Dem Verfahren lag die Anzeige eines Vorsitzenden Richters bei einem Hessischen Verwaltungsgericht zugrunde, dem vom Kläger in dessen Asylverfahren ein nervenärztliches Attest des beschuldigten Arztes vorgelegt worden war, das nach Einschätzung des Richters fehlerhaft war.
In dem Attest wurde ärztlicherseits bestätigt, dass der Kläger jenes Asylverfahrens unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und sich seit einem bestimmten Datum regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung des beschuldigten Arztes befinde und 14tägige Gespräche geführt würden. Dies traf jedoch, wie der Richter im Asylverfahren feststellte, nicht zu. Vielmehr war der Kläger nur zweimal in der Praxis des Beschuldigten gewesen, eine Behandlung hatte bisher noch nicht stattgefunden. Nach den eigenen Angaben des Beschuldigten hatte er ihm bei seinem ersten Erscheinen in der Praxis im Februar 2008 ein Behandlungsangebot für den Fall gemacht, dass er in der Zukunft krankenversichert werden sollte. Im Mai 2008 war er dann unangemeldet in der Praxis erschienen, um das in Rede stehende Attest zu erhalten, das er dringend für die bevorstehende mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in seinem Asylverfahren benötigte. Eine Behandlung hatte beide Male nicht stattgefunden.
Nach Auffassung des Berufsgerichts bestand der Sinn der unrichtigen Tatsachenbehauptungen in dem Attest darin, dem Verwaltungsgericht den Eindruck zu vermitteln, die angeblich vom beschuldigten Arzt selbstgestellte Diagnose "posttraumatische Belastungsstörung mit Depression und Angstzuständen" beruhe auf einem Erkenntnisstand des Arztes, der das Stellen dieser Diagnose fachlich kompetent zulasse. Wörtlich heißt es in dem Urteil:
"Dementsprechend steht die abschließende Aussage in dem Attest vom ……., der Patient sei "weiterhin nicht abschiebefähig" ohne entsprechende konkrete ärztliche Erkenntnis, allenfalls aufgrund von Äußerungen des Patienten, die gerade nicht - wie es aber nach der ihm obliegenden ärztlichen Sorgfalt geboten gewesen wäre - von ihm auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft worden waren, ohne hinreichenden Erkenntniswert für das Verwaltungsgericht zur Berücksichtigung in dem Entscheidungsfindungsprozess. Erkennbar sollte damit das Verwaltungsgericht, welches im anstehenden Gerichtstermin des Patienten über die Frage seiner Abschiebung in sein Herkunftsland zu entscheiden hatte, unter Außerachtlassung der dem Beschuldigten als Angehörigen des ärztlichen Berufsstandes obliegenden Neutralitätspflicht in eine bestimmte Richtung beeinflusst werden."
Das Verwaltungsgericht Gießen stellte in seinem Urteil fest, dass die Berufspflicht eines Arztes gemäß § 25 S 1 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen uneingeschränkt und ohne Ansehen der Wünsche eines "Auftraggebers" - sei es zum Beispiel der Patient selbst oder eine öffentliche Stelle - gelte. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung seien Vorgaben oder tatsächliche oder vermeintliche Erwartungshaltungen eines Dritten, wozu einerseits der Patient selbst, andererseits auch die Auftraggeber zählten, vom Arzt bei Erstellung eines Gutachtens wie auch eines Zeugnisses ("Attestes") unberücksichtigt zu lassen.
Das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der Angehörigen des ärztlichen Berufsstandes werde durch fehlerhafte Vorgehensweisen bei Ausstellung von Gutachten oder Zeugnissen nachhaltig erschüttert. Die Auswirkungen des Gebrauchmachens von solchen Gutachten oder Attesten könnten erheblicher Natur sein und zu Fehlentscheidungen führen. Verstöße bedürften daher einer nachhaltigen Sanktionierung.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 24.03.2010
Quelle: ra-online, VG Gießen