Die 1961 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens bezog mit ihrem 1955 geborenen damaligen Lebensgefährten, einem seit 1995 im Ruhestand befindlichen Bundesbeamten, im Jahr 1996 eine gemeinsam gemietete Wohnung. In der Nähe wohnte auch der Sohn der Klägerin mit seiner Ehefrau und den 2009 und 2011 geborenen Kindern. Der Lebensgefährte erhielt Versorgungsbezüge von zuletzt rund 2.100 Euro, die Klägerin ein Arbeitseinkommen von rund 530 Euro netto monatlich. Bei ihrem Lebensgefährten wurde in der zweiten Jahreshälfte 2012 ein bösartiger Tumor in der Speiseröhre festgestellt. Am 28. März 2013 heirateten die Klägerin und ihr Lebensgefährte. Am 6. Mai 2013 wurde der Ehemann der Klägerin zur stationären Behandlung mit dem Ziel der Speiseröhrenentfernung im Universitätsklinikum aufgenommen und der Eingriff ohne Komplikationen durchgeführt. In den folgenden Tagen kam es jedoch u.a. zu einer Wundinfektion. Am 24. Mai 2013 verstarb der Ehemann.
Im Juli 2013 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwengeld. Diesen Antrag lehnte die Deutsche Telekom AG unter Verweis auf die Vermutung einer Versorgungsehe (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG) ab. Hiergegen erhob die Klägerin gegen die Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) Klage. Sie machte geltend, dass es sich nicht um eine Versorgungsehe gehandelt habe. Sie und ihr Ehemann hätten vor der Eheschließung 19 Jahre eheähnlich zusammengelebt. Sie seien seit 1995 verlobt gewesen und hätten Verlobungsringe getragen. Ein Heiratstermin sei immer wieder verschoben worden. Nach der Geburt des zweiten Enkelkindes hätten sie beschlossen, am Jahrestag ihres Kennenlernens, am 17. September 2011, die Ehe einzugehen. Die als Trauzeugen eingeplanten Freunde hätten ihre Bereitschaft erklärt. Für die musikalische Begleitung der Hochzeit habe bereits die Zusage einer Band vorgelegen. Im April 2011 hätten sich dann aber Probleme in der Familie zugespitzt, weshalb das Hochzeitsfest nicht mehr im Fokus gestanden habe. Denn ihr Sohn habe sich von seiner Ehefrau getrennt.
Das Verwaltungsgericht Freiburg wies die Klage ab. Die Verzögerung der Hochzeit sei allein dem Umstand geschuldet gewesen, dass die Verlobten für ihre Eheschließung einen günstigeren, unbeschwerteren Zeitpunkt hätten abwarten wollen. Dies seien jedoch keine - nach der Rechtsprechung erforderlichen - objektiven Hinderungsgründe, die eine Verschiebung der Eheschließung gleichsam erzwungen hätten.
Auf die Berufung der Klägerin änderte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das Urteil des Verwaltungsgerichts ab und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Witwengeld zu gewähren. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es nach der inzwischen weniger strengen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe nicht mehr nötig sei, dass für die Verschiebung der Hochzeit objektive oder zwingende Gründe vorgelegen hätten. Es reiche aus, wenn die Heirat aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden sei. Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sei widerlegt, wenn die Gesamtbetrachtung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat im Einzelfall ergebe, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwögen oder ihm zumindest gleichwertig seien. Allerdings müssten bei dieser Gesamtbewertung die gegen eine Versorgungsehe sprechenden besonderen Umstände umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Beamten zum Zeitpunkt der Heirat gewesen sei. Finde die Eheschließung nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der lebensbedrohlichen Erkrankung statt, sondern erst, nachdem sich der Gesundheitszustand des erkrankten Ehepartners so gebessert habe, dass die Möglichkeit einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft wieder zu erwarten stehe, könne auch dies auf einen anderen Beweggrund der Heirat als den der Versorgungsabsicht schließen lassen.
Die Klägerin habe die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe durch ihren glaubhaften Vortrag widerlegt. Der Verwaltungsgerichtshof sei nach der Beweisaufnahme durch Vernehmung von sieben Zeugen davon überzeugt, dass die für den 17. September 2011 beschlossene Hochzeit wegen der im Sommer 2011 erfolgten Trennung des Sohns der Klägerin und seiner Ehefrau und den damit verbundenen Belastungen in den Hintergrund gerückt und diese familiären Probleme im Sommer 2011 überraschend aufgetreten seien. In dieser Entwicklung der familiären Situation im Sommer 2011 liege ein nachvollziehbarer, realistischer Grund für die Verschiebung einer bereits geplanten Hochzeit. Wäre es den späteren Eheleuten in erster Linie um die Versorgung der Klägerin gegangen, hätte es nahegelegen, die Ehe sofort nach der Krebsdiagnose zu schließen. Sie hätten jedoch im März 2013 geheiratet, nachdem der damalige Lebensgefährte der Klägerin die Chemotherapie bereits abgeschlossen und sich sein Gesundheitszustand soweit gebessert habe, dass die Möglichkeit einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft wieder zu erwarten gewesen sei.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) erhält die Witwe eines Ruhestandsbeamten Witwengeld. Das Witwengeld wird allerdings nicht gewährt, wenn die Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG). Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält das Gesetz also eine anspruchsausschließende Vermutung einer Versorgungsehe, die durch besondere Umstände des Falles widerlegt werden kann. Im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen inhaltsgleiche Regelungen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.08.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online