21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil19.10.2012

"Gehsteig­be­ratung": Gezielte Ansprache Schwangerer mit Bildern toter Föten bleibt weiterhin verbotenGezielte Ansprache von Schwangeren in der Nähe einer Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ra­tungs­stelle verletzt Persön­lich­keits­rechte der Betroffenen

Die gezielte Ansprache von Frauen auf eine Schwangerschaft oder gar einen Schwan­ger­schafts­konflikt in der Nähe einer Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ra­tungs­stelle (so genannte "Gehsteig­be­ratung") verletzt das Persön­lich­keitsrecht der angesprochenen Frauen. Dies entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg und hielt damit an seinem Beschluss vom 10. Juni 2011(vgl. Beschluss v. 16.06.2011 - 1 S 915/11 -) im voraus­ge­gangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fest.

Im zugrunde liegenden Fall hatte die Stadt Freiburg einem privaten, gemeinnützigen Verein unter Androhung eines Zwangsgeldes von 250 Euro untersagt, in der Humboldtstraße - an der eine Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ra­tungs­stelle liegt - Personen auf eine Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tuation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen. Der Verein (Kläger) hat gegen die für sofort vollziehbar erklärte Unter­sa­gungs­ver­fügung nach erfolglosem Widerspruch Klage beim Verwal­tungs­gericht Freiburg erhoben. Das Verwal­tungs­gericht hat die Klage abgewiesen. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg bestätigte nunmehr - nach Anhörung zahlreicher Zeugen in der Berufungs­ver­handlung - dieses Urteil.

Gehsteig­be­ratung stellt konkrete Gefahr für öffentliche Sicherheit dar

In seiner Urteils­be­gründung führt das Gericht aus, dass das von der Unter­sa­gungs­ver­fügung erfasste Verhalten des Klägers und der für ihn in Freiburg tätigen Gehsteig­be­raterin eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle. Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zähle auch das durch das Grundgesetz geschützte allgemeine Persön­lich­keitsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).

Höchst­per­sönliche Konflikt­si­tuation der Schwangeren begründet hohes Schutzniveau für allgemeines Persön­lich­keitsrecht

Die gezielte Ansprache auf eine Schwan­ger­schafts­kon­flikt­si­tuation durch unbekannte Dritte auf der Straße verletze das Persön­lich­keitsrecht der betroffenen Frauen. In der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konflikt­si­tua­tionen komme. Diesen Schwan­ger­schafts­konflikt erlebe die Frau als höchst­per­sön­lichen Konflikt. Diese Situation begründe ein hohes Schutzniveau für das allgemeine Persön­lich­keitsrecht. Frauen hätten daher gerade in dieser Lebensphase ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprächen, in Ruhe gelassen zu werden. Die für den Kläger tätige Gehsteig­be­raterin missachte mit der gezielten Ansprache auf eine Schwangerschaft das Persön­lich­keitsrecht der Frauen. Erschwerend komme hinzu, dass die Ansprache in der Öffentlichkeit auf einer belebten Straße und in einer für unbeteiligte Dritte wahrnehmbaren Weise erfolge. Dies hätten zahlreiche Zeuginnen bestätigt. Die Verletzung des Persön­lich­keits­rechts werde noch weiter verstärkt durch die den angesprochenen Frauen angebotenen Faltblätter mit teilweise einschüch­ternden und verstörend wirkenden Bildern von Föten und Teilen von Föten.

Meinungs­freiheit des Klägers muss im konkreten Fall gegenüber dem Persön­lich­keitsrecht der Frauen zurücktreten

Der Kläger könne sich nicht auf den grund­ge­setz­lichen Schutz der Versamm­lungs­freiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen. Denn die "Gehsteig­be­ratung" ziele allein auf eine individuelle Kommunikation mit Einzelpersonen. Im Rahmen der Abwägung müsse auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Klägers im konkreten Fall gegenüber dem Persön­lich­keitsrecht der Frauen zurücktreten, heißt es weiter in den Urteilsgründen. Denn auch bei einem Thema von besonderem öffentlichen Interesse wie dem eines Schwan­ger­schafts­ab­bruchs schütze das Recht auf Meinungs­freiheit keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine bestimmte Meinung aufgedrängt werden solle. Gerade hierauf ziele aber die Gehsteig­be­ratung ab. Die Meinungs­freiheit des Klägers und seiner Mitglieder werde durch das Verbot der "Gehsteig­be­ratung" ferner nicht unver­hält­nismäßig beschränkt. Denn außerhalb der Humboldtstraße bleibe die Gehsteig­be­ratung möglich. Eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung könnte darüber hinaus - ohne eine gezielte Ansprache von möglicherweise schwangeren Frauen - auch in der Humboldtstraße geäußert werden. Weiterhin komme dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht der betroffenen Frauen Vorrang auch gegenüber dem durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Glaubens- und Bekennt­nis­freiheit des Klägers zu.

Unter­sa­gungs­ver­fügung ermes­sens­feh­lerfrei ergangen

Das Einschreiten der Stadt sei auch im öffentlichen Interesse geboten, da eine unbestimmte Vielzahl schwangerer Frauen von der mit der "Gehsteig­be­ratung" einhergehenden Beein­träch­tigung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts betroffen sei, so der Verwal­tungs­ge­richtshof weiter. Eine zeitnahe wirkungsvollere Abwehr der Beein­träch­ti­gungen sei nicht zu erreichen. Schließlich leide die Unter­sa­gungs­ver­fügung an keinen Ermes­sens­fehlern.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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