21.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einer Krankenschwester im Vordergrund.

Dokument-Nr. 13684

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Bundesgerichtshof Beschluss20.06.2012

BGH verneint Strafbarkeit von Kassenärzten wegen BestechlichkeitÄrzte handeln bei Verordnung von Arzneimitteln nicht als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen

Kassenärzte, die von einem Pharma-Unternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB strafbar. Auch eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB scheidet aus. Entsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharma­un­ter­nehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, nicht wegen Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) strafbar. Der niedergelassene, für die vertrag­s­ärztliche Versorgung zugelassene Arzt handelt nämlich bei der Wahrnehmung der ihm gemäß § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgaben, insbesondere bei der Verordnung von Arzneimitteln, weder als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangs­ver­fahren war eine Pharma­re­fe­rentin, die Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 Euro übergeben hatte, wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Übergabe des Schecks hatte ein als "Verord­nungs­ma­na­gement" bezeichnetes Prämiensystem des Pharma­un­ter­nehmens zugrunde gelegen. Dieses sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens 5 % des Herstel­ler­ab­ga­be­preises erhalten sollten.

Verhältnis zwischen Arzt und Versichertem ist Bestimmung durch gesetzliche Krankenkassen weitgehend entzogen und ist eher von persönlichem Vertrauen gekennzeichnet

Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundes­ge­richtshofs beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen: Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der Amtsträ­ger­de­fi­nition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung als Ganzes eine aus dem Sozial­staats­grundsatz folgende, in hohem Maße der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Kassenärzte sind aber nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er wird auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten, der ihn regelmäßig individuell auswählt, wird - ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung - wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestal­tungs­freiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist. Innerhalb des Behand­lungs­ver­hält­nisses konkretisiert die Verordnung eines Arzneimittels zwar den gesetzlichen Leistungs­an­spruch des Versicherten auf Sachleistungen; sie ist aber untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollzieht sich innerhalb des personal geprägten Vertrau­ens­ver­hält­nisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt, der die Verordnung nach seiner aus § 1 BÄO folgenden Verpflichtung auszurichten hat. Die Einbindung des Vertragsarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleiht der vertrag­s­ärzt­lichen Tätigkeit danach nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwal­tungs­ausübung. Dies entspricht auch der zivil­recht­lichen Betrach­tungsweise.

Unmittelbare Rechts­be­zie­hungen zwischen Kassenärzten und Krankenkassen in der Regel gesetzlich ausgeschlossen

Dem Kassenarzt fehlt es bei der Verordnung eines Arzneimittels auch an der Beauf­trag­te­nei­gen­schaft im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V wirken die Leistungs­er­bringer, also auch die Kassenärzte, mit den gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der kassen­ärzt­lichen Versorgung zusammen, begegnen sich nach der darin zum Ausdruck kommenden gesetz­ge­be­rischen Wertung also auf einer Ebene der Gleichordnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unmittelbare Rechts­be­zie­hungen zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen gesetzlich ausgeschlossen. Dem Begriff des Beauftragten ist aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet. Es kommt hinzu, dass die Krankenkasse den vom Versicherten frei gewählten Arzt akzeptieren muss. Dieser wird vom Versicherten als "sein" Arzt wahrgenommen, den er beauftragt hat und dem er sein Vertrauen schenkt. Eine sachgerechte Bewertung der ärztlichen Verordnung vor dem Hintergrund des sozia­l­recht­lichen Regelungs­gefüges führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kassenarzt kein Beauftragter der Krankenkassen ist. Dass die Verordnung von Medikamenten (und Hilfsmitteln) dabei auch Relevanz für die Krankenkasse hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

BGH verneint Strafbarkeit des korruptiven Verhaltens von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharma­un­ter­nehmen

Der Große Senat für Strafsachen hatte nur zu entscheiden, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharma­un­ter­nehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. Das war zu verneinen. Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesund­heitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straf­tat­be­stände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers.

§ 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB lautet:

(1) Im Sinne des Gesetzes ist

1. […]

2. Amtsträger:

wer nach deutschem Recht

b) […]

c) sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufga­be­n­er­füllung gewählten Organi­sa­ti­o­nsform wahrzunehmen,

§ 299 Abs. 1 StGB lautet:

(1) Wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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