21.11.2024
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Verwaltungsgericht Aachen Beschluss07.10.2021

Lützerath: Eilanträge gegen die zugunsten von RWE erfolgte vorzeitige Besit­zein­weisung abgelehntBraunkohleabbau vorrangig

Das Verwal­tungs­gericht Aachen lehnte den Eilantrag eines Hofbesitzers in Lützerath sowie den Eilantrag zweier Mieter von Räumlichkeiten auf den Hofgrundstücken gegen Beschlüsse der Bezirks­re­gierung Arnsberg ab, mit denen die RWE Power AG als Betreiberin des Tagebaus Garzweiler II zum 1. November 2021 vorzeitig in den Besitz dieser Grundstücke eingewiesen worden ist, ab.

Im hier vorliegenden Fall hatte ein Hofbesitzer in Lützerath sowie zwei Mieter von Räumlichkeiten auf den Hofgrundstücken gegen Beschlüsse der Bezirks­re­gierung Arnsberg gewandt, mit denen die RWE Power AG als Betreiberin des Tagebaus Garzweiler II zum 1. November 2021 vorzeitig in den Besitz dieser Grundstücke eingewiesen worden ist. Hinsichtlich der Grundstücke, die am Rand der derzeitigen Abbruchkante des Tagebaus in Lützerath gelegen sind, war zuvor am 17. Dezember 2020 ein sog. Grundab­tre­tungs­be­schluss ergangen, der im Enteig­nungs­ver­fahren den - aufgrund mehrerer Klagen mit aufschiebender Wirkung noch nicht erfolgten - Eigen­tums­übergang auf die Betreiberin vorbereiten soll. Weil die Betreiberin mit vorbereitenden Arbeiten für die Abbaggerung der Grundstücke (u. a. Beseitigung von Grünstrukturen, Abreißen von Gebäuden etc.) jedoch schon zum 1. November 2021 beginnen will, bedarf sie für den erforderlichen Zugriff auf die Grundstücke sog. vorzeitiger Besit­zein­wei­sungen. Diese sind gegenüber den Antragstellern am 7. Mai 2021 bzw. am 25. Juni 2021 erfolgt und von diesen angegriffen worden. Die auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Eilanträge hat das Gericht nunmehr abgelehnt und die Besit­zein­wei­sungs­be­schlüsse als voraussichtlich rechtmäßig bewertet.

Bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke entspricht landes­rechtliche Planungs­ent­schei­dungen

Zur Begründung hat das VG u. a. darauf hingewiesen, dass der Abbau der Braunkohle unter den Hofgrundstücken und die hierfür notwendige bergbauliche Inanspruchnahme desselben den landes­recht­lichen Planungs­ent­schei­dungen entspreche. Die Leitent­scheidung der Landesregierung aus dem Jahr 2021 sehe weiterhin eine bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke für den Tagebau Garzweiler II vor. Auch die bundes­ge­setz­lichen Regelungen zum Kohleausstieg gingen von einem energie­wirt­schaft­lichen Bedarf des Rohstoffs Braunkohle mindestens bis zum Jahr 2035 aus. Es sei zuallererst eine energie­po­li­tische Entscheidung des Bundes und der Länder, mit welchen Energieträgern und in welcher Kombination der verfügbaren Energieträger sie eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen wollten. Diesbezüglich stehe ihnen ein erheblicher Einschät­zungs­spielraum zu, der gerichtlich nur darauf überprüft werden könne, ob die getroffene Entscheidung offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfas­sungs­recht­lichen Wertungen sei, wie sie insbesondere in den Grundrechten - hier vor allem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG - oder den Staats­ziel­be­stim­mungen - hier insbesondere Art. 20a GG - zum Ausdruck kämen.

Klima­schutzgebot zwingt nicht zum sofortigen oder frühzeitigen Kohleausstieg

Dies sei trotz der unbestreitbaren Klima- und Umwelt­schäd­lichkeit des Braun­koh­le­abbaus bzw. der Braun­koh­le­ver­stromung sowie des Klimawandels mit seinen weitreichenden Folgen auch für Deutschland nicht festzustellen. Insbesondere sei zum heutigen Zeitpunkt noch keine Verdichtung des Klima­schutz­gebots aus Art. 20a GG hin zu einem verfas­sungs­rechtlich zwingenden Gebot zum sofortigen oder gegenüber den bisherigen Planungen frühzeitigen Kohleausstieg anzunehmen, welches die gesetzgeberisch festgelegte Gemein­wohl­dien­lichkeit der Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle als offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfas­sungs­recht­lichen Wertungen erscheinen ließe. Ein solcher Ansatz liefe auf eine angesichts der (noch) bestehenden Bandbreite verfas­sungs­kon­former Handlungs­op­tionen zum Erreichen der Pariser Klimaziele zumindest derzeit noch nicht zu rechtfertigende verfas­sungs­rechtliche Determinierung eines isolierten Klima­schut­z­in­struments hinaus.

Tagebau Garzweiler II weiterhin für Versorgung des Energiemarktes erforderlich

Der Tagebau Garzweiler II sei weiterhin im geplanten Umfang für die Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle erforderlich. Für die Erfor­der­lichkeit genüge, dass das Vorhaben in der Lage sei, - wie hier - einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels zu leisten. Nicht erforderlich sei, dass ohne das Vorhaben die Energie­ver­sorgung (unmittelbar) gefährdet wäre. Die Grundstücke der Antragsteller seien ihrerseits zudem für eine technisch und wirtschaftlich sachgemäße Betriebsführung des Tagebaus Garzweiler II erforderlich, insbesondere bestehe keine "Umfah­rungs­mög­lichkeit". Im Rahmen der Gesamtabwägung habe der Antragsgegner auch in ausreichendem Umfang die besondere Schwere des Eingriffs u. a. hinsichtlich des Eigen­tums­entzugs an bewohnten Immobilien sowie der Umsiedlungen berücksichtigt. Dass im Ergebnis dennoch ein Überwiegen des Gemeinwohlziels einer Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II zur Sicherung der Energie­ver­sorgung festgestellt werde, sei vor dem Hintergrund der energie­po­li­tischen Grund­ent­schei­dungen gerichtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsteller können gegen die ihnen zugestellten Beschlüsse innerhalb von zwei Wochen Beschwerde einlegen, über die das Oberver­wal­tungs­gericht in Münster entscheidet.

Weitere Klageverfahren im Zusammenhang mit dem Braun­koh­le­tagebau Garzweiler II anhängig

Weiterhin weist das VG Aachen darauf hin, dass bei ihm gegen verschiedene behördliche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Braun­koh­le­tagebau Garzweiler II weitere Klageverfahren anhängig sind. In zwei Verfahren wird der am 20. Dezember 2019 zugelassene und sofort vollziehbare Haupt­be­trie­bsplan für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022 (Haupt­be­trie­bsplan 2020-2022) angegriffen, der u. a. eine bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke in Form vorbereitender Maßnahmen im 4. Quartal 2021 vorsieht. Vier Klageverfahren betreffen den Grundab­tre­tungs­be­schluss vom 17. Dezember 2020 und in drei weiteren Klageverfahren werden Beschlüsse über die vorzeitige Besit­zein­weisung im Haupt­sa­che­ver­fahren angefochten. Wann in diesen Verfahren entschieden bzw. verhandelt werden wird, ist derzeit noch offen.

Quelle: Verwaltungsgericht Aachen, ra-online (pm/ab)

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