03.12.2024
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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil28.11.2014

Stadt muss für Mehrkosten für selbst­be­schafften KITA-Platz aufkommenVG Stuttgart bejaht Anspruch auf Koste­n­er­stattung

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hat entschieden, dass ein 2-jähriges Kind einen Anspruch gegen die Landes­hauptstadt Stuttgart hat auf Erstattung der Mehrkosten für einen selbst­be­schafften Betreuungsplatz in Höhe der Differenz der Kosten zwischen einem Platz in einer städtischen Kinder­tages­einrichtung und der Kosten für den Platz in der von ihm besuchten Kinderkrippe.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens, ein 2-jähriges Kind, begehrte die Erstattung von Betreu­ungs­kosten. Nachdem der Kläger in keiner städtischen Kindertageseinrichtung untergebracht werden konnte, hatten seine Eltern für ihn letztlich doch noch in einer privaten Kinder­ta­ges­ein­richtung einen Betreuungsplatz gefunden. Der Kläger und seine Eltern machen in diesem Verfahren die Mehrkosten geltend, die sich daraus ergeben, dass er nicht in einer städtischen KITA, sondern in der privaten KITA untergebracht ist. Konkret begehren sie die Erstattung der bei Klageerhebung bereits angefallenen Mehrkosten - rückwirkend ab 1. August 2013 - in Höhe von 4.252 Euro (einschließlich der Aufnahmegebühr) und der künftigen Mehrkosten in Höhe von monatlich 352 Euro, bis die Stadt einen städtischen KITA-Platz zur Verfügung stellt.

Stadt verweist auf Fachkräf­te­mangel und stellt Höhe der in Rechnung gestellten Mehrkosten in Frage

Die Stadt macht in den Klageverfahren im Wesentlichen geltend, dass trotz aller Anstrengungen, auch in finanzieller Hinsicht, der Platzbedarf nicht gedeckt werden könne und auf Grund des Fachkräf­te­mangels außerdem nicht alle offenen Erzieher/-innenstellen besetzt werden könnten. Dies gelte sowohl für die von den Eltern des Klägers favorisierte „Wunschein­richtung“ als auch für neun andere städtische Einrichtungen, die in „zumutbarer Entfernung“ zum Wohnsitz des Klägers liegen würden. Hinsichtlich der geltend gemachten Mehrkosten stellt die Stadt darüber hinaus deren Höhe in Frage.

VG bejaht Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart gab der Klage statt und verpflichtete die Stadt, dem Kläger für den Zeitraum August 2013 bis Oktober 2014 Kosten in Höhe von insgesamt 5.620 Euro zuzüglich gestaffelter Zinsen zu erstatten. Zudem hat es festgestellt, dass die Stadt verpflichtet ist, dem Kläger bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres auch die weiteren Kosten für seine Unterbringung in seiner privaten Kinderkrippe in Stuttgart zu erstatten, soweit diese die Kosten überschreiten, die bei einer Unterbringung in einer städtischen Tages­ein­richtung entstehen würden, solange dem Kläger kein zumutbarer Platz in einer städtischen Tages­ein­richtung oder in der Kinder­ta­gespflege durch die Beklagte bereitgestellt wird.

Voraussetzungen für Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen erfüllt

Zur Begründung der Entscheidung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass such der Anspruch aus der entsprechenden Anwendung des § 36 a Abs. 3 SGB VIII ergebe. Danach ist - zusammengefasst - der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zum Aufwen­dungs­ersatz verpflichtet, wenn der Leistungs­be­rechtigte ihn vor der Selbst­be­schaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorlagen und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Betreu­ungs­bedarf wurde rechtzeitig geltend gemacht

Die Eltern des Klägers haben ihren Betreu­ungs­bedarf rechtzeitig gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch liegen ebenfalls vor. Gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII in der seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tages­ein­richtung oder in Kinder­ta­gespflege. Gemäß § 24 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Bedarf.

