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Staatsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss17.10.2011

StGH Baden-Württemberg: Anträge gegen Volksabstimmung zu Stuttgart 21 unzulässigEinspruch nach § 21 Gesetz über Volks­ab­stim­mungen und Volksbegehren (VAbstG) vor Durchführung der Volksabstimmung nicht zulässig

Staats­ge­richtshof Baden-Württemberg hat mehrere Anträge gegen die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 zurückgewiesen. Sowohl der im Wege eines Organstreits gestellte Antrag eines Juraprofessors wie auch die „vorbeugenden Volks­ent­schei­dungs­an­fechtung“ durch einen Rechtsanwalt sind laut Staats­ge­richtshof unzulässig.

Im zugrunde liegenden Streitfall beantragte der antragstellende Juraprofessor, die Landesregierung zu verpflichten, die für den 27. November 2011 vorgesehene Volksabstimmung nicht durchzuführen und festzustellen, dass der zur Volksabstimmung gestellte Gesetzentwurf und die Volksabstimmung selbst mit der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und mit dem Grundgesetz unvereinbar seien. Für den Fall, dass über diesen Antrag nicht vor Durchführung der Volksabstimmung entschieden werde, beantragte der Antragsteller weiter, die Volksabstimmung im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 25 StGHG) auszusetzen.

Juraprofessor nicht antrags­be­rechtigt – Einzelner Staatsbürger im Organstreit nicht parteifähig

Der Staats­ge­richtshof Baden-Württemberg stellte in der Verhandlung fest, dass der Antragsteller schon nicht antrags­be­rechtigt ist. In Betracht komme für das verfolgte Begehren allenfalls ein Organ­streit­ver­fahren nach Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Landes­ver­fassung (LV), §§ 44 ff. StGHG. Nach § 44 StGHG könnten Antragsteller nur der Landtag und im Falle des Art. 36 LV der Ständige Ausschuss, die Regierung und die in der Verfassung oder der Geschäfts­ordnung des Landtags oder der Regierung mit eigener Zuständigkeit ausgestatteten Teile dieser Organe sein. Zu diesem Kreis der Antrags­be­rech­tigten gehöre der Antragsteller nicht. Im System der Verfas­sungs­ge­richts­barkeit nach deutschem Verfas­sungsrecht sei der einzelne Staatsbürger im Organstreit nicht parteifähig. Der einzelne Staatsbürger nehme im Rahmen einer Volksabstimmung keine Organfunktionen wahr, aus denen seine Antrags­be­rech­tigung im Organ­streit­ver­fahren folgen könne (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht (BVerfG), Beschluss vom 24. März 1982, BVerfGE 60, 175 <201>).

Verfassung des Landes Baden-Württemberg und Staats­ge­richts­hof­gesetz sehen Möglichkeit für Verfas­sungs­be­schwerde zum Staats­ge­richtshof nicht vor

Anderes ergebe sich auch nicht aus dem von dem Antragsteller zitierten Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 30. Juni 2009. Die Entscheidung betreffe, soweit sie vom Antragsteller in diesem Zusammenhang ins Feld geführt werde, Verfas­sungs­be­schwerden. Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg und das Staats­ge­richts­hof­gesetz sehen aber eine Verfas­sungs­be­schwerde zum Staats­ge­richtshof nicht vor. Im Übrigen würde eine Verfas­sungs­be­schwerde in jedem Fall voraussetzen, dass der Beschwer­de­führer geltend macht, durch den angegriffenen Hoheitsakt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten oder grund­rechts­gleichen Rechten beeinträchtigt zu sein (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1979 - 1 BvR 385/77 - BVerfGE 53, 30 <48>). Schon dies sei hier nicht feststellbar.

Weitere Bürger beantragen ebenfalls vorgesehene Volksabstimmung für unzulässig zu erklären

In einem weiteren Verfahren beantragten zwei von einem Rechtsanwalt vertretene Bürger, im Wege der „vorbeugenden Volks­ent­schei­dungs­an­fechtung“ die für den 27. November 2011 vorgesehene Volksabstimmung für unzulässig zu erklären, hilfsweise, der Landesregierung im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 25 StGHG) weitere Vorbereitungen zur Durchführung der Volksabstimmung zu untersagen.

