14.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil08.01.2015

Abgabe von verschreibungs­pflichtigen Arzneimitteln ohne Rezept ist wett­bewerbs­rechtlich unzulässigVerstoß gegen Ver­schreibungs­pflicht führt zu spürbaren Beein­träch­ti­gungen von Ver­braucher­interessen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Abgabe eines verschreibungs­pflichtigen Medikaments durch einen Apotheker ohne Vorlage eines Rezepts wett­bewerbs­rechtlich unzulässig ist.

Die Parteien des zugrunde liegenden Verfahrens betreiben Apotheken. Der Kläger beanstandet, dass die Beklagte einer Patientin ein verschrei­bungs­pflichtiges Medikament ohne ärztliches Rezept ausgehändigt hat. Er sieht hierin einen Verstoß gegen § 48 Abs. 1 des Arznei­mit­tel­ge­setzes (AMG), wonach verschrei­bungs­pflichtige Medikamente nicht ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen. Der Kläger hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schaden­s­er­satz­pflicht und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat eingewandt, sie habe aufgrund der telefonisch eingeholten Auskunft einer ihr bekannten Ärztin davon ausgehen dürfen, zur Abgabe des Medikaments ohne Vorlage eines Rezepts berechtigt zu sein.

OLG: Einmaliger Gesetzesverstoß war nicht zur spürbaren Beein­träch­tigung von Verbrau­che­r­in­teressen geeignet

Das Landgericht Ravensburg hat der Klage bis auf einen Teil der Abmahnkosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlan­des­gericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, die Beklagte sei zwar nicht zur Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept berechtigt gewesen, weil kein dringender Fall im Sinne von § 4 der Arznei­mit­tel­ver­schrei­bungs­ver­ordnung (AMVV)* vorgelegen habe. Der einmalige Gesetzesverstoß der Beklagten sei aber aufgrund der damaligen besonderen Situation, insbesondere wegen eines geringen Verschuldens der Beklagten, nicht geeignet gewesen, Verbrau­che­r­in­teressen spürbar zu beeinträchtigen.

Verschrei­bungs­pflicht dient dem Schutz der Patienten vor gefährlichen Fehlme­di­ka­tionen

Auf die Revision des Klägers hat der Bundes­ge­richtshof die Verurteilung der Beklagten nach dem erstin­sta­nz­lichen Urteil wieder­her­ge­stellt. Die Verschrei­bungs­pflicht gemäß § 48 AMG dient dem Schutz der Patienten vor gefährlichen Fehlme­di­ka­tionen und damit gesund­heit­lichen Zwecken. Durch Verstöße gegen das Marktverhalten regelnde Vorschriften, die den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezwecken, werden die Verbrau­che­r­in­teressen nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs stets spürbar beeinträchtigt.

Patienten war im vorliegenden Fall Aufsuchen eines ärztlichen Notdienstes zumutbar

Die Beklagte war auch nicht aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls gemäß § 4 AMVV ausnahmsweise zur Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept berechtigt. Zwar kann der Apotheker sich grundsätzlich auf eine Entscheidung des Arztes über die Verordnung des verschrei­bungs­pflichtigen Medikaments verlassen. Die Ausnah­me­vor­schrift des § 4 AMVV setzt aber eine Thera­pie­ent­scheidung des behandelnden Arztes aufgrund eigener vorheriger Diagnose voraus. In dringenden Fällen reicht es allerdings aus, wenn der Apotheker über die Verschreibung telefonisch unterrichtet wird. An der erforderlichen Thera­pie­ent­scheidung fehlt es, wenn ein Apotheker einen Arzt zu einer Verschreibung für einen dem Arzt unbekannten Patienten bewegt. Da zum Zeitpunkt des Besuchs der Apotheke der Beklagten keine akute Gesund­heits­ge­fährdung bestand, war der Patientin auch zuzumuten, den ärztlichen Notdienst im Nachbarort aufzusuchen.

* § 4 AMVV lautet:

Erläuterungen
(1) Erlaubt die Anwendung eines verschrei­bungs­pflichtigen Arzneimittels keinen Aufschub, kann die verschreibende Person den Apotheker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten. Der Apotheker hat sich über die Identität der verschreibenden Person Gewissheit zu verschaffen. Die verschreibende Person hat dem Apotheker die Verschreibung in schriftlicher oder elektronischer Form unverzüglich nachzureichen.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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