23.11.2024
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Verwaltungsgericht Neustadt Urteil19.12.2017

Von Arzt angewandte Gefrier­zellen­therapie zu Recht untersagtGefrierzellen stellten bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arzneimittel­gesetzes dar

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt hat entschieden, dass die Untersagung der Herstellung von Gefrierzellen zur späteren Anwendung bei Menschen, sowie die Anwendung bereits hergestellter Gefrierzellen bei Menschen, die das Land Rheinland-Pfalz gegenüber einem Arzt im Landkreis Südliche Weinstraße verfügt hat, rechtmäßig ist.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist Chefarzt einer Klinik im Landkreis Südliche Weinstraße, die sich bereits vor über 25 Jahren auf die Frisch­zel­len­therapie spezialisiert hat. Bei der klassischen Frisch­zel­len­therapie werden dem Patienten - in der Regel aus Schafsföten gewonnene - lebende tierische Zellen injiziert mit der Absicht, eine revita­li­sierende Wirkung zu erzielen. Die Anwendung von Therapien mit Frischzellen ist aufgrund der besonderen immunologischen und infek­ti­o­ns­be­dingten Risiken für den Patienten und wegen fehlender wissen­schaft­licher Wirksam­keits­nachweise seit Jahrzehnten in der medizinischen Wissenschaft umstritten. In den meisten europäischen und vielen außer­eu­ro­pä­ischen Staaten, einschließlich der USA und Kanada, ist die Anwendung wegen der fehlenden Wirkung und der mit dieser Therapie verbundenen Risiken verboten.

Die den Patienten des Klägers derzeit verabreichten Zellsus­pen­sionen, die aus Schafsföten (und aus bestimmten Organen der Mutterschafe sowie aus Hoden von Jungböcken) gewonnen werden, bestehen nicht aus lebenden Zellen, sondern werden vor der Anwendung eingefroren ("Gefrierzellen").

Gefrier­zel­len­therapie hat negative Nutzen-Risiko-Bilanz

Mit Verfügung des beklagten Landes vom 28. Dezember 2015 wurde dem Kläger die Herstellung von Gefrierzellen zur späteren Anwendung bei Menschen, sowie die Anwendung bereits hergestellter Gefrierzellen bei Menschen untersagt. Zur Begründung führte das Land aus, dass die Gefrier­zel­len­sus­pension ein bedenkliches Arzneimittel darstelle. Über das reine Einfrieren hinaus erfolge keine weitere Behandlung der Zellen vor der Anwendung bei Menschen insbesondere zur Inaktivierung möglicher Krank­heits­erreger wie Bakterien oder Viren oder der Verringerung immunologischer Risiken. Die Gefrier­zel­len­therapie habe eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz. Dies ergebe sich aus fachlichen Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts (im Folgenden PEI) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden BfArM).

Arzt verneint Vorliegen einer negativen Nutzen-Risiko-Bilanz

Der Kläger hat gegen das Verbot nach erfolgloser Durchführung eines Wider­spruchs­ver­fahrens Klage mit der Begründung erhoben, das kein begründeter Verdacht bestehe, dass die Gefrier­zel­len­therapie eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise. Die von ihm hergestellten Gefrierzellen unterschieden sich aufgrund der Haltung und Untersuchungen der Schafe und der durchgeführten Herstellungs- und Prüfschritte grundlegend von den von PEI und BfArM begutachteten Frischzellen. Mit den von ihm entwickelten besonderen Herstellung- und Prüfverfahren werde das bekannte Risiko der Übertragung von Krankheiten ausreichend minimiert. Das beklagte Land habe auch nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Therapie mit Frischzellen bzw. Gefrierzellen immuna­ll­er­gische Reaktionen in erheblichem Ausmaß hervorrufe.

Geringe Risiken für Untersagung mitunter ausreichend

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Land die Unter­sa­gungs­ver­fügung zu Recht erlassen habe. Die beanstandeten Gefrierzellen, die der Kläger herstelle und an Menschen anwende, stellten bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arznei­mit­tel­ge­setzes dar. Danach seien Arzneimittel bedenklich, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissen­schaft­lichen Erkenntnisse der begründete Verdacht bestehe, dass sie bei bestim­mungs­gemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hätten, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgingen. Ein begründeter Verdacht sei gegeben, wenn eine wissen­schaftlich plausible Annahme eines Zusammenhangs zwischen der unerwünschten Beglei­t­er­scheinung und der Arznei­mit­te­lan­wendung nicht ausgeräumt werden könne. Sei die Wirksamkeit des umstrittenen Arzneimittels wissen­schaftlich nicht belegt, reichten schon geringe Risiken für eine Untersagung aus.

Gericht verweist auf Risiko immuna­ll­er­gischer und allergischer Reaktionen

Hiernach sei im Falle der vom Kläger hergestellten und an Menschen angewendeten Gefrierzellen von bedenklichen Arzneimitteln auszugehen. Die Wirksamkeit der Anwendung von Gefrierzellen sei wissen­schaftlich nach wie vor nicht belegt. Unabhängig von der Frage, ob die Zucht- und Haltungs­be­din­gungen von Schafen so ausgestaltet werden könnten, dass das Risiko einer Errege­r­über­tragung durch die verwendeten Tiere signifikant reduziert werde, bestehe jedenfalls das Risiko hinsichtlich immuna­ll­er­gischer und allergischer Reaktionen. Dies gehe hinreichend deutlich aus dem neuen Gutachten des BfArM vom 14. Juli 2016 hervor. Dieses Risiko sei angesichts der fehlenden Wirksamkeit des Arzneimittels nicht hinzunehmen.

Interesse des Klägers an Fortführung der Therapie muss wegen nicht belegter Wirksamkeit der Gefrier­zel­len­therapie zurückstehen

Hierdurch werde der Kläger auch nicht in seinen Grundrechten verletzt. Zwar habe das durch das Grundgesetz geschützte Interesse des Klägers, die Therapie weiter durchführen zu dürfen, ein erhebliches Gewicht. Dem stehe jedoch das öffentliche Interesse gegenüber, dass der Einzelne vor bedenklichen Arzneimitteln und unver­hält­nismäßig riskanten Behandlungen geschützt werde. Regelungs­ge­genstand des Arznei­mit­tel­ge­setzes sei klassisches Gefah­re­n­ab­wehrrecht. Da die Wirksamkeit der Gefrier­zel­len­therapie wissen­schaftlich nicht belegt sei und deshalb schon geringe Risiken für eine Untersagung ausreichten, müsse das Interesse des Klägers an einer Fortführung der Therapie zurückstehen.

Quelle: Verwaltungsgerichtsgericht Neustadt/ra-online

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