch in Bezug auf die Verlet­zungs­handlung des Dritten vorsätzlich gehandelt hat und wusste oder vernünf­ti­gerweise hätte wissen müssen, dass Nutzer die Plattform für konkrete Rechts­ver­let­zungen nutzen.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugäng­lich­machung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a) Der Anbieter hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information, und, in Bezug auf Schaden­er­satz­ansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder

b) der Anbieter wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren.

Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

Art. 11 Satz 1 der Richtlinie 2004/48/EG

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte bei Feststellung einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums eine Anordnung gegen den Verletzer erlassen können, die ihm die weitere Verletzung des betreffenden Rechts untersagt.

Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünf­ti­gerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verlet­zungs­handlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechts­ver­letzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat.

Bei der Festsetzung des Schaden­s­er­satzes verfahren die Gerichte wie folgt:

a) Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaft­lichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaft­lichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber,

oder

b) sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.

(2) Für Fälle, in denen der Verletzer eine Verlet­zungs­handlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünf­ti­gerweise hätte wissen müssen, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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