18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil22.06.2011

BGH: Anwendung der Synergetik-Methode ohne Heilprak­ti­ker­er­laubnis strafbarPotenzielle Gesund­heits­ge­fähr­dungen durch angewandte Therapieform für Strafbarkeit ausreichend

Die Anwendung der so genannten Synergetik-Methode stellt eine erlaub­nis­pflichtige Ausübung der Heilkunde gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG dar. Sofern keine Heilprak­ti­ker­er­laubnis vorliegt und die angewandte Therapieform geeignet ist, die Gesundheit des Patienten nennenswert zu schädigen, stellt dies eine strafbare Handlung dar. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Frankfurt am Main die angeklagte Frau wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde in elf Fällen zu einer Gesamt­geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt und in weiteren 20 Fällen freigesprochen.

Sachverhalt

Nach den Feststellungen des Landgerichts führte die Angeklagte in ihrer Wohnung Behandlungen nach der so genannten Synergetik-Methode durch. Nach der dieser Behand­lungs­methode zugrunde liegenden Lehre lassen sich bei den Klienten in Tiefen­ent­spannung innere Bilder bearbeiten. Hierdurch sollen unverarbeitete Erlebnisse und Konflikte aufgearbeitet und eine Selbstheilung von Krankheiten ermöglicht werden. Um Kunden zu werben, wandte sich die Angeklagte mit einer eigenen Internetseite und mit Flyern u.a. an Menschen mit Ängsten, Depressionen, Traumata und anderen psychischen Problemen. Bei den Thera­pie­sit­zungen gelangten die Klienten in einen Zustand hypnoid verminderten Bewusstseins, und sie erlebten Gedächt­nis­bilder, die sie der Angeklagten mit den damit zusam­men­hän­genden Gefühlen beschrieben. Während der mitunter von Affektzuständen begleiteten Behandlung wurden die Klienten teilweise mit belastenden Erinnerungen konfrontiert. Eine Besprechung zwischen der Angeklagten und ihren Klienten über das zuvor Erlebte fand im Einzelnen nicht statt. Für ihre Behandlungen, die sie auch zu Heilzwecken ausüben wollte und, besaß die Angeklagte keine Erlaubnis nach dem Heilprak­ti­ker­gesetz (§ 1 HeilprG*). Hierauf wies sie ihre Klienten, auch durch in ihren Räumlichkeiten aufgehängte schriftliche Hinweise, ausdrücklich hin. Sie wies auch darauf hin, dass die "Synergetik"-Methode kein anerkanntes Heilverfahren sei und dass Klienten mit ernsthaften Erkrankungen sich – zusätzlich – in ärztliche Behandlung begeben sollten.

Landgericht hält Gefahr der Gesund­heits­schä­digung für wahrscheinlich

Elf Klienten suchten die Angeklagte mit konkreten psychischen oder physischen Krankheiten bzw. Leiden auf, deren Besserung sie sich erhofften. Bei keiner dieser Personen sind durch die Behandlung, die in ihrer Wirkung einer konfrontativen Psychotherapie entsprach, nachweisbare gesundheitliche Schäden verursacht worden. Eine Gefahr einer Gesund­heits­be­schä­digung hat das Landgericht in diesen der Verurteilung zugrunde liegenden Behand­lungs­fällen allerdings für wahrscheinlich erachtet.

Möglichkeit der Gesund­heits­schä­digung durch angewandte Therapieform für Erfüllung Strafvorschrift des § 5 HeilprG ausreichend

Der 2. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten als unbegründet verworfen. Er hat sich der Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts angeschlossen, wonach der Begriff "Ausübung der Heilkunde" einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass unter die strafbewehrte Erlaub­nis­pflicht nach § 1 Abs. 1 HeilprG nur solche Behandlungen fallen, die zu gesund­heit­lichen Schäden führen können. Er hat ferner entschieden, dass es für die Strafvorschrift des § 5 HeilprG** ausreicht, wenn die angewandte Therapieform im konkreten Fall generell geeignet ist, die Gesundheit des Patienten nennenswert zu schädigen. Ob sich eine potentielle Gesundheitsgefährdung in einzelnen Fällen auch konkretisiert oder gar realisiert hat, ist demgegenüber nur für das Strafmaß bedeutsam.

Unmittelbare Gesund­heits­ge­fährdung in allen zugrunde liegenden Fällen hinlänglich wahrscheinlich

Nach diesen Maßstäben war das angegriffene Urteil im Schuld- und Strafausspruch nicht zu beanstanden. Nach den rechts­feh­ler­freien Feststellungen des Landgerichts war in allen der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen eine unmittelbare Gesund­heits­ge­fährdung hinlänglich wahrscheinlich. Diese ergab sich schon daraus, dass sich die Angeklagte bei keinem ihrer Patienten auch nur darum bemüht hatte, vor Aufnahme der Behandlung eine mögliche Kontra­in­di­kation aufzuklären, die insbesondere bei bestimmten psychischen Vorerkrankungen gegeben ist. Sie verfügte auch nicht über eine Ausbildung, die es ihr ermöglicht hätte, entsprechende Gefahrenlagen zu erkennen oder auf möglicherweise auftretende konkret gefährliche Lagen (Dekom­pen­sa­tionen) angemessen zu reagieren.

*§ 1 HeilprG

Erläuterungen
(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.

(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.

**§ 5 HeilprG

Wer, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 zu besitzen, die Heilkunde ausübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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