Vorbeugende rechtliche Kontrolle einer zukünftigen Volksabstimmung nicht zulässig

Auch diese Anträge sind nach dem dazu ergangenen Beschluss des Staats­ge­richtshofs unzulässig und wurden verworfen (§ 17 StGHG). Vor Durchführung der Volksabstimmung sei ein Einspruch nach § 21 Gesetz über Volks­ab­stim­mungen und Volksbegehren (VAbstG) nicht zulässig. § 21 Abs. 4 VAbstG eröffne lediglich die Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung einer bereits durchgeführten Volksabstimmung, lasse jedoch die vorbeugende rechtliche Kontrolle einer zukünftigen Volksabstimmung nicht zu. Für eine solche Überprüfung einer erst noch durch­zu­füh­renden Volksabstimmung durch den Staats­ge­richtshof stehe dem einzelnen Bürger auch nicht eine andere Verfahrensart zur Verfügung.

68 Abs. 1 Nr. 1 LV:

Es wird ein Staats­ge­richtshof gebildet. Er entscheidet

1. über die Auslegung dieser Verfassung aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung oder in der Geschäfts­ordnung des Landtags oder der Regierung mit eigener Zuständigkeit ausgestattet sind,[…]

§ 44 StGHG:

Antragsteller und Antragsgegner können nur der Landtag und im Falle des Art. 36 der Verfassung der Ständige Ausschuss des Landtags, die Regierung und die in der Verfassung oder in der Geschäfts­ordnung des Landtags oder der Regierung mit eigener Zuständigkeit ausgestatteten Teile dieser Organe sein.

§ 17 StGHG:

Entscheidungen, die außerhalb der mündlichen Verhandlung nötig werden, trifft der Vorsitzende mit Zustimmung von mindestens zwei Richtern. Ein Antrag auf Eröffnung des Verfahrens, der formwidrig, unzulässig, verspätet oder offensichtlich unbegründet oder von einem Nicht­be­rech­tigten gestellt ist, kann im schriftlichen Verfahren verworfen werden, sofern sämtliche Richter zustimmen. Die Entscheidung erfolgt durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf.

§ 21 VAbstG:

(1) Volks­ab­stim­mungen können beim Staats­ge­richtshof mittels Einspruchs angefochten werden. Der Einspruch kann auf die Anfechtung der Volksabstimmung in einzelnen Stimmkreisen oder Stimmbezirken beschränkt werden.

(2) Einspruchs­be­rechtigt ist jeder Stimm­be­rechtigte, in amtlicher Eigenschaft auch der Landes­ab­stim­mungs­leiter. Der Einspruch muss binnen eines Monats nach der öffentlichen Bekanntmachung des Abstim­mungs­er­geb­nisses (§ 19) schriftlich beim Staats­ge­richtshof eingereicht werden; er ist zu begründen.

(3) Wer Einspruch eingelegt hat, ist Antragsteller im Sinne von § 9 Abs. 1 des Gesetzes über den Staats­ge­richtshof vom 13. Dezember 1954 (GBl. S. 171). Prozess­be­teiligte im Sinne dieser Vorschrift sind außerdem das Innen­mi­nis­terium, der Landes­ab­stim­mungs­leiter, auch wenn er nicht Antragsteller ist, und der oder die zuständigen Kreis­ab­stim­mungs­leiter, wenn Maßnahmen oder Entscheidungen auf der Kreis- oder Gemeindestufe zu der Anfechtung der Volksabstimmung Veranlassung gegeben haben.

(4) Der Staats­ge­richtshof hat Volks­ab­stim­mungen auf Einspruch insoweit für ungültig zu erklären, als der Erfolg der Abstimmung (§ 18 Abs. 3 Satz 2) dadurch beeinflusst worden sein kann, dass

1. bei der Vorbereitung oder Durchführung der Volksabstimmung zwingende Vorschriften dieses Gesetzes oder der Stimmordnung unbeachtet geblieben oder unrichtig angewendet worden sind

oder

2. in Bezug auf die Volksabstimmung vollendete Vergehen im Sinne der §§ 107, 107 a, 107 b, 107 c, 108, 108 a oder 108 b in Verbindung mit § 108 d oder im Sinne des § 240 des Straf­ge­setzbuchs begangen worden sind.

(5) […]

Quelle: Staatsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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