21.11.2024
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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss04.03.2011

Verbot von "Gehsteig­be­ratung" für Abtrei­bungs­gegner voraussichtlich rechtmäßigVerein spricht Frauen vor Beratungsstelle von pro familia e.V auf eine Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tuation an

Das Verwal­tungs­gericht Freiburg hat den Antrag des Vereins "Lebenszentrum - Helfer für Gottes Kostbare Kinder Deutschland e. V." auf vorläufigen Rechtsschutz gegen das Verbot so genannter Gehsteig­be­ra­tungen abgelehnt. Die Stadt Freiburg hat dem Verein und von ihm beauftragten Personen unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 250,-- EUR untersagt, Personen in der Humboldtstraße in der Freiburger Innenstadt, an der auch die Beratungsstelle von pro familia e.V. liegt, auf eine Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tuation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen.

Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die 4. Kammer des Verwal­tungs­ge­richts im Wesentlichen ausgeführt, die Unter­sa­gungs­ver­fügung sei voraussichtlich rechtmäßig. Sie sei so zu verstehen, dass sie neben der persönlichen Ansprache auf eine Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tuation nur das unaufgeforderte und gezielte, individuelle Hinhalten und Überreichen von Broschüren, Bildern und Gegenständen an bewusst ausgesuchte Personen verbiete. Ungezielte, an die Allgemeinheit gerichtete Formen der Meinungs­kundgabe wie etwa Mahnwachen oder das Hochhalten von Transparenten seien, wie es die Meinungsfreiheit gebiete, weiterhin zulässig. Die Stadt habe nicht etwa eine Bannmeile gegen den Verein verhängt.

Grundrechte von Frauen sind bedroht

Die Stadt dürfe hier polizei­rechtlich einschreiten, weil Grundrechte einer unbestimmten Vielzahl von Frauen bedroht würden. Die gezielte Ansprache von (vermeintlich) Schwangeren auf eine denkbare Konflikt­si­tuation sei geeignet, deren allgemeines Persön­lich­keitsrecht zu bedrohen. Sie löse, zumal flankiert durch bildliche Darstellungen und eine gewisse Intensität der Gesprächs­führung, in einer seelisch ohnehin belastenden Situation jedenfalls subjektiv einen Erklärungs- oder Recht­fer­ti­gungs­bedarf der schwangeren Frau aus. Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht schütze die Privatsphäre und damit auch die Gedanken- und Gefühlswelt eines Menschen. Der Umstand einer Schwangerschaft sei zweifellos dem höchst­per­sön­lichen Bereich der schwangeren Frau zuzuordnen. Gerade für das erste Schwan­ger­schafts­drittel bestehe ein gesell­schaft­licher Konsens, dass das Wissen um die Schwangerschaft zunächst im engeren persönlichen Kreis verbleibe. Die Ansprache durch unbekannte Dritte auf der Straße auf eine etwa bestehende Schwangerschaft sei unüblich und dürfte gemessen an den sonstigen gesell­schaft­lichen Gepflogenheiten ein nicht unbeträcht­liches Maß an Distanz­lo­sigkeit erfordern. Das weitgehende Eindringen in die Privatsphäre werde noch verstärkt, wenn der Ansprache auf eine bestehende Schwangerschaft die Frage nach einer Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tuation folge. Die Schwangere werde gerade unmittelbar vor oder nach einem Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ra­tungs­ge­spräch in einem überaus verletzbaren seelischen Zustand getroffen. Dadurch werde bereits die Abwehr eines weiteren Eindringens in die eigene Privatsphäre zu einer Herausforderung, zumal dann, wenn die Nachfragen mit einem bestimmten Meinungs­programm verbunden seien.

