18.10.2024
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Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil04.03.2013

VG Karlsruhe: Wiederholtes und planmäßiges Kopieren rechtfertigt Entzug des Doktorgrads (Fall Koch-Mehrin)Teilweise mehrseitige Passagen aus fremden Texten entnommen / 125 Plagiaten auf 80 Seiten

Nach den jetzt vorliegenden Urteilsgründen hat die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin teils mehrseitige Passagen samt Fußnoten aus fremden Texten übernommen. Das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe hatte am 4. März die Anfech­tungsklage von Koch-Mehrin gegen die vom Promo­ti­o­ns­aus­schuss der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg verfügte Entziehung ihres Doktorgrades abgewiesen.

Im zugrunde liegenden Fall wurde der Klägerin am 21. August 2000 aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel "Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: Die Lateinische Münzunion 1865 - 1927" von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Heidelberg der Grad eines Doktors der Philosophie verliehen. Nachdem das Dekanat der Fakultät im April 2011 Hinweise darauf erhalten hatte, dass es sich bei der Dissertation in Teilen um ein Plagiat handeln könnte, beschloss der Promo­ti­o­ns­aus­schuss die Durchführung einer Untersuchung der Vorwürfe. Im Rahmen der Untersuchung wurde die Klägerin - auch persönlich - angehört. Nach Abschluss der Untersuchung beschloss der Promo­ti­o­ns­aus­schuss der Philosophisch-Historischen Fakultät, der Klägerin den Doktorgrad zu entziehen.

Promo­ti­o­ns­aus­schuss klassifiziert 125 Stellen der Dissertation als Plagiate

Dieser Beschluss wurde mit Verfügung des Vorsitzenden des Promo­ti­o­ns­aus­schusses vom 22. Juni 2011 umgesetzt. Darin heißt es u.a., dass sich auf 80 Textseiten der Dissertation insgesamt 125 Stellen befänden, die als Plagiate zu klassifizieren seien.

Klägerin hält Entscheidung des Promo­ti­o­ns­aus­schusses für verfahrens- und ermes­sens­feh­lerhaft

Nach Durchführung eines - erfolglosen - Wider­spruchs­ver­fahrens hat die Klägerin gegen diese Entscheidung am 14. Dezember 2011 Klage erhoben. Mit der Klage wendet sie sich gegen die der Entscheidung zugrun­de­lie­genden Plagi­ats­vorwürfe und macht weiter geltend, dass die Entscheidung des Promo­ti­o­ns­aus­schusses verfah­rens­feh­lerhaft zustande gekommen und im Übrigen ermes­sens­feh­lerhaft sei. Die beklagte Universität ist der Klage entgegen getreten.

VG Karlsruhe weist Klage ab

Das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe wies die Klage jedoch ab. Es folgte der Argumentation der Klägerin nicht. Die Entzie­hungs­ver­fügung und auch der Wider­spruchs­be­scheid der Universität wiesen keine formellen Fehler auf, so die 7. Kammer. Mit dem Promo­ti­o­ns­aus­schuss der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg habe das zuständige Gremium über die Entziehung des Doktorgrades entschieden. Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Wahl der Mitglieder des Promo­ti­o­ns­aus­schusses seien im vorliegenden Verfahren ohne Belang. Dies gelte insbesondere auch für die Bedenken der Klägerin, ob der Große Fakultätsrat - das Gremium, welches die Mitglieder des Promo­ti­o­ns­aus­schusses gewählt hat - seinerseits ordnungsgemäß konstituiert worden sei. Die Tatsache, dass bei der entscheidenden Sitzung des Promo­ti­o­ns­aus­schusses neben den eigentlichen Gremien­mit­gliedern auch zwei Sachverständige - der Ombudsmann der Kommission zur Sicherung guter wissen­schaft­licher Praxis sowie eine Justiziarin der Universität Heidelberg - anwesend gewesen seien, führe ebenfalls nicht zu einem Verfah­rens­fehler, da diese Sachver­ständigen durch den Promo­ti­o­ns­aus­schuss berech­tig­terweise und unter Einhaltung der vorgesehenen Verfah­rens­re­ge­lungen hinzugezogen worden seien. Mit der Prorektorin für Studium und Lehre der Universität Heidelberg habe auch die nach dem Landes­hoch­schul­gesetz dafür zuständige Amtsträgerin über den Widerspruch der Klägerin entschieden.

Teilweise mehrseitige Passagen aus fremden Texten anderer Autoren wortgleich oder nahezu wortgleich übernommen

In der Sache hat das Verwal­tungs­gericht die Einwände der Klägerin gegen den Plagiatsvorwurf ebenfalls zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht nur einzelne Sätze, sondern vielmehr erhebliche, teilweise mehrseitige Passagen - zum Teil samt Fußnoten - aus fremden Texten anderer Autoren wortgleich oder nahezu wortgleich übernommen, ohne dies hinreichend kenntlich zu machen. Der Plagiatsvorwurf treffe die Klägerin nicht nur vereinzelt oder im Sinne einer unsachgemäßen Handhabung der Zitierweise; vielmehr ließen die aufgefundenen Stellen den Schluss zu, dass die Klägerin fremde Passagen wiederholt und planmäßig als eigene wissen­schaftliche Arbeit ausgewiesen habe. Dabei sei eine - grundsätzlich denkbare - Bagatell­schwelle bei weitem überschritten.

