18.10.2024
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Verwaltungsgericht Wiesbaden Beschluss15.01.2021

Corona: Allge­mein­ver­fügung des Landkreises Limburg-Weilburg zum 15 km-Radius teilweise rechtswidrigMangel an hinreichender Bestimmtheit bei Allge­mein­ver­fügung

Das VG Wiesbaden hat mit Beschluss vom 15. Januar 2021 Eilrechtsschutz gegen die „Allge­mein­ver­fügung zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus im Landkreis Limburg-Weilburg im sozialen und betrieblichen Bereich“ gewährt, soweit dort der Bewegungsradius für tages­tou­ris­tische Ausflüge auf den Umkreis von 15 km des Wohnortes (politische Gemeinde) beschränkt wird. Insoweit hat die von dem Antragsteller noch zu erhebende Klage aufschiebende Wirkung.

Nach Auffassung des VG fehlt es insoweit an der hinreichenden Bestimmtheit der Allgemeinverfügung, die erfordert, dass der Inhalt der getroffenen Regelung für die Beteiligten so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Bedenklich sei bereits die Verwendung des Begriffs „politische Gemeinde“, da dieser Begriff für einen Großteil der Bevölkerung aus sich heraus nicht verständlich sein dürfte. In Gemeinden mit mehreren, eventuell weit verstreuten Ortsteilen werde so für deren Bewohner nicht hinreichend klar ersichtlich, ob die Grenzen des jeweiligen Ortsteils oder der Gesamtgemeinde gemeint seien. Unklar bleibe auch, wie die 15 km ab dem Wohnort zu messen seien. Soweit der Landkreis Limburg-Weilburg argumentiert habe, es sei ab dem Punkt der Stadt- oder Gemeindegrenze zu messen, der dem avisierten Ziel am nächsten liege, lasse sich dies dem Wortlaut der Allge­mein­ver­fügung in keiner Weise entnehmen. Nach der Formulierung in der Allge­mein­ver­fügung sei es auch beispielsweise durchaus denkbar, dass eine Berechnung des „Bewegungsradius“ ab dem Mittelpunkt der jeweiligen Gemeinde zu erfolgen habe. Auch habe der Landkreis Limburg-Weilburg darauf verzichtet, Erklärungen oder Ausle­gungs­hinweise zu der Allge­mein­ver­fügung zu veröffentlichen, die zur Konkretisierung und zum besseren Verständnis der Regelung hätten beitragen können.

Unter­schiedliche Verwendung des Begriffs "tages­tou­ris­tischer Ausflug"

Zudem sei aus dem Wortlaut und der Begründung der Allge­mein­ver­fügung nicht klar erkennbar, ob die 15 km-Grenze bei Überschreiten der Grenzen des Landkreises auch gelten solle, sich also auf das räumliche Hoheitsgebiet des Landkreises beschränken oder sich auch außerhalb dessen fortsetzen solle. Schließlich werde der Begriff „tages­tou­ris­tischer Ausflug“ weder im Wortlaut der Allge­mein­ver­fügung, beispielsweise durch die Aufzählung von Regelbeispielen, noch in der Begründung der Allge­mein­ver­fügung näher erklärt. Soweit der Landkreis vorgetragen habe, bei tages­tou­ris­tischen Ausflügen handele es sich nach seinem Verständnis um alle Unternehmungen, die der Freizeit­ge­staltung ohne Übernachtung dienten, sei diese Auslegung des Begriffs keineswegs zwingend. Dies zeige sich anschaulich bereits darin, dass der Begriff des tages­tou­ris­tischen Ausfluges in anderen hessischen Gemeinden, die ihn in ihren Allge­mein­ver­fü­gungen ebenfalls verwendeten, anders verstanden werde. So falle in der Allge­mein­ver­fügung des Landkreises Vogelsberg die Winter­spor­tausübung gerade nicht unter den Begriff des tages­tou­ris­tischen Ausflugs und im Landkreis Fulda stelle eine Wanderung in der Rhön als freizeit­s­portliche Aktivität keinen tages­tou­ris­tischen Ausflug dar. Gerade die Frage, ob sportliche Aktivitäten oder Spaziergänge unter den Begriff der tages­tou­ris­tischen Ausflüge fallen sollen oder nicht, sei für die Adressaten der Allge­mein­ver­fügung des Landkreises Limburg-Weilburg nicht erkennbar, was insoweit zu deren Rechts­wid­rigkeit führe.

