21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss13.10.2008

Plagiat: Doktortitel kann wegen Täuschung entzogen werdenWer komplette Passagen ohne Kennzeichnung von anderen Autoren übernimmt, kann Doktorgrad verlieren

Wer komplette Passagen aus dem Werk eines anderen Autors in seiner Dissertation nicht gekennzeichnet übernimmt, täuscht über die Eigen­stän­digkeit seiner erbrachten wissen­schaft­lichen Leistung. Sofern dies planmäßig und nicht nur vereinzelt erfolgt, kann die Hochschule zur Entziehung des verliehenen Doktorgrades berechtigt sein. Dies entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg auf Grundlage der anwendbaren Landesgesetze und lehnte den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ab. Dieser hatte sich gerichtlich gegen gegen die Entziehung seines Doktorgrades gewandt.

Das Gericht stellte klar, dass es grundsätzlich nicht auf den Umfang der abgeschriebenen Stellen sowie auf die Frage, ob die Arbeit auch ohne das Plagiat noch als selbständige wissen­schaftliche Arbeit hätte angesehen werden könne, ankomme. Rechtsgrundlage für die Entziehung sei § 48 Abs. 1 Satz 1 des Verwal­tungs­ver­fah­rens­ge­setzes für Baden-Württemberg (LVwFvG). Voraussetzung für die Rücknahme des dem Kläger verliehenen Doktorgrades sei demnach, dass die Verleihung rechtswidrig erfolgte.

Doktor hatte trotz eidess­tatt­licher Versicherung von anderen Autoren abgeschrieben, ohne dies offenzulegen

Entgegen der mit eidess­tatt­licher Versicherung abgegebenen Erklärung, "wörtliche Zitate als solche gekennzeichnet" zu haben, habe der Kläger komplette Passagen aus dem Werk anderer Autoren in seine Dissertation übernommen, ohne dies zu kennzeichnen oder offen zu legen. Er habe die Gutachter damit über die Tatsache getäuscht, dass die vorgelegte Dissertation insoweit nicht auf einer selbständigen wissen­schaft­lichen Arbeit beruhe. Dies stelle gemäß § 38 des Landes­hoch­schul­ge­setzes aber das wesens­be­stimmende Grund­satz­merkmal einer Dissertation und damit die wissen­schaft­lichen Mindest­standards im Sinn des § 8 der Promo­ti­o­ns­ordnung dar.

Plagiate an mehreren Stellen und von verschiedenen Fremdautoren indizieren Planmäßigkeit

Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Plagiatsvorwurf den Kläger nicht nur vereinzelt oder im Sinne einer unsachgemäßen Handhabung der Zitierweise treffe. Vielmehr lassen die im Wege der Stich­pro­ben­prüfung aufgefundenen Stellen den Schluss zu, dass der Kläger fremde Passagen wiederholt und planmäßig als eigenständige wissen­schaftliche Arbeit ausgewiesen habe. Eine systematische und planmäßige Übernahme fremden Gedankenguts ergebe sich bereits daraus, dass sich die Plagiate an mehreren Stellen der Dissertation auffinden lassen und verschiedene Fremdautoren betreffen.

Wörtliche Zitate müssen als solche erkennbar sein - allgemeiner Hinweis auf Quelle reicht nicht

Dabei seien komplette Passagen wörtlich übernommen worden, ohne dies kenntlich zu machen. Eine Quellenangabe fehle weitgehend völlig. Doch auch soweit in einzelnen Passagen ein Hinweis auf die Originalstelle erfolgt sei, genüge dieser nicht, um den Plagiatsvorwurf entfallen zu lassen. Vielmehr könne auch diesen Nachweisangaben nicht entnommen werden, dass ganze Passagen wörtlich entlehnt worden seien. Auch handele es sich nicht um bloße Bagatell­verstoße. Bereits in quantitativer Hinsicht könne die Übernahme nicht als völlig unbedeutend eingestuft werden, weil sie sich insgesamt jedenfalls auf mehrere Seiten erstrecke und vom Kläger wiederholt und in Bezug auf verschiedene Autoren eingesetzt worden sei.