Kennzeichnungs- und Offen­ba­rungs­pflicht nicht ausreichend nachgekommen

Die Tatsache, dass die Klägerin einige der betroffenen Werke, aus denen sie ganze Passagen wortgleich oder nahezu wortgleich übernommen habe, unter der Rubrik "X.5 Sekun­dä­r­li­teratur" in ihr Litera­tur­ver­zeichnis aufgenommen hat, stelle die Berechtigung des Plagi­ats­vorwurfs nicht in Frage; denn der Leser eines wissen­schaft­lichen Werkes erwarte, dass wörtliche Übernahmen aus anderen Werken bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht würden (VG Freiburg, Urteil vom 23.05.2012 - 1 K 58/12 -; VG Frankfurt, Urteil vom 23.05.2007 - 12 E 2262/05 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2000 - 9 S 2435/99 -). Der Kennzeichnungs- und Offen­ba­rungs­pflicht in einer Dissertation werde nicht dadurch genügt, dass die Werke, aus denen die wörtlich übernommenen Textpassagen stammen, lediglich im Litera­tur­ver­zeichnis aufgeführt sind (VG Freiburg, Urteil vom 23.05.2012 - 1 K 58/12 -). Im Übrigen seien keineswegs alle, sondern lediglich zehn der insgesamt 32 betroffenen Quellen im Litera­tur­ver­zeichnis genannt, wie sich aus der synoptischen Zusam­men­stellung der Beklagten vom 12.05.2011 (Aktenseiten 439 bis 491) ersehen lässt. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die bloße Nennung eines Sammelbandes im Litera­tur­ver­zeichnis nicht ausreichend ist, sondern vielmehr die konkreten Quellen - hier die in Sammelbänden veröf­fent­lichten einzelnen Beiträge - unter namentlicher Nennung des jeweiligen Autors angegeben werden müssen.

Unbeachtlich ist, ob der Klägerin für die eingereichte Dissertation ohne die beanstandeten Seiten oder bei jeweils wörtlicher Zitierung der Doktorgrad noch verliehen worden wäre

Der Einwand der Klägerin, sie habe umfangreiche eigene Recherchen durchgeführt und die zentralen Forschungs­er­gebnisse ihrer Arbeit beruhten auf ihrer eigenen wissen­schaft­lichen Leistung, sei unbeachtlich. Denn es komme nicht darauf an, ob der Klägerin für die eingereichte Dissertation ohne die beanstandeten Seiten oder bei jeweils wörtlicher Zitierung der Doktorgrad noch verliehen worden wäre. Derartige hypothetische Erwägungen seien rechtlich unerheblich. Es sei für die Ursächlichkeit der von der Klägerin begangenen Täuschung nicht von Bedeutung, ob ihr für eine andere als die vorgelegte Arbeit der Doktorgrad verliehen worden wäre (so ausdrücklich VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2008 - 9 S 494/08 -; grundlegend bereits VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.1980 - IX 1302/78 -).

Entzug des Doktorgrads auch nach langer Zeit verhältnismäßig

Der Promo­ti­o­ns­aus­schuss habe auch die Tatsache, dass seit der Verleihung des Doktorgrades und dessen Entziehung mehr als zehn Jahre vergangen waren, hinreichend berücksichtigt (zur Berück­sich­tigung des Zeitablaufs seit der Verleihung des Doktorgrades im Rahmen des Ermessens vgl. zuletzt VG Köln, Urteil vom 22.03.2012 - 6 K 6097/11 - , NWVBl. 2012, 366 und VG Köln, Urteil vom 06.12.2012 - 6 K 2684/12 -). Der Faktor Zeitablauf sei zwar weder in dem Sitzungs­pro­tokoll des Promo­ti­o­ns­aus­schusses vom 14.06.2011 noch in dem ausführenden Bescheid des Dekans vom 22.06.2011 gesondert thematisiert worden, der Promo­ti­o­ns­aus­schuss hat jedoch ausweislich des Sitzungs­pro­tokolls intensiv über die Verhält­nis­mä­ßigkeit einer Entziehung des Doktortitels diskutiert und ist nach Abwägung aller sachlichen und persönlichen Gesichtspunkte zur Auffassung gekommen, dass die Entziehung des Doktortitels nicht gegen das Gebot der Verhält­nis­mä­ßigkeit verstoße.

Ermes­sen­s­ent­scheidung des Promo­ti­o­ns­aus­schusses nicht zu beanstanden

Schließlich sei auch die getroffene Ermes­sen­s­ent­scheidung des Promo­ti­o­ns­aus­schusses nicht zu beanstanden. Aufgrund der anonymen Hinweise auf der Internetseite http://de.vroniplag.wikia.com/wiki habe der Promo­ti­o­ns­aus­schuss zu Recht ein Prüfungs­ver­fahren eingeleitet. Bei seiner abschließenden Entscheidung habe er die Möglichkeit milderer Mittel - wie etwa den Erlass sog. Nachbes­se­rungs­auflagen - ausreichend geprüft und auch die Tatsache, dass die Abgabe der Dissertation bereits mehr als zehn Jahre zurückgelegen habe, erkannt und fehlerfrei bewertet. Dass er die öffentlichen Interessen an der Entziehung des Doktorgrades im Ergebnis höher bewertet habe als die erheblichen Nachteile, die diese Entscheidung für die Klägerin in beruflicher und gesell­schaft­licher Hinsicht nach sich ziehe, sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Quelle: Verwaltungsgericht Karlsruhe/ra-online

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