03.12.2024
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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil29.10.2015

Grundrecht auf Religi­o­ns­freiheit begründet auch für Sikhs keinen Anspruch auf Befreiung von der HelmpflichtKern der religiösen Gebote des Sikh-Glaubens durch Schutz­helmpflicht nicht verletzt

Das Grundrecht eines Sikhs auf Religi­o­ns­freiheit gibt ihm keinen Anspruch darauf, von der Einhaltung der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Motorradfahren befreit zu werden. Mit dieser Begründung wies das Verwal­tungs­gericht Freiburg die Klage eines Sikhs gegen die Stadt Konstanz auf Befreiung von der Helmpflicht ab.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Geklagt hatte ein Deutscher, der 2005 der Sikh-Religion beigetreten war. Er hatte 2013 einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme von der Motor­rad­helmpflicht mit der Begründung gestellt, seine Religion gebiete ihm, stets einen Turban zu tragen. Den Antrag hatte die Stadt Konstanz als Straßen­ver­kehrs­behörde abgelehnt.

Grundrecht auf Religi­o­ns­freiheit nicht verletzt

Das Verwal­tungs­gericht Freiburg entschied, dass diese Ablehnung nicht das Grundrecht auf Religionsfreiheit verletzt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es zwar im Wesentlichen von dem Selbst­ver­ständnis der Religi­o­ns­ge­mein­schaft und des einzelnen Gläubigen abhänge, was im Einzelfall als Ausübung einer Religion anzusehen sei. Der Staat dürfe eine solche Überzeugung auch nicht bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" bezeichnen. Dennoch müsse nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubens­freiheit angesehen werden. Vielmehr dürfe der Staat prüfen und entscheiden, ob hinreichend substanziell und plausibel dargelegt sei, dass ein Verhalten tatsächlich eine Motivation habe, die als religiös anzusehen sei.

Sikh-Glauben lässt situa­ti­o­ns­be­dingten Austausch des Turbans durch andere Bedeckung zu

Danach sei zwar das Tragen eines Turbans als plausibles religiöses Bekennt­nis­symbol der Sikhs anzusehen, da sie bei ihrer Taufe einen Eid leisteten, sich nach dem Vorbild ihres historischen Gurus aus Respekt vor dem Schöpfer und seiner Schöpfung „bis zum Lebensende die Haare nicht zu schneiden, sie zu bedecken und mit einem Turban zu schmücken“, um so auch äußerlich eins zu sein mit dem Guru, dessen Geschenk an die Gläubigen der Turban sei. Zweifelhaft sei aber, ob diese Gründe auch das Motorradfahren mit Turban statt Schutzhelm erforderten. Denn die religiös im Vordergrund stehende Bewahrung der Haare durch Nichtschneiden und Bedecken lasse es selbst nach dem Sikh-Glauben zu, den Turban situa­ti­o­ns­bedingt, etwa beim Schlafen, durch eine andere Bedeckung zu ersetzen. Fraglich sei zudem, ob noch Respekt für Schöpfer und Schöpfung mitschwinge, wo der schmückende Turban den schützenden Motorradhelm verdränge. Nicht recht nachvollziehbar erscheine auch, ob noch Würde und äußere sowie innere Einheit mit dem historischen Guru durch einen mit Turban Motorrad fahrenden Sikh gewahrt würden, der mit einem solchen Anblick wohl in der Öffentlichkeit eher auf Unverständnis oder gar Spott stoßen würde.

Erforderliche Bedeckung der Haare unter dem Helm kann mit Tuch oder einer Mütze erfolgen

Selbst wenn aber auch dieses Verhalten noch vom Schutzbereich der Religi­o­ns­freiheit umfasst sei, stelle die Schutz­helmpflicht jedenfalls keinen Eingriff in diesen Schutzbereich dar, da sie den Kern des religiösen Gebots nicht verletze, der zuallererst und im Wesentlichen darin bestehe, die Haare nicht zu schneiden und den Kopf deshalb zu bedecken. Die Beachtung der Helmpflicht zwinge nämlich den Kläger weder zum Schneiden seiner Haare noch zu ihrer Entblößung in der Öffentlichkeit. Eine etwa erforderliche Bedeckung der Haare unter dem Helm könne auch mit einem Tuch oder einer Mütze ("Sturmhaube") erfolgen und es bleibe dem Kläger möglich, seinen Turban in privaten Räumen oder an anderen nicht­öf­fent­lichen Orten gegen Tuch/Haube und Schutzhelm tauschen.

Eingriff in verfas­sungs­rechtlich geschützte Religi­o­ns­freiheit gerechtfertigt

Selbst ein Eingriff in das Grundrecht auf Religi­o­ns­freiheit des Klägers wäre jedenfalls gerechtfertigt. Der Eingriff schränke nämlich sein religiöses Leben nicht tiefgreifend ein. Vielmehr betreffe die Helmpflicht beim Motorradfahren schon zeitlich und auch jahreszeitlich bedingt nur einen kleinen Teil des täglichen Lebens des Klägers. Zudem berühre sie nur das Motorradfahren, also eine einzige Art der motorisierten Fortbewegung, während er sämtliche anderen Fortbe­we­gungs­mittel unter Wahrung seiner Religion nutzen könne. Auf ein Motorrad als Fortbe­we­gungs­mittel sei er außerdem nicht erkennbar angewiesen. Dass er schon seit 2005 Sikh sei, aber erst 2013 den Antrag auf Befreiung von der Helmpflicht gestellt habe, spreche zudem gegen einen besonderen Bedarf. Vor diesem Hintergrund sei der Eingriff in die von der Verfassung geschützte Religi­o­ns­freiheit des Klägers gerechtfertigt, da seinem Anliegen, ohne Schutzhelm nur mit Turban Motorrad fahren zu können, öffentliche Belange entgegenstünden, die ebenfalls Verfassungsrang hätten und so gewichtig seien, dass sie das hier nicht schwerwiegende, sondern nur in einem äußersten Randbereich betroffene Rechtsgut der Religi­o­ns­freiheit des Klägers überwögen. Die Helmpflicht bezwecke nämlich nicht nur den Schutz des Motorradfahrers vor schweren Kopfver­let­zungen, sondern auch den Schutz der Allgemeinheit vor schweren Belastungen, die aus Unfällen mit schweren Kopfver­let­zungen durch den Einsatz von Rettungskräften, durch die ärztliche Versorgung, durch Rehabi­li­ta­ti­o­ns­maß­nahmen und durch die Invali­den­ver­sorgung entstehen können. Zudem könnten bei vielen Verkehr­s­un­fällen weitere Schäden für Dritte abgewendet werden, wenn ein beteiligter Motorradfahrer wegen seines Schutzhelms bei Bewusstsein und damit gegebenenfalls in der Lage bleibe, die Unfallstelle zu räumen, Rettungsdienste zu alarmieren oder Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Schließlich schütze die Helmpflicht auch Unfallgegner bzw. Versicherungen vor den Kosten von Verletzungen, die ein Motorradfahrer mangels Tragen eines Helms womöglich zusätzlich erleide.

Quelle: Verwaltungsgericht Freiburg/ra-online

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