Ob Dissertation ohne Plagiate noch ausreichend wäre, ist unerheblich - Entscheidend ist die Täuschung mit der vorgelegten Arbeit

Es komme überdies nicht darauf an, ob dem Kläger für die eingereichte Dissertation ohne die beanstandeten Stellen oder bei jeweils wörtlicher Zitierung der Doktorgrad noch verliehen worden wäre. Derartig hypothetische Erwägungen im Sinne einer Art geltungs­er­hal­tender Reduktion finden nicht statt. Es sei für die Ursächlichkeit der vom Kläger begangenen Täuschung nicht von Bedeutung, ob ihm für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt habe, der Doktorgrad verliehen worden wäre.

Kläger konnte nicht Beweis erbringen, rechts­wis­sen­schaftlich selbständig arbeiten zu können

Maßgeblich sei vielmehr allein die vorgelegte Arbeit, mit der der Kläger gerade nicht den Beweis erbracht habe, dass er im Stande sei, zu rechts­wis­sen­schaft­lichen Problemen selbständig und kritisch Stellung zu nehmen. Zu den Grundan­for­de­rungen wissen­schaft­lichen Arbeitens gehöre aber gerade, dass der Beitrag auf eigenständigen Erwägungen beruhe und nicht bloß Passagen aus dem Werk eines anderen Autors übernehme.

Dissertation erfüllt nur bei Offenlegung aller verwendeten Quellen Anforderungen an wissen­schaftliche Arbeit

Nur eine unter Offenlegung aller verwendeten Quellen und Hilfsmittel erbrachte wissen­schaftliche Leistung genüge den Anforderungen an eine eigenständige Dissertation. Die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von Textpassagen aus fremden Werken ohne hinreichende Kennzeichnung verstoße daher gegen die Grundsätze des wissen­schaft­lichen Arbeitens und schließe damit die Annahme einer Arbeit als Dissertation im Regelfall aus.

Änderungen an Satzbau machen noch keinen eigenständigen Gedanken

Die Richter befanden, dass in vorliegendem Fall unzweifelhaft eine Täuschung über die Urheberschaft der Gedanken vorliege. Dies gelte jedenfalls an den Stellen, an denen ein Verweis auf die Fundstelle ganz unterblieben sei. Es gelte aber auch, soweit kleinere Änderungen - insbesondere in Form von Umgruppierungen wiederum fast wörtlich übernommener Passagen - vorgenommen worden seien. Auch insoweit sei die Gedankenführung nicht eigenständig entwickelt und darüber getäuscht worden, dass die wissen­schaftliche Leistung von einem anderen stamme. Die Vorgehensweise der Umstellungen und der Synta­xva­ria­tionen belege im Übrigen die gezielte Verschlei­e­rungs­absicht des Klägers.

Vorrang des öffentlichen Interesse der Universität an ihrem Ruf vor beruflichem und sozialem Interesse des Klägers

Die Entziehung des Doktorgrades sei auch nicht ermes­sens­feh­lerhaft. Das öffentliche Interesse am Ansehen und dem wissen­schaft­lichen Ruf der den Doktorgrad verleihenden Universität sei höher zu bewerten als die beruflichen und sozialen Folgen für den Kläger. Die Entziehung sei auch nicht unver­hält­nismäßig, weil die Vorgehensweise des Klägers einen Verstoß gegen die wesensprägenden Grund­satz­merkmale wissen­schaft­lichen Arbeitens enthalte und sich die Übernahme fremder Passagen nicht auf einzelne Gedanken, sondern ganze Sinneinheiten beziehe.

Quelle: ra-online, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vt/we)

der Leitsatz

1. Die nicht gekennzeichnete Übernahme kompletter Passagen aus dem Werk eines anderen Autors in einer Dissertation beinhaltet eine Täuschung über die Eigen­stän­digkeit der erbrachten wissen­schaft­lichen Leistung. Sofern sie planmäßig und nicht nur vereinzelt erfolgt, kann sie die Hochschule zur Entziehung des verliehenen Doktorgrades berechtigen.

2. Auf den Umfang der abgeschriebenen Stellen sowie auf die Frage, ob die Arbeit auch ohne das Plagiat noch als selbständige wissen­schaftliche Arbeit hätte angesehen werden können, kommt es grundsätzlich nicht an.

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