21.11.2024
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Verwaltungsgericht Minden Urteil28.02.2014

Katholische Bekenntnis­grund­schule darf bei Aufnahme bekennt­nis­fremder Kinder Teilnahme am Religi­o­ns­un­terricht verlangenVerweis des Schulleiters auf Bekennt­nis­cha­rakter seiner Schule nicht rechts­miss­bräuchlich

Das Verwal­tungs­gericht Minden hat entschieden, dass eine katholische Bekenntnis­grund­schule die Aufnahme eines bekennt­nis­fremden (hier muslimischen) Kindes ablehnen darf, weil sich die Eltern mit der Teilnahme ihres Sohnes an dem katholischen Religi­o­ns­un­terricht nicht einverstanden erklären. Die Eltern, die im Übrigen keine Einwände gegen eine Unterrichtung auf der Grundlage des katholischen Bekenntnisses haben, hatten darauf verwiesen, dass eine ältere Schwester dort eingeschult worden sei, ohne am Religi­o­ns­un­terricht teilnehmen zu müssen.

Im gerichtlichen Verfahren hatte der Vater einen Kompro­miss­vor­schlag des Gerichts abgelehnt, weil es ihm um eine grundsätzliche Klärung der Schulsituation in Paderborn ginge: Die Bekennt­nis­schulen in Paderborn stünden „nur noch auf dem Papier“, weil der Anteil bekennt­nis­fremder Kinder teilweise mehr als die Hälfte der Schülerschaft ausmache. Befreiungen vom Religionsunterricht seien in der Vergangenheit entweder großzügig ausgesprochen oder die Verpflichtung dazu nicht durchgesetzt worden. In Paderborn gebe es keine zumutbaren Alternativen, weil 2/3 aller Grundschulen bekennt­nis­ge­bundene Grundschulen seien. Sein Sohn müsse daher anstelle der nahe gelegenen Bonifatius-Grundschule eine weiter entfernt liegende Gemein­schafts­grund­schule besuchen, die nur mit dem Bus erreichbar sei.

Bei Anmeldung eines Kindes auf einer Bekennt­nis­schule muss mit Beschulung gemäß dem Leitbild der Schule gerechnet werden

Nachdem ein Eilantrag der Eltern auch vor dem Oberver­wal­tungs­gericht Münster erfolglos geblieben war, hat das Verwal­tungs­ge­richts gemäß den anliegenden Leitsätzen darauf hingewiesen, dass Bekennt­nis­schulen nach der Landes­ver­fassung einen besonderen Status genössen. Daraus folge für diese meist in kommunaler Trägerschaft stehenden Schulen, dass sie von ihrer Ausrichtung her grundsätzlich für Kinder des jeweiligen Bekenntnisses gedacht seien. Bekennt­nis­fremde Kinder müssten dort ausnahmsweise aufgenommen werden, wenn keine andere Schule zur Verfügung stehe. Daneben könnten beispielsweise katholische Kinder eine Aufnahme in eine evangelische Bekennt­nis­schule im Rahmen der vorhandenen Aufnah­me­ka­pazität erreichen, wenn sie uneingeschränkt mit der Unterrichtung und Erziehung in diesem Bekenntnis einverstanden seien. Dieses umfassende Einverständnis dürfe nicht dadurch relativiert werden, dass Teile des Unterrichts, zu dem auch der Religi­o­ns­un­terricht gehöre, ausgeklammert würden. Wer sein Kind zu einer Bekennt­nis­schule schicke, müsse damit rechnen, dass es gemäß dem Leitbild dieser Schule beschult werde. Allerdings dürfe der Bekennt­nis­cha­rakter einer solchen Schule nicht ausgehöhlt werden. Dies könne der Fall sein, wenn sich die Schule etwa wegen einer überwiegenden Mehrheit bekennt­nis­fremder Kinder zu weit von ihrer Ausrichtung entferne. Hierzu und zu den Folgen eines „Bekennt­nis­schwundes“ gebe es bisher keine starren rechtlichen Vorgaben. Wegen der weitreichenden Folgen des Verlusts der Eigenschaft als Bekennt­nis­schule sei es Sache des Schulträgers, im Rahmen seiner Befugnis zur örtlichen Schulplanung notwendige Anpassungen zur Schaffung eines bedarfs­ge­rechten Schulangebots vorzunehmen. An den ursprünglich bei Errichtung der Schule einmal geäußerten Elternwillen sei er bei Verlust der Bekennt­nis­ei­gen­schaft nicht mehr gebunden.

