Dokument-Nr. 25309
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Verwaltungsgericht Neustadt Urteil19.12.2017
Von Arzt angewandte Gefrierzellentherapie zu Recht untersagtGefrierzellen stellten bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes dar
Das Verwaltungsgericht Neustadt hat entschieden, dass die Untersagung der Herstellung von Gefrierzellen zur späteren Anwendung bei Menschen, sowie die Anwendung bereits hergestellter Gefrierzellen bei Menschen, die das Land Rheinland-Pfalz gegenüber einem Arzt im Landkreis Südliche Weinstraße verfügt hat, rechtmäßig ist.
Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist Chefarzt einer Klinik im Landkreis Südliche Weinstraße, die sich bereits vor über 25 Jahren auf die Frischzellentherapie spezialisiert hat. Bei der klassischen Frischzellentherapie werden dem Patienten - in der Regel aus Schafsföten gewonnene - lebende tierische Zellen injiziert mit der Absicht, eine revitalisierende Wirkung zu erzielen. Die Anwendung von Therapien mit Frischzellen ist aufgrund der besonderen immunologischen und infektionsbedingten Risiken für den Patienten und wegen fehlender wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweise seit Jahrzehnten in der medizinischen Wissenschaft umstritten. In den meisten europäischen und vielen außereuropäischen Staaten, einschließlich der USA und Kanada, ist die Anwendung wegen der fehlenden Wirkung und der mit dieser Therapie verbundenen Risiken verboten.
Die den Patienten des Klägers derzeit verabreichten Zellsuspensionen, die aus Schafsföten (und aus bestimmten Organen der Mutterschafe sowie aus Hoden von Jungböcken) gewonnen werden, bestehen nicht aus lebenden Zellen, sondern werden vor der Anwendung eingefroren ("Gefrierzellen").
Gefrierzellentherapie hat negative Nutzen-Risiko-Bilanz
Mit Verfügung des beklagten Landes vom 28. Dezember 2015 wurde dem Kläger die Herstellung von Gefrierzellen zur späteren Anwendung bei Menschen, sowie die Anwendung bereits hergestellter Gefrierzellen bei Menschen untersagt. Zur Begründung führte das Land aus, dass die Gefrierzellensuspension ein bedenkliches Arzneimittel darstelle. Über das reine Einfrieren hinaus erfolge keine weitere Behandlung der Zellen vor der Anwendung bei Menschen insbesondere zur Inaktivierung möglicher Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren oder der Verringerung immunologischer Risiken. Die Gefrierzellentherapie habe eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz. Dies ergebe sich aus fachlichen Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts (im Folgenden PEI) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden BfArM).
Arzt verneint Vorliegen einer negativen Nutzen-Risiko-Bilanz
Der Kläger hat gegen das Verbot nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage mit der Begründung erhoben, das kein begründeter Verdacht bestehe, dass die Gefrierzellentherapie eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise. Die von ihm hergestellten Gefrierzellen unterschieden sich aufgrund der Haltung und Untersuchungen der Schafe und der durchgeführten Herstellungs- und Prüfschritte grundlegend von den von PEI und BfArM begutachteten Frischzellen. Mit den von ihm entwickelten besonderen Herstellung- und Prüfverfahren werde das bekannte Risiko der Übertragung von Krankheiten ausreichend minimiert. Das beklagte Land habe auch nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Therapie mit Frischzellen bzw. Gefrierzellen immunallergische Reaktionen in erheblichem Ausmaß hervorrufe.
Geringe Risiken für Untersagung mitunter ausreichend
Das Verwaltungsgericht Neustadt wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Land die Untersagungsverfügung zu Recht erlassen habe. Die beanstandeten Gefrierzellen, die der Kläger herstelle und an Menschen anwende, stellten bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes dar. Danach seien Arzneimittel bedenklich, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht bestehe, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hätten, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgingen. Ein begründeter Verdacht sei gegeben, wenn eine wissenschaftlich plausible Annahme eines Zusammenhangs zwischen der unerwünschten Begleiterscheinung und der Arzneimittelanwendung nicht ausgeräumt werden könne. Sei die Wirksamkeit des umstrittenen Arzneimittels wissenschaftlich nicht belegt, reichten schon geringe Risiken für eine Untersagung aus.
Gericht verweist auf Risiko immunallergischer und allergischer Reaktionen
Hiernach sei im Falle der vom Kläger hergestellten und an Menschen angewendeten Gefrierzellen von bedenklichen Arzneimitteln auszugehen. Die Wirksamkeit der Anwendung von Gefrierzellen sei wissenschaftlich nach wie vor nicht belegt. Unabhängig von der Frage, ob die Zucht- und Haltungsbedingungen von Schafen so ausgestaltet werden könnten, dass das Risiko einer Erregerübertragung durch die verwendeten Tiere signifikant reduziert werde, bestehe jedenfalls das Risiko hinsichtlich immunallergischer und allergischer Reaktionen. Dies gehe hinreichend deutlich aus dem neuen Gutachten des BfArM vom 14. Juli 2016 hervor. Dieses Risiko sei angesichts der fehlenden Wirksamkeit des Arzneimittels nicht hinzunehmen.
Interesse des Klägers an Fortführung der Therapie muss wegen nicht belegter Wirksamkeit der Gefrierzellentherapie zurückstehen
Hierdurch werde der Kläger auch nicht in seinen Grundrechten verletzt. Zwar habe das durch das Grundgesetz geschützte Interesse des Klägers, die Therapie weiter durchführen zu dürfen, ein erhebliches Gewicht. Dem stehe jedoch das öffentliche Interesse gegenüber, dass der Einzelne vor bedenklichen Arzneimitteln und unverhältnismäßig riskanten Behandlungen geschützt werde. Regelungsgegenstand des Arzneimittelgesetzes sei klassisches Gefahrenabwehrrecht. Da die Wirksamkeit der Gefrierzellentherapie wissenschaftlich nicht belegt sei und deshalb schon geringe Risiken für eine Untersagung ausreichten, müsse das Interesse des Klägers an einer Fortführung der Therapie zurückstehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtsgericht Neustadt/ra-online
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