21.11.2024
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Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Urteil05.07.2019

Zuverlässige nachträgliche Kontrolle von Messergebnissen nicht möglich: Geschwin­digkeits­messung mit Traffistar S 350 unverwertbarVerfassungs­gerichts­hof gibt Verfassungs­beschwerde gegen Verurteilung wegen Geschwin­digkeits­über­schreitung statt

Der Verfassungs­gerichts­hof des Saarlandes hat der Verfassungs­beschwerde eines Kraftfahrers gegen seine Verurteilung wegen einer Geschwin­digkeits­über­schreitung stattgegeben und entschieden, dass die Geschwin­digkeits­messung mit Traffistar S 350 unverwertbar ist.

Der betroffene Kraftfahrer des zugrunde liegenden Falls war wegen einer Geschwin­dig­keits­über­schreitung um 27 km/h innerorts - in Friedrichsthal/Saarland - zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte durch ein Gerät der Firma Jenoptik (Typ Traffistar S 350). Bei dem Gerät handelt es sich um ein durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zugelassenes Messgerät. Ob die Messungen mit dem Gerät Traffistar S 350 verwertbar sind, ist in der bußgeld­recht­lichen Rechtsprechung höchst umstritten.

AG und OLG halten Feststellung eines Geschwin­dig­keits­ver­stoßes trotz fehlender Speicherung aller Messdaten für möglich

Im Bußgeld­ver­fahren hatte der Kraftfahrer beantragt, ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten einzuholen zu der von ihm erhobenen Behauptung, dass bei dem Messgerät des Typs Traffistar S 350 die Möglichkeit ausgeschlossen sei, die Messung sachverständig überprüfen zu lassen, da das Gerät nicht alle Messdaten speichere. Die im Bußgeld­ver­fahren befassten Gerichte - Amtsgericht Saarbrücken und Saarländisches Oberlan­des­gericht - kamen dem nicht nach und gingen bei ihren Entscheidungen davon aus, dass trotz der fehlenden Speicherung aller Messdaten der Geschwin­dig­keits­verstoß festgestellt werden könne und die Daten zur Grundlage der Verurteilung gemacht werden könnten, da bei einem von der PTB zugelassenen Messgerät die Gerichte grundsätzlich von der Richtigkeit der Messung ausgehen könnten (sogenanntes standa­r­di­siertes Messverfahren).

Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der betroffene Kraftfahrer u.a. eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren, da ihm durch die fehlende Speicherung aller Messdaten die Möglichkeit genommen werde, Messfehler aufzuzeigen.

Vom Gerät Traffstar S 350 gespeicherte Daten ermöglicht keine zuverlässige nachträgliche Kontrolle von Messergebnissen

Der Verfas­sungs­ge­richtshof des Saarlandes hat zu der Frage, welche Daten des Messvorgangs erforderlich sind, um eine valide nachträgliche Überprüfung von Geschwin­dig­keits­mes­sungen zu ermöglichen, drei Sachverständige angehört. Sachverständig beraten, gelangte der Verfas­sungs­ge­richtshof zur Auffassung, dass die derzeit von dem Gerät Traffstar S 350 gespeicherten Daten keine zuverlässige nachträgliche Kontrolle des Messergebnisses erlauben, eine solche aber bei einer - ohne größeren Aufwand technisch möglichen - Speicherung der sogenannten Rohmessdaten möglich wäre.

Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Gerät Traffistar S 350 unverwertbar

Der Verfas­sungs­ge­richtshof entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen die Grundrechte des Beschwer­de­führers auf ein faires Verfahren und effektive Verteidigung verletzen. Der Verfas­sungs­ge­richtshof bezweifle nicht, dass die Geschwin­dig­keits­messung durch das Gerät Traffistar S 350 ein standa­r­di­siertes Messverfahren darstelle. Die mit Traffistar S 350 gewonnenen Messergebnisse könnten daher durchaus zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden. Wenn sich ein Betroffener jedoch - wie vorliegend - gegen das Messergebnis wendet, müsse er nach Auffassung des Verfas­sungs­ge­richtshofs die Möglichkeit haben, die Validität der standa­r­di­sierten Messung zu überprüfen. Das sei auch dann der Fall, wenn er zunächst keinen auf der Hand liegenden Einwand - etwa sich aus dem Lichtbild offenkundig ergebende Unklarheiten - vortragen könne. Denn zu einer wirksamen Verteidigung gehöre auch, nachforschen zu können, ob es bislang nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit des Vorwurfs gebe. Dies sei dem Beschwer­de­führer aber mangels Speicherung der Rohmessdaten verwehrt. Da die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Gerät Traffistar S 350 wegen der verfas­sungs­widrigen Beschränkung des Rechts auf wirksame Verteidigung unverwertbar sind, hat der Verfas­sungs­ge­richtshof die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben.

Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidung nur die saarländischen Gerichte im konkreten Fall bindet, er aber in gleich gelagerten Fällen abweichende Entscheidungen saarländischer Gerichte korrigieren werde.

Quelle: Verfassungsgerichtshof des Saarlandes/ra-online (pm/kg)

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