Allgemeines Persön­lich­keitsrecht kann eingeschränkt werden

Allerdings könnten grundrechtliche Freiheiten Dritter das allgemeine Persön­lich­keitsrecht einschränken. Hier umfasse die Meinungs­freiheit des antrag­stel­lenden Vereins sämtliche der im Streit stehenden Verhal­tens­weisen. Die Kammer messe der Meinungs­freiheit des Vereins bedeutendes Gewicht bei. Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung, zu denen die Debatte um den Schutz des ungeborenen Lebens zweifelsohne zu rechnen sei, sichere die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat notwendig pluralistisch im Widerstreit verschiedener Auffassungen vollziehe. Die Meinungs­freiheit umfasse auch das Recht, selbst zu bestimmen, wo und wann die Meinungs­kundgabe erfolgt, zumal an Orten, an denen ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet sei. Die Meinungs­freiheit gelte jedoch nicht vorbehaltlos. Hier kollidiere die Meinung mit dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht der Betroffenen, vor dem die untersagten Verhal­tens­weisen keinen Vorrang beanspruchen könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts sei es nicht ausgeschlossen, bestimmte Formen von Protestaktionen der Abtreibungsgegner zu verbieten, wenn Rechte Dritter dies erforderten. Die Meinungs­freiheit schütze keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine Meinung aufgedrängt werden solle und die die betroffenen Frauen gleichsam einem psychischen Spießrutenlauf aussetzten. Es möge sein, dass sich die Gehsteig­be­ratung nicht notwendig als ein solcher Spießrutenlauf darstellen müsse. Sie könne hier aber wegen ihrer situativ bedrängend wirkenden Einmischung in einen sehr persönlichen Lebensbereich in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ra­tungs­stelle untersagt werden. Es gehe auch um den Schutz des gesetzlichen Beratungs­konzepts, das nicht zuletzt im Interesse des ungeborenen Lebens einen höheren Schutz des Persön­lich­keits­rechts nahe lege und gewisse Einschränkungen des Meinungskampfes noch als hinnehmbar erscheinen lasse. Dabei sei für die Kammer von ausschlag­ge­bender Bedeutung, dass die „Gehsteig­be­ratung“ überall im Stadtgebiet mit Ausnahme der Humboldtstraße zulässig bleibe und auch dort die Meinung­s­äu­ße­rungs­freiheit des Vereins und der von ihm beauftragten Personen nicht gänzlich eingeschränkt sei. Angesichts der Kürze der Humboldtstraße von 70m sei es auch im Hinblick auf die Rechts­si­cherheit und Vollstreck­barkeit der Verfügung nicht angezeigt, den von der „Gehsteig­be­ratung“ ausge­schlossenen Bereich räumlich noch enger zu fassen.

Meinungsfreiheit

Die Meinungs­freiheit gebiete auch nicht, eine Ansprache der Frauen nach dem Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­spräch bei Verlassen der Beratungsstelle zuzulassen. Mit der gesetzlich ausgestalteten Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ratung vertrage sich die „Gehsteig­be­ratung“ in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang nicht. Die gesetzlich vorgesehene Beratung solle ermutigen, nicht einschüchtern, Verständnis wecken, nicht belehren, und die Verantwortung der Frau stärken, nicht sie bevormunden. Das stelle hohe Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung der Beratung und an die persönliche und fachliche Kompetenz der Personen, die sie durchführten. Die „Gehsteig­be­ratung“ des antrag­stel­lenden Vereins gerate mit diesem ausdif­fe­ren­zierten Konzept des Gesetzgebers beinahe notwendig in Konflikt. Sie könne schon den Rahmen des vertraulichen Ortes nicht gewährleisten und die Anonymität der Schwangeren nicht absichern; die persönliche und fachliche Kompetenz der beratenden Personen sei nicht gewährleistet, und es fehle an der Ergeb­ni­s­of­fenheit der Beratung. Das gesetzliche Beratungs­konzept könne, solle es wirksam und dem Schutz des ungeborenen Lebens dienlich sein, nicht dadurch konterkariert werden, dass sogleich nach dem Verlassen der Beratungsstelle auf dem Gehsteig eine ungefragte Ansprache durch hierfür nicht hinreichend geschulte Personen erfolge, die in Kenntnis der seelischen Anfälligkeit und Verletzbarkeit der Schwangeren ein nicht den gesetzlichen Grundsätzen entsprechendes, inhaltlich einseitiges Gespräch an die Stelle des gesetzlichen Beratungs­konzepts zu setzen versuchten.

Quelle: ra-online, Verwaltungsgericht Freiburg (pm/pt)

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