Dokument-Nr. 27183
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Amtsgericht München Entscheidung05.10.2018
Reisende haben Anspruch auf Entschädigung für verpassten Flug aufgrund zu langen Wartens an Check-In-SchalterBetroffene trifft jedoch Mitverschulden aufgrund zu langen Abwartens ohne Nachfrage zur Vermeidung des verpassten Fluges
Das Amtsgericht München hat entschieden, dass es für Reisende nicht ersichtlich sein muss, dass an einem Check-In-Schalter zwei Flüge gleichzeitig abgefertigt werden und sie an der Warteschlange vorbeigehen könnten, um bevorzugt eingecheckt zu werden. Verpassen die Reisenden ihren Flug, weil sie auch den Aufruf eines an der Schlange entlanggehenden Mitarbeiters des Reiseveranstalters nicht wahrnehmen, steht den Reisenden eine Entschädigung für den verpassten Flug zu. Das Gericht verwies allerdings gleichermaßen darauf, dass es als grobe Sorgfaltspflichtverletzung in eigenen Angelegenheiten anzusehen sei, sich sorglos in eine Warteschlange zu stellen und sehenden Auges den gebuchten Flug zu verpassen, ohne auch nur einmal eine Nachfrage zu stellen. Daher müssten sich die Betroffenen eine Mitschuld anrechnen lassen.
Die im thüringischen Kyffhäuserkreis lebende Klägerin des zugrunde liegenden Falls buchte für sich, ihren Partner und zwei Kinder für 2.262 Euro eine All-Inclusive-Flugreise vom 29. September 2017 bis 9. Oktober 2017 nach Side. Die Beklagte hatte im Voucherheft darauf hingewiesen, dass spätestens 30 Minuten vor dem Abflug die Eincheckzeit endet. Der Hinflug sollte am 29. September 2017 um 14.45 Uhr mit der Fluggesellschaft Condor ab dem Flughafen Leipzig mit Ankunft in Antalya um 19 Uhr erfolgen. Am Flughafen wurde gleichzeitig mit dem gebuchten Flug nach Antalya auch ein Flug nach Griechenland abgefertigt. Um ca. 14.20 Uhr kam die Klägerin zu spät am Schalter zum Check-In an die Reihe. Das Flugzeug flog ohne die Klägerin und ihre Familie nach Antalya.
Sachverhalt
Die Klägerin behauptete, alle seien ca. zwei Stunden vor Abflug am Abflugschalter auf dem Leipziger Flughafen gewesen. Auf dem Bildschirm vor dem Check-In sei lediglich der Name der Fluglinie angegeben gewesen. Die Klägerin und ihre Familie hätten sich an der dort befindlichen Warteschlange angestellt, die zu drei Schaltern führte. Sie seien davon ausgegangen, dass sämtliche Wartenden das gleiche Ziel hätten. Sie hätten weder gehört, dass sie aufgerufen worden seien, noch seien sie darauf hingewiesen worden, dass man nicht mehr einchecken könne, wenn man nicht an der Schlange vorbeigehe. Es sei auch keiner aus der Schlange heraus nach vorne gegangen. Sie hätten einen neuen Flug ab Berlin-Tegel buchen müssen. Die Nacht hätten sie in Leipzig bei Verwandten auf dem Fußboden geschlafen. Am 30. September 2017 seien sie mit dem Zug nach Berlin gefahren, um von dort über Istanbul nach Antalya zu fliegen. Erst am 1. Oktober 2017 gegen 3.00 Uhr sei man im Hotel angekommen.
Reisende wurden angeblich für Check-In aufgerufen
Die Zeugin der Beklagten gab an, dass etwa eine Stunde vor dem Abflug die Passagiere für den Flug nach Antalya aufgerufen worden sein müssten, um sie vorzuziehen. Die Klägerin müsse unaufmerksam oder zu spät gewesen sein.
Ausrufen der Passagiere durch einen an der Warteschlange vorbeigehenden Mitarbeiter nicht ausreichend
Das Amtsgericht München gab der Klägerin in weiten Teilen Recht. Es sei die Art und Weise des geschilderten Aufrufens, indem ein Mitarbeiter an der Schlange entlanggehe und mehrmals laut rufe, nicht geeignet, um sicherzustellen, dass alle Fluggäste hiervon Kenntnis erlangen. Es sei davon auszugehen, dass die wartenden Personen in der Schlange am Check-In-Schalter sich auch miteinander unterhalten, während sie warten, und dass deshalb ein gewisser Geräuschpegel herrsche. Die ausrufende Person müsste dementsprechend sehr laut rufen, um sämtliche anderen Geräusche zu übertönen. Es sei auch möglich, dass Reisende für die kurze Zeit des Aufrufs unaufmerksam seien. Die volle Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor sich, in und neben der Warteschlange während der hier 1,5 Stunden dauernden Wartezeit zu richten, könne von keinem Reisenden verlangt werden. Die Fluggesellschaft hätte entweder durch eine Durchsage per Lautsprecher oder durch ein Ansprechen aller Wartenden in der Schlange sicherstellen müssen, dass alle Reisenden die Information erhalten. Es könne auch nicht von den Fluggästen erwartet werden, dass diese alle wüssten, dass es auch sein könne, dass zwei Flüge gleichzeitig abgefertigt werden, und dass sie an der Warteschlange vorbeigehen könnten - ein sozial zumeist unerwünschtes Verhalten - um bevorzugt eingecheckt zu werden. Diese Erwartung habe selbst die Fluggesellschaft nicht, da sie ansonsten gar keine Aufrufe machen würde. Das Gericht halte dementsprechend eine Minderung in Höhe eines Tagesreisepreises in Höhe von 205,64 Euro (2.262,- Euro : 11 Tage) für angemessen.
Reisende trifft dennoch Mitverschulden
Das Gericht sprach ebenfalls in Höhe von 205,64 Euro Ersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit zu. Es minderte jedoch den daneben geforderten Ersatz der durch den Ersatzflug entstandenen Schadens von insgesamt 881,50 Euro um 50 %. Die Klägerin treffe ein erhebliches Mitverschulden daran, dass sie zu spät zum Check-In am Schalter eintraf. Selbst wenn die Beklagte bzw. die Fluggesellschaft keinen hinreichenden Aufruf für den Flug nach Antalya vorgenommen habe, hätte die Klägerin selbst tätig werden müssen, um ein Verpassen des Fluges zu verhindern. Dem Gericht erscheine es als grobe Sorgfaltspflichtverletzung in eigenen Angelegenheiten, sich sorglos in eine Warteschlange zu stellen und sehenden Auges den gebuchten Flug zu verpassen, ohne auch nur einmal eine Nachfrage zu stellen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.03.2019
Quelle: Amtsgerichts München/ra-online (pm)
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