18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil23.03.2016

Sperr­gebiets­verordnung in Friedrichshafen unwirksamNormen­kontroll­antrag von vier Prostituierten erfolgreich

Der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg hat die Verordnung des Regierungs­präsidiums Tübingen über das Verbot der Prostitution auf dem Gebiet der Stadt Friedrichshafen für unwirksam erklärt und damit zugleich entschieden, dass vier Prostituierte in von ihnen angemieteten Appartements in einem Wohn- und Geschäftshaus im Zentrum von Friedrichshafen der Wohnungs­prostitution nachgehen dürfen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das Regie­rungs­prä­sidium erließ am 11. April 2013 auf Antrag der Stadt Friedrichshafen eine neue Sperrgebietsverordnung. Mit dieser wurde, anders als nach der bisherigen Sperr­be­zirks­ver­ordnung, im gesamten Stadtgebiet die Prostitution grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme gilt für bestimmte Gewerbegebiete, die als sogenannte Toleranzzonen ausgewiesen sind. Die baurechtlich genehmigten Bordelle genießen Bestandsschutz. Mit dem Erlass der Verordnung reagierte das Regie­rungs­prä­sidium auf ein - vor allem wegen der geografischen Lage und der Funktion der Stadt als Messestandort - stetig wachsendes Interesse an der Ansiedlung von Prosti­tu­ti­o­ns­be­trieben in Friedrichshafen. Die Verordnung verfolgt das Ziel, einer Überfrachtung der Stadt mit solchen Betrieben entge­gen­zu­treten und deren Ansiedlung in dafür geeignete Gebiete zu lenken.

VGH erklärt Sperr­ge­biets­ver­ordnung für wirksam

Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg erklärte die Sperr­ge­biets­ver­ordnung in seinem Urteil für unwirksam. Die Zielsetzung des Regie­rungs­prä­sidiums sei allerdings nicht zu beanstanden. Dessen Erwägungen ließen den erforderlichen Bezug auf die Zweckbestimmung der Ermäch­ti­gungs­grundlage (Art. 297 EGStGB), den Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands erkennen. Das Regie­rungs­prä­sidium habe nicht verkannt, dass es um die Abwehr von Gefahren der nach außen in Erscheinung tretenden Prostitution gehe. Es habe sich beanstan­dungsfrei auf Erfahrungssätze gestützt, wonach insbesondere die Bordell­pro­sti­tution mit negativen Beglei­t­er­schei­nungen - auch einer "milieubedingten Unruhe" - verbunden sei.

Gericht bejaht Befürchtung einer belästigenden Außenwirkung durch Prostitution

Die Sperr­ge­biets­ver­ordnung für Friedrichshafen diene grundsätzlich auch dieser Zielsetzung. Die Ausweisung des Hafenviertels - in dem sich die von den Antrag­stel­le­rinnen angemieteten Appartements befinden - als Sperrgebiet sei ebenso wenig zu beanstanden wie die Nichtausweisung der Gewerbegebiete "Rohrbach", "Allmannsweiler" und "Aistegstraße" als Toleranzzonen. Dass dort bei einer prostitutiven Nutzung eine belästigende Außenwirkung, die mit der Verordnung abgewehrt werden solle, zu befürchten sei, habe das Regie­rungs­prä­sidium rechts­feh­lerfrei mit der besonderen Schutz­be­dürf­tigkeit und Sensibilität der Gebiete begründet. Allerdings sei die Ausweisung der Gewerbegebiete "Adelheid-/Dietostraße" und "Kitzenwiese" als Toleranzzonen nach der Konzeption des Verord­nungs­gebers sachlich nicht vertretbar, weil das Regie­rungs­prä­sidium die in vergleichbarer Weise gegebene Schutz­be­dürf­tigkeit dieser Gebiete nicht hinreichend berücksichtigt habe. Im Gewerbegebiet "Adelheid-/Dietostraße" befinde sich ein Wohnheim der Bernd-Blindow-Schulen; zudem grenze das Gebiet im südwestlichen Bereich unmittelbar an ein Mischgebiet an, das nicht unerheblich durch Wohnbebauung geprägt sei. Das Gewerbegebiet "Kitzenwiese" wiederum beherberge mehrere Disko­the­ken­be­triebe, von denen im maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntmachung der Verordnung jedenfalls einer auch von jugendlichem Publikum besucht worden sei.

Ausweisung von Toleranzzonen fehlerhaft

Bei der Ausweisung der übrigen Toleranzzonen habe das Regie­rungs­prä­sidium die räumliche Ausdehnung des Sperrgebiets fehlerhaft festgelegt. Hinsichtlich des Gewerbegebiets "Gewerbepark Flughafen" füge sich die Verordnung bereits nicht in die baurechtliche Situation ein, wonach für diesen Bereich eine Mindestgröße für Gewer­be­grund­stücke von 1.500 m² beziehungsweise 5.000 m² vorgesehen sei. Das Gebiet stehe daher für Prosti­tu­ti­o­ns­be­triebe weitestgehend nicht zur Verfügung. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen das Kaser­nie­rungs­verbot des Art. 297 Abs. 3 EGStGB vor, das Wohnungs­be­schrän­kungen auf bestimmte Straßen und Häuserblocks zum Zwecke der Ausübung der Prostitution verbiete. Denn im Zeitpunkt der Bekanntmachung der Verordnung sei aus tatsächlichen Gründen mit einer Konzentration der Prostitution auf nur wenige Straßenzüge zu rechnen gewesen. Die als Toleranzzonen ausgewiesenen Gewerbegebiete "Industriegebiet", "Bunkhofen", "ZF Werk 1", "Parkplatz", "Entma­gne­ti­sie­rungs­anlage" und "Seewiesen" würden durchwegs von - vorwiegend größeren - ortsansässigen Gewer­be­be­trieben genutzt, die auf absehbare Zeit an einer Grund­s­tücks­ver­äu­ßerung oder -vermietung in kleinerem Umfang offensichtlich nicht interessiert seien. Auch das Gewerbegebiet"„Marktkauf-Bauhof" könne die aus anderen Bereichen verdrängte Prostitution nicht aufnehmen. Soweit sich dort im Eigentum der Stadt stehende Flächen befänden, stünden diese aufgrund ihrer Bindung für andere Zwecke für die Ansiedlung von Bordellen oder die Ausübung von Wohnungs­pro­sti­tution von vornherein nicht zur Verfügung.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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