Landes­ver­fas­sungsgeber ist nicht zur Einrichtung öffentlicher Bekennt­nis­schulen verpflichtet

Es sei vorrangig eine politische Aufgabe, die noch offenen Fragen zur Bedeutung der Bekennt­nis­zu­ge­hö­rigkeit bei dem Besuch öffentlicher Bekennt­nis­schulen und der Anpassung an geänderte gesell­schaftliche Rahmen­be­din­gungen zu klären. Aus bundes­recht­licher Sicht sei der Landes­ver­fas­sungsgeber nicht verpflichtet, öffentliche Bekennt­nis­schulen einzurichten. Er könne auch vorrangig Gemein­schafts­grund­schulen anbieten.

Kind ist Schulweg zur nächsten Gemein­schafts­grund­schule zumutbar

Die Kläger könnten das individuelle Schul­auf­nah­me­ver­fahren nicht dazu nutzen, allgemein wirkende schul­or­ga­ni­sa­to­rische Maßnahmen zu unterlaufen oder vorwegzunehmen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn für das Kind eine aufnahmebereite Grundschule zur Verfügung stehe. Dies sei der Fall, da ihrem Kind der Schulweg zur nächsten Gemein­schafts­grund­schule zumutbar sei. Der Verweis des Schulleiters auf den Bekennt­nis­cha­rakter seiner Schule sei auch nicht rechts­miss­bräuchlich, weil das Verlangen nach Teilnahme am Religi­o­ns­un­terricht nunmehr unterschiedslos gehandhabt werde und der Verlust der Bekennt­nis­ei­gen­schaft nicht offenkundig sei.

Quelle: Verwaltungsgericht Minden/ra-online

der Leitsatz

1. Bekennt­nis­schulen genießen nach der nordrhein-westfälischen Verfassung einen besonderen Status. Dort werden Kinder des entsprechenden Glaubens nach den Grundsätzen des jeweiligen Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Bekennt­nis­fremde Kinder müssen allerdings aufgenommen werden, wenn für sie keine andere Schule zur Verfügung steht. Bekennt­nis­grund­schulen werden errichtet, wenn dies neben weiteren Voraussetzungen dem Elternwillen entspricht.

2. Daraus folgt für das Schul­auf­nah­me­ver­fahren der grundsätzliche Vorrang von Kindern des Bekenntnisses, für die eine Bekennt­nis­schule geschaffen worden ist. Dieser Vorrang gilt auch dann, wenn die Schulleitung bei zu vielen Aufnah­me­be­werbern eine Auswah­l­ent­scheidung treffen muss (gegen den Runderlass des Schul­mi­nis­teriums NRW vom 05.11.2013). Ausnahmsweise können - und müssen im Fall noch freier Kapazitäten - aber auch bekennt­nis­fremde Kinder aufgenommen werden, deren Eltern eine Beschulung im Sinne des Bekenntnisses wünschen und die mit der Ausrichtung der Schule vollumfänglich einverstanden sind.

3. Deshalb ist es mit dem Charakter einer Bekennt­nis­schule nicht vereinbar, dass bekennt­nis­fremde Eltern ihr Einverständnis auf Teilaspekte der schulischen Erziehung beschränken und insbesondere den Religi­o­ns­un­terricht des jeweiligen Bekenntnisses für ihr Kind ausschließen. Die Schulleitung darf in solchen Fällen dann die Aufnahme verweigern, wenn eine aufnahmebereite Gemein­schafts­grund­schule in zumutbarer Weise zur Verfügung steht. Auch die Begründung eines Gastschul­ver­hält­nisses scheidet dann offenkundig aus.

4. Sollte der Bekennt­nis­cha­rakter einer Schule zweifelhaft sein, weil etwa die Zahl der Kinder des entsprechenden Bekenntnisses den Minde­st­an­for­de­rungen an die „formelle Homogenität“ nicht mehr genügt, ist es Sache des Schulträgers, mittels seiner Befugnis zur örtlichen Schulplanung auf die gesell­schaftliche Entwicklung zu reagieren und erfor­der­li­chenfalls eine Änderung der Schulart von Amts wegen herbeizuführen. Es ist seine ureigene Aufgabe, für ein bedarfs­ge­rechtes Schulangebot zu sorgen. Der Schulträger ist dann nicht mehr an den ursprünglich bei der Bestimmung der Schulart geäußerten und ansonsten maßgebenden Elternwillen gebunden. Daneben können die Eltern eine Umwandlung einer Schule in einem Abstim­mungs­ver­fahren erzwingen.

5. Das individuelle Aufnah­me­ver­fahren darf solche grundlegenden schul­or­ga­ni­sa­to­rischen Entscheidungen wegen ihrer weitreichenden Folgen für die örtliche Schullandschaft nicht unterlaufen oder vorwegnehmen. Der formale Status einer Bekennt­nis­schule ist daher im Aufnah­me­ver­fahren verbindlich, falls nicht der Verweis auf den Bekennt­nis­cha­rakter offenkundig rechts­miss­bräuchlich und deshalb nicht schutzwürdig ist.

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