Zweifel an Effektivität der Maßnahme

Zudem habe das Gericht erhebliche Zweifel daran, ob die Beschränkung des Bewegungsradius für tages­tou­ris­tische Ausflüge ernsthaft zur Senkung der Infektionsfälle im Landkreis Limburg-Weilburg beitragen könne. Stattdessen dürfte diese Maßnahme dazu führen, dass sich viele Bewohner des Landkreises Limburg-Weilburg, weil sie zumindest nach dem Verständnis des Antragsgegners keine freizeit­s­port­lichen Aktivitäten oder Spaziergänge außerhalb des 15 Kilometer Radius unternehmen dürften, in geschlossenen Räumen mit dritten Personen treffen würden, was das Infek­ti­o­ns­risiko nicht senken, sondern erhöhen würde. Die Einhaltung des 15 km-Radius sei im Einzelfall auch nur schwer überprüfbar und das Aussprechen von Betre­tungs­verboten für bekannte Touris­ten­ma­gneten stelle eine mildere und zugleich effektivere Maßnahme dar, um überlaufene touristische Ziele zu vermeiden.

Ausgangs- und Kontakt­be­schränkung rechtmäßig

Das VG erachtete im Übrigen die nächtlichen Ausgangs­be­schrän­kungen in Nr. 1 und 2 der Allge­mein­ver­fügung für rechtmäßig. Insbesondere stelle die Veröf­fent­lichung der Allge­mein­ver­fügung auf der Internetseite eine zulässige Form der öffentlichen Bekanntgabe einer Allge­mein­ver­fügung dar. Die Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite sei durch den Bundestag mit Beschluss vom 27. März 2020 erfolgt. Daher könnten insbesondere die im Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz beispielhaft aufgezählten Maßnahmen zur Pande­mie­be­kämpfung ergriffen werden, zu denen auch eine Ausgangs- oder Kontakt­be­schränkung im öffentlichen und privaten Raum und die Einschränkung touristischer Reisen zählten. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung im Zeitraum von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr sei zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie geeignet, da sie allgemein die Kontakt­mög­lich­keiten in der Bevölkerung während dieses Zeitraums beschränkten. Es reiche hierfür aus, dass die zutreffende Maßnahme „ein Schritt in der richtigen Richtung“ sei. So könnten durch die nächtliche Ausgangs­be­schränkung private Treffen und Feiern in Familien und Freundeskreis verhindert werden. Ein weniger belastendes Mittel, das den Erfolg mit gleicher Sicherheit gewähre, sei nicht ersichtlich.

Eingriff in die allgemeine Handlungs­freiheit zumutbar

Der Eingriff in die allgemeine Handlungs­freiheit der Bürger, der sich lediglich auf eine Dauer von 8 Tagesstunden erstrecke, die zu großen Teilen in der üblichen Schlafenszeit zwischen .00 Uhr und 5.00 Uhr gelegen seien, stünden erhebliche Gefahren für hochrangige Schutzgüter wie das Leben, die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell sehr großen Zahl von Menschen gegenüber. Angesichts der hohen Infek­ti­o­ns­zahlen und zunehmenden Anzahl von Todesfällen bestehe aktuell die Gefahr, dass ohne die Beachtung, Überwachung und Durchsetzung einfachster Hygiene-Regeln, zu denen insbesondere die Kontaktbeschränkungen und Einhaltung eines Mindestabstands gehörten, die Infek­ti­o­ns­zahlen noch weiter ansteigen, das Gesund­heits­system überlastet und die Zahl der Todesfälle noch dramatischer ansteigen würde. Durch die in Nr. 2 der Allge­mein­ver­fügung vorgesehenen Ausnahmen sei die Ausgangs­be­schränkung auch verhältnismäßig.

Quelle: Verwaltungsgericht Wiesbaden, ra-online (pm/aw)

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