18.10.2024
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss11.02.2008

Rheinland-Pfalz: Trotz Nicht­rau­cher­schutz­gesetz darf in kleinen Gaststätten vorläufig weiter geraucht werdenGericht sieht schwere wirtschaftliche Nachteile für kleine Gaststätten

Das durch § 7 des Nicht­rau­cher­schutz­ge­setzes Rheinland-Pfalz vom 5. Oktober 2007 angeordnete Rauchverbot in Gaststätten wird bis zur Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerden insoweit einstweilen ausgesetzt, als es sich auch auf ausschließlich inhabergeführte Ein-Raum-Gaststätten ohne Beschäftigte erstreckt. Diese Gaststätten müssen am Eingangsbereich deutlich sichtbar auf eine Raucherlaubnis hinweisen. Die übrigen Vorschriften des Gesetzes können am 15. Februar 2008 in Kraft treten. Dies entschied der Verfas­sungs­ge­richtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz im Verfahren über mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Nach dem Nichtraucherschutzgesetz sind Gaststätten grundsätzlich rauchfrei. Ausnahmsweise können Betreiber einer Gaststätte in abgetrennten und entsprechend gekenn­zeichneten Räumen das Rauchen erlauben. Gegen das Nicht­rau­cher­schutz­gesetz haben fünf Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten, deren bauliche Anordnung nach ihren Angaben die räumliche Abtrennung eines separaten Raucherbereichs ausschließt, Verfas­sungs­be­schwerden eingelegt. Sie rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und ihres Eigentumsrechts: Mindestens 80 % ihrer Stammkundschaft seien Raucher. Infolge der gesetzlichen Neuregelung müssten sie mit gravierenden Umsatz­rü­ck­gängen rechnen, die sie in ihrer wirtschaft­lichen Existenz bedrohten. Ein weiterer Beschwer­de­führer, der keine Gaststätte betreibt, fühlt sich als Raucher durch das Rauchverbot in seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzt. Sämtliche Beschwer­de­führer haben Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit der das Inkrafttreten des Gesetzes zum 15. Februar 2008 vorläufig ausgesetzt werden soll. Die Anträge der Gaststät­ten­be­treiber hatten Erfolg. Der Antrag des Rauchers wurde abgelehnt.

Verfas­sungs­ge­richtshof zum Rauchverbot in Ein-Raum-Gaststätten

1. Die Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten verfügten aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht über die Möglichkeit, einen von dem rauchfreien Gastraum abgetrennten Raucherbereich einzurichten. Zugleich sei es ihnen verwehrt, sich - unter entsprechend deutlich sichtbarem Hinweis an etwaige Nichtraucher - für ein Gestatten des Rauchens zu entscheiden. Deshalb beeinträchtige das Rauchverbot sie tendenziell stärker als die Besitzer von Gaststätten, in denen aufgrund ihrer Größe Raucherräume eingerichtet werden könnten. Ob diese wirtschaftlich voraussichtlich gravierende Ungleich­be­handlung gerechtfertigt sei, werde erst später in den Haupt­sa­che­ver­fahren über die Verfas­sungs­be­schwerden geklärt. Bei der jetzt zu treffenden Entscheidung seien deshalb unabhängig von den Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache die Nachteile für die Beschwer­de­führer durch das Inkrafttreten des Nicht­rau­cher­schutz­ge­setzes am 15. Februar 2008 gegen die Folgen abzuwägen, die durch die vorläufige Aussetzung der die Ein-Raum-Gaststätten betreffenden gesetzlichen Regelungen eintreten würden. Diese Folgenabwägung falle zugunsten der Betreiber kleiner Ein-Raum-Gaststätten ohne Beschäftigte aus.