Diese Vorschriften räumen dem berechtigten Kind einen gesetzlichen subjektiven Zugangsanspruch ein. Nach der Geset­zes­be­gründung dient der Anspruch der Erhöhung der Chancen­gleichheit der Kinder und der besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwer­b­s­tä­tigkeit.

Nicht ausreichende Anzahl an Betreu­ungs­plätzen für Kinder unter drei Jahren und Fachkräf­te­mangel können Erstat­tungs­an­spruch nicht entge­gen­ge­halten werden

Die Beklagte kann dem Erstat­tungs­an­spruch nicht mit Erfolg entgegenhalten, in ihrem Zustän­dig­keits­bereich reichten die zur Verfügung stehenden Betreu­ungs­plätze für Kinder unter drei Jahren trotz aller Maßnahmen und Anstrengungen, auch in finanzieller Hinsicht, nicht aus, um den Platzbedarf decken zu können, und aufgrund des Fachkräf­te­mangels könnten auch nicht alle offenen Erzieher-/Erzie­he­rin­nen­stellen besetzt werden. Diese Einwendungen sind politisch verständlich, im Hinblick auf den gesetzlich geregelten unbedingten Anspruch auf einen Betreuungsplatz rechtlich aber nicht relevant. Der Erstat­tungs­an­spruch gemäß § 36 a Abs. 3 SGB VIII ist, anders als ein Amtshaftungs- oder Schaden­s­er­satz­an­spruch, auch nicht verschul­den­s­ab­hängig.

Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch setzt Selbst­be­schaffung voraus

Den erforderlichen Betreu­ungs­umfang, nämlich von montags - freitags 9.00 - 17.30 Uhr, haben die beiden in Vollzeit berufstätigen Eltern des Klägers zur Überzeugung des Gerichts dargelegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch auch nicht dadurch erloschen, dass die Eltern des Klägers für ihn einen privaten Betreuungsplatz gefunden haben. Der Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch aus § 36 a Abs. 3 SGB VIII setzt gerade eine Selbst­be­schaffung voraus.

Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist auch im individuellen Einzelfall für Hilfegestaltung zuständig

Im Übrigen richtet sich der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Dieser ist aufgrund seiner aus § 79 Abs. 1 SGB VIII folgenden Gesamt­ver­ant­wortung für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben sowie auch seiner Planungs­ver­ant­wortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGBVIII nicht nur institutionell, sondern auch im individuellen Einzelfall für die Hilfegestaltung zuständig und kann diese Aufgabe nicht auf die Eltern abwälzen.

Deckung des Bedarf duldet keinen Aufschub

Das Verwal­tungs­gericht hat daher auch Bedenken, ob die Beklagte durch die dezentrale Vergabe von Betreu­ungs­plätzen ihrer Gesamt­ver­ant­wortung gerecht wird. Nachdem die Beklagte den berufstätigen Eltern den benötigten Betreuungsplatz nicht beschafft hat und ihnen auch keinen Platz in Aussicht stellen konnte, duldete die Deckung des Bedarf auch keinen Aufschub. Schließlich ist für das Gericht nicht erkennbar, dass die Eltern des Klägers ihre Pflicht zum wirtschaft­lichen Handeln verletzt und überzogene Kosten verursacht haben. Die Eltern des Klägers haben überzeugend dargelegt, dass sie sich auf vielfältige Weise bei der Beklagten sowie auch bei anderen Betreu­ungs­ein­rich­tungen um einen Betreuungsplatz bemüht haben, damit aber nicht erfolgreich waren.

VG beruft sich auf Grundsatzurteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts

Die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts ergeht in Übereinstimmung mit dem Grundsatzurteil des Bundes­ver­wal­tungs­gericht vom 12. September 2013 zum Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für einen selbst­be­schafften Kinder­be­treu­ungsplatz. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwal­tungs­gericht liegen daher nach Ansicht der Kammer nicht vor.

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart/ra-online

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