21.11.2024
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Landgericht Stuttgart Urteil20.05.2010

Urheber­rechtsstreit im Bahn-Projekt „Stuttgart 21“ – Umbau des Bahnhofs zulässigErhal­tungs­in­teresse des Urhebers muss hinter Moder­ni­sie­rungs­in­teressen des Eigentümers zurücktreten

Der geplante Abriss der beiden Seitenflügel des Hauptbahnhofs Stuttgart zur Realisierung des Bahn-Projektes „Stuttgart 21“ ist zulässig. Da prägende Bestandteile des Bauwerks trotz des Umbaus erhalten bleiben, überwiegen die Moder­ni­sie­rungs­in­teressen der Deutschen Bahn im Verhältnis zu den Erhal­tungs­in­teressen des Urhebers. Dies entschied das Landgericht Stuttgart und wies damit die Klage eines Erben des Architekten Prof. Paul Bonatz - seinerzeit Planer und Leiter der Ausführungen des Hauptbahnhofs Stuttgart - zurück.

Im zugrunde liegenden Streitfall wehrt sich der Kläger als einer der Erben des Architekten Prof. Paul Bonatz (1877 bis 1956), der den Hauptbahnhof Stuttgart geplant und die Ausführung geleitet hat, gegen den im Zuge der Realisierung des Bahn-Projektes „Stuttgart 21“ geplanten Abriss der beiden Seitenflügel des Hauptbahnhofs Stuttgart und der Treppenanlage in der großen Schalterhalle. Die Klage richtet sich - so der Kläger - nicht gegen die Umwandlung des Stuttgarter Hauptbahnhofs von einem Kopf- in einen Durch­gangs­bahnhof, es geht ausschließlich um die vollständige Erhaltung der Integrität des Bonatz-Baus, des Stuttgarter Hauptbahnhofs.

Komplexe Abwägung zwischen Interessen des Urhebers und Interessen des Eigentümers unabwendbar

Bereits in der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass zwischen den Interessen des Urhebers am unveränderten Bestand des Bauwerks und den Interessen des Eigentümers an der Verwirklichung seiner Ziele eine komplexe Abwägung vorzunehmen sein würde und dass die Kammer die Klage nicht an Verjährung oder Verwirkung der Ansprüche scheitern lassen wird. Weiter zeichnete sich auch ab, dass der Planfest­stel­lungs­be­schluss aus dem Jahr 2005 den Kläger mit seinen Einwendungen nicht ausschließt.

Interesse des Gebäu­de­ei­gen­tümers an Umgestaltung des Bahnhofs­ge­bäudes überwiegen

Die Inter­es­se­n­ab­wägung durch das Landgericht Stuttgart ging zu Gunsten der Deutschen Bahn aus. Das Erhal­tungs­in­teresse des Urhebers muss hinter den Moder­ni­sie­rungs­in­teressen des Eigentümers zurücktreten. Die Gesamtabwägung sämtlicher Umstände nach Treu und Glauben führte zur Zulässigkeit der vorgesehenen Abrissmaßnahmen, da das Interesse des Gebäu­de­ei­gen­tümers an der Umgestaltung des Bahnhofs­ge­bäudes das urheber­per­sön­lich­keits­rechtliche Erhal­tungs­in­teresse überwiegt.

Starkes Moder­ni­sie­rungs­in­teresse des Gebäu­de­ei­gen­tümers ist anzuerkennen

Zwar sind mit den Abrissmaßnahmen intensive Eingriffe in ein einzigartiges Werk der Baukunst verbunden. Der Gesamteindruck des Bauwerks wird erheblich verändert. Der Ablauf von drei Vierteln der urheber­recht­lichen Schutzdauer von 70 Jahren für das Bauwerk sowie die Beschränkung der Abrissmaßnahmen auf die Flügelbauten relativieren jedoch das urheber­per­sön­lich­keits­rechtliche Erhal­tungs­in­teresse. Außerdem bleiben die wesentlichen Gebäudeteile erhalten. Angesichts der starken Funkti­o­ns­bindung des Bahnhofs­ge­bäudes als Zweckbau, an der auch Paul Bonatz seine ästhetische Gestaltung ausrichtete, ist ein starkes Moder­ni­sie­rungs­in­teresse des Gebäu­de­ei­gen­tümers anzuerkennen.

Prägenden Bestandteile des Bauwerks bleiben trotz Umbau erhalten

Das Landgericht lehnt eine Prüfung von etwaigen Planung­s­al­ter­nativen ab, nachdem die Entscheidung aufgrund eines langjährigen Planungs­ver­fahrens im Hinblick auf die Modernisierung des Stuttgarter Hauptbahnhofs und seine Anbindung an das Hochge­schwin­dig­keitsnetz unter Berück­sich­tigung städtebaulicher, verkehrs­tech­nischer und finanzieller Gesichtspunkte unter Einbindung aller betroffenen öffentlichen Träger ergangen ist. Bei einem Funktionsbau wie dem Stuttgarter Hauptbahnhof sind die verkehr­s­s­tra­tegisch überragenden Weiter­ent­wick­lungs­in­teressen des Eigentümers gegenüber den Erhal­tungs­in­teressen des Urhebers vorrangig, zumal hier die prägenden Bestandteile des Bauwerks, erhalten bleiben und die geplante Umwandlung des bisherigen Kopfbahnhofs in einen Durch­gangs­bahnhof zu einem Funktions- und Bezugsverlust der Flügelbauten führen wird. Ihr Abriss ist als Konsequenz dieser Funkti­o­ns­än­derung hinzunehmen.

Quelle: Landgericht Stuttgart/ra-online

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