Gericht sieht schwere wirtschaftliche Nachteile entstehen, wenn das Nicht­rau­cher­schutz­gesetz jezt auch für Ein-Raum-Gaststätten in Kraft tritt

Trete das Nicht­rau­cher­schutz­gesetz auch für Ein-Raum-Gaststätten vor der Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerden in Kraft, könnten den Betreibern schwere und praktisch nicht wieder gut zu machende wirtschaftliche Nachteile entstehen. Ihre Prognose, sie müssten angesichts eines Raucheranteils von mindestens 80 % unter ihren Stammkunden mit wirtschaft­lichen Konsequenzen rechnen, die zur Bedrohung oder gar Vernichtung ihrer beruflichen Existenz führen könnten, sei nachvollziehbar dargelegt. Nach markt­for­schungs­ge­stützten Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststät­ten­ver­bandes e.V. hätten vergleichbare, schon in Kraft befindliche Rauchverbote anderer Bundesländer zu teilweise erheblichen Umsatzeinbußen für Ein-Raum-Gaststätten geführt. Dies gelte vor allem auch angesichts zunächst gleich­blei­bender vertraglicher Verpflichtungen aus Bierlie­fe­rungs­ver­trägen und Pacht­zins­ver­ein­ba­rungen. Sie könnten zu einer rapiden Verschlech­terung der wirtschaft­lichen Situation einer nicht nur geringen Zahl von Ein-Raum-Gaststätten innerhalb eines kurzen Zeitraums führen. Ein effektiver Grund­rechts­schutz der Betroffenen im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren spreche deshalb dagegen, zunächst die Widerlegung oder den tatsächlichen Eintritt der prognos­ti­zierten existenz­ge­fähr­denden Situation abzuwarten. Im letzteren Fall käme der Grund­rechts­schutz in der Hauptsache wegen irreparabler Nachteile zu spät.

Demgegenüber seien die Nachteile, die mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden seien, weniger gewichtig. Zwar verfolge der Gesetzgeber mit der Einführung der Rauchfreiheit in Gaststätten das verfas­sungs­rechtlich legitime Ziel, insbesondere Familien mit Kindern, Menschen mit chronischen Atemwegs­er­kran­kungen und Jugendlichen den Besuch von Gaststätten zu ermöglichen, ohne sie einer Passi­vrauch­be­lastung auszusetzen. Gleichzeitig bezwecke er, die gesundheitliche Gefährdung der Beschäftigten in Gaststätten zu verringern. Für den angesprochenen Personenkreis seien jedoch die Folgen der kurzfristig zunächst fortbestehenden Möglichkeit, in Ein-Raum-Gaststätten zu rauchen, begrenzt. Dies gelte gerade für inhabergeführte Gaststätten, die keine weiteren Personen beschäftigten. Denn Familien mit Kindern und Menschen mit chronischen Atemwegs­er­kran­kungen gehörten nicht typischerweise zum Gästekreis solcher kleinen Ein-Raum-Gaststätten mit erfahrungsgemäß hohem Raucheranteil.

Gericht setzt vorläufig das Rauchenverbot für Ein-Raum-Gaststätten aus - Gaststätte muss am Eingang deutlich sichtbar als nicht rauchfreie Gaststätte gekennzeichnet werden

Das vorübergehende Festhalten an der bisherigen Rechtslage für Ein-Raum-Gaststätten begründe daher noch keine Nachteile, die möglicherweise existenz­ge­fährdende Konsequenzen für die betroffenen Gastwirte aufwiegen würden. Voraussetzung hierfür sei allerdings, dass die inhaber­ge­führten Ein-Raum-Gaststätten, in denen bis zur Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerden das Rauchen zugelassen werden könne, an ihrem Eingang deutlich sichtbar als nicht rauchfreie Gaststätten gekennzeichnet würden. Nichtraucher könnten so vorab eine selbständige und bewusste Entscheidung treffen, ob sie eine solche Gaststätte aufsuchen wollten.

Verfas­sungs­ge­richtshof weist Antrag eines Rauchers, der sich in seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzt sieht, ab

2. Der Antrag des Rauchers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei abzulehnen, weil das vorgesehene Inkrafttreten des Nicht­rau­cher­schutz­ge­setzes für ihn keine besonders schweren, praktisch nicht wieder gut zu machenden persönlichen Nachteile begründe. Bis zur Entscheidung über seine Verfas­sungs­be­schwerde habe er angesichts der verbleibenden Möglichkeiten zu rauchen lediglich eine Beein­träch­tigung seiner allgemeinen Handlungs­freiheit in einem Grenzbereich hinzunehmen.

3. Der Verfas­sungs­ge­richtshof weist in seinem Beschluss ausdrücklich darauf hin, dass mit der Entscheidung über die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Aussage über die Erfolgs­aus­sichten der Verfas­sungs­be­schwerden verbunden ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 03/08 des VerfGH Rheinland-Pfalz vom 12.